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Ost-Gipfel in Brüssel

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#faktenfuchs: Hat Merkel eine europäische Lösung im Asylstreit?

Im Asylstreit pocht Kanzlerin Merkel auf eine europäische Lösung. In Social-Media-Kanälen haben BR24-User behauptet, dass es in Brüssel schon längst eine Lösung der Asylfrage gebe. Stimmt das? Und wie sieht Merkels Wunschlösung überhaupt aus?

Im Asylstreit zwischen CDU und CSU sucht Angela Merkel eine europäische Lösung. Was meint sie damit und was bedeutet das für die Flüchtlinge?

Bis vor kurzem, bezog sich der Begriff "europäische Lösung" auf ein Gesamtkonzept zur gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik, das die Aspekte Solidarität und Verantwortung zusammenbringt und an dem sich alle (noch) 28 EU-Mitgliedsstaaten beteiligen. Seit 2015 versuchen die EU-Kommission und der Großteil der Regierungen, darunter auch die Bundesregierung, die sogenannte Dublin-Verordnung zu reformieren. Die sieht, vereinfacht gesagt, vor, dass ein Flüchtling nur in dem EU-Land Asyl beantragen darf, das er zuerst betritt.

In der Praxis hat sich diese Regelung allerdings als schwierig durchsetzbar und ungerecht erwiesen, da nach Lage der Dinge die Mittelmeeranrainer Spanien, Italien, Malta und Griechenland die Hauptlast der gegenwärtigen Migrationsbewegungen tragen und mit der Situation zeitweise überfordert waren. Auf Betreiben von EU-Innenkommissar Avramopoulos, Kanzlerin Merkel und des luxemburgischen Außenministers Asselborn wurde deshalb 2015 versucht, das Problem solidarisch zu lösen, indem man eine Quote festlegt, nach der in Notfällen eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen innerhalb der EU verteilt werden. Kriterien wie Größe, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder Arbeitslosenzahl wurden dabei berücksichtigt. Dagegen leisten die osteuropäischen Länder Ungarn, Polen und Tschechien aber bis heute erbitterten Widerstand.

Alle Versuche, einen Kompromiss, zum Beispiel über einen finanziellen Ausgleich oder eine Stufen-Lösung, zu erreichen, sind bislang gescheitert. Deshalb strebt die Kanzlerin, unter dem Druck der CSU, nun zunächst bilaterale Abkommen mit Nachbarländern an, nach dem Vorbild des sog. Türkei-Deals.

In den Kommentaren auf BR24 schreiben mehrere Nutzer, dass es eine Lösung der Asylfrage auf EU-Ebene schon gebe und dass auch die Europa-Abgeordneten der CSU dafür gestimmt hätten. Am 28. Juni müsse der Rat der Regierungschefs der einzelnen Staaten diesem EU-Parlamentsbeschluss noch zustimmen, um es in EU-Recht umzuwandeln. Gibt es diesen Beschluss und was hätte er für Folgen?

In der Tat hat das EU-Parlament Ende 2017 einen eigenen Entwurf für ein gemeinsames europäisches Asylrecht ("Dublin-Reform") verabschiedet, das viele Elemente der Debatte zusammenfasst und dem auch Politiker von Union und SPD zugestimmt haben. Die schwedische Berichterstatterin, Cecilia Wikström, von der liberalen ALDE-Fraktion, hebt drei Prioritäten hervor: 1) Soll eine gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten für Asylsuchende zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten erreicht werden. 2) Sollen die Mitgliedstaaten mit EU-Außengrenzen, in denen die meisten Flüchtlinge zum ersten Mal europäisches Hoheitsgebiet betreten, ihre Verantwortung für die Registrierung aller ankommenden Personen sowie für den Schutz und die Aufrechterhaltung der Außengrenzen der EU übernehmen. Und 3) sollen Menschen, die internationalen Schutz benötigen, diesen viel schneller als derzeit erhalten, während diejenigen, die nachweislich kein Asylrecht haben, schnell und unter menschenwürdigen Bedingungen in ihr Herkunftsland zurückgesandt werden.

Abgesehen von diesem Entwurf ist man auf anderen Gebieten der europäischen Migrationspolitik aber sehr wohl vorangekommen: so wurden die Rettungsmission "Sophia" auf dem Mittelmeer gestartet, die Grenzschutzagentur FRONTEX ausgebaut und mehrere sog. Resettlement-Programme zur Neuansiedlung aufgelegt, die Schutzbedürftigen legale Wege nach Europa öffnen. Angestrebt wird mittelfristig der Aufbau einer europäischen Asylagentur (EASO) und die Angleichung der Asylstandards in der gesamten EU, um das zu verhindern, was die CSU "Asyltourismus" nennt.

In der Initiative des EP geht es um die Änderung der Dublin III-Verordnung. Wann wird sie umgesetzt und was würde das für die Zahl der Asylanträge bedeuten?

Das Problem ist: alleine kann das EU-Parlament auf diesem Politikfeld nichts ausrichten. Aus Brüssel heißt es dazu: Sobald die Mitgliedstaaten sich auf eine gemeinsame Verhandlungsposition geeinigt hätten, könnten Parlament und Ministerrat die Verhandlungen aufnehmen. Solange aber im Europäischen Rat, also auf Ebene der nationalen Regierungen, aber nichts vorangeht, ist auch der Gesetzentwurf nur Papier.

Würde er umgesetzt, hätte das freilich Konsequenzen: So wäre künftig nicht mehr automatisch das "Ersteintrittsland" für ein Asylverfahren zuständig, sondern möglicherweise das EU-Land, das sich der Bewerber wünscht oder zu dem er einen Bezug hat. Er oder sie müsste dazu zum Beispiel eine Bindung zu diesem Land nachweisen, etwa einen Angehörigen oder Bekannten, der bereits dort lebt, oder dies wenigstens behaupten.

Die Bundesregierung befürchtet, dass Deutschland durch solche neuen Bestimmungen deutlich mehr Flüchtlinge aufgebürdet werden könnten, was auch der CSU-Forderung nach einer "Obergrenze" zuwiderlaufen würde. In einem Brief von Unions-Kollegen an den Chef der Europäischen Christdemokraten (EVP) Weber heißt es: "Die Verhandlungen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem dürfen auf keinen Fall dazu führen, dass die ohnehin schon asymmetrische Lastenteilung weiter verschärft wird."