Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Zu sehen sind ein Schild und zwei der drei Türme des Gebäudekomplexes.
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EuGH erhöht Druck auf Polens Justizreform

Unsaubere Gewaltenteilung, fehlende Transparenz bei der Abordnung von Richtern und politische Einflussnahme – so die vernichtende Einschätzung von EuGH-Generalanwalt Bobek über Polens Justizreform. Damit erhöht sich auch der Druck auf die Regierung.

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Die in Polen praktizierte Abordnung von Richterinnen und Richtern an höhere Gerichte ist nicht mit Europäischem Recht vereinbar. Gleiches gilt auch für die Doppelfunktion, als Richter und Disziplinarbeauftragter an einem Gericht tätig sein zu können. Das geht aus den Schlussanträgen von Generalanwalt Michal Bobek am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hervor. Das Urteil steht noch aus, deckt sich aber häufig mit den Beurteilungen des Generalanwalts.

Fehlende Transparenz bei der Abordnung von Richtern

Angestoßen wurde das Verfahren durch das Bezirksgericht in Warschau. Einer der Vorwürfe: Fehlende Transparenz bei der Abordnung von Richtern. Dem polnischen Justizminister Zbigniew Ziobro, der zugleich auch die Rolle des Generalstaatsanwalts bekleidet, stehen dabei umfassende Kompetenzen zu. Dass die Abordnung von Richtern "auf unbestimmte Zeit erfolgt und jederzeit nach Ermessen des Justizministers und Generalstaatsanwalts beendet werden kann", gibt aus Sicht Bobeks "Anlass zu großer Besorgnis".

Doppelfunktion des Justizministers kann Richter negativ beeinflussen

Anlass zur Sorge gibt auch der Umgang mit der Gewaltenteilung. Die Doppelfunktion des Justizministers "führe zu einer 'unheiligen' Allianz zwischen zwei institutionellen Gremien, die normalerweise getrennt voneinander agieren sollten", so der EuGH-Generalanwalt. Die mögliche Folge: Eine Verzerrung gerichtlicher Entscheidungen, schließlich sei für Richterinnen und Richter ein Anreiz gegeben, "im Sinne des Staatsanwalts oder, allgemeiner, nach dem Wunsch des Justizministers zu entscheiden". Karrierechancen und die Aussicht auf ein höheres Gehalt könnten bei richterlichen Entscheidungen daher an die Stelle von Recht und Gesetz rücken.

Angst vor Disziplinarverfahren: Druck erhöht sich auch innerhalb der Gerichte

Die Situation werde nach Ansicht von Generalanwalt Bobek noch weiter "verschlimmert". Weil nicht nur der Justizminister eine Doppelfunktion innehat, sondern auch Richter ergänzend die Stellung von Disziplinarbeauftragten einnehmen können, erhöht sich auch der Druck innerhalb der Gerichte. "Die Annahme, dass Richter sich scheuen, Kollegen zu widersprechen, die irgendwann ein Disziplinarverfahren gegen sie anstrengen könnten, ist sicherlich nicht weit hergeholt", so Bobek.

Generalanwalt: Schutz vor politischer Einflussnahme nicht gewährleistet

Insgesamt ergebe sich so ein "Netzwerk von Verbindungen" zwischen Richtern, Staatsanwälten und dem Justizminister zu einer "ungesunden Rollenvermischung". Mindestgarantien zur Gewährleistung der Gewaltenteilungen seien ebenso wenig gegeben, wie die Sicherheit, dass Richter keinem Druck von außen und keiner politischen Einflussnahme ausgesetzt sind.

Polens Justizreform seit Jahren in der Kritik

Mit dieser Einschätzung bahnt sich ein weiteres Urteil gegen Polens umstrittene Justizreform an. Diese basiert auf einem Gesetz, das seit Februar 2020 in Kraft ist. Es verbietet Richtern Kritik an der Entscheidungskompetenz oder Eignung anderer Richter, Kammern oder Gerichte und untersagt politisches Engagement. Bei Verstößen drohen Geldbußen, Degradierung oder sogar die Entlassung. Der politische Druck auf die Judikative wird durch reihenweise Neubesetzungen an den höchsten Gerichten des Landes weiter erhöht, ebenfalls vorgenommen von der Regierung in Warschau. Diese begründet die Reformen mit der Zielsetzung, die Effektivität der Gerichte zu verbessern.

Schon mehrfach urteilte der EuGH gegen die Reform und erklärte, das Gesetz sei nicht mit der übergeordneten Stellung von EU-Recht vereinbar. Die rechtsnationale Regierung in Warschau zeigte sich von der bisherigen Rechtsprechung jedoch unbeeindruckt. So setzte eine neu geschaffene Disziplinarkammer zur Überprüfung von Richtern ihre Arbeit entgegen eines Urteils des EuGH trotzdem fort. Andere Entscheidungen, die beispielsweise auf das Verfahren zur Besetzung von Richterstellen abzielen, wies die polnische Regierung als "Versuch, die Souveränität der Mitgliedstaaten einzuschränken" zurück.

Konfrontation mit EU sorgt für Spannungen in der Regierung

Die Konfrontation mit Brüssel wirkt sich auch zunehmend auf die Regierungskoalition aus, bestehend aus der Partei von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, PiS, sowie den Juniorpartnern "Verständigung" und "Solidarisches Polen". Letztere stellt mit ihrem Parteichef und Justizminister Zbigniew Ziobro eine zentrale Figur der voranschreitenden Regierungskrise.

Trotz des Widerstands der polnischen Regierung gegen die EU-Institutionen werfen die kleineren Koalitionspartner der PiS vor, nicht radikal genug aufzutreten. So habe Premier Morawiecki zugelassen, dass die Auszahlung von EU-Geldern in Zukunft an die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze gebunden sein wird - sehr zum Unverständnis des rechtsnationalen Regierungsflügels, der die übergeordnete Stellung von EU-Recht gegenüber dem nationalen Recht grundsätzlich nicht akzeptieren will. Ein Vorgehen, das in der Europäischen Union rechtlich unzulässig ist und einer gänzlichen Abkehr von der Staatengemeinschaft gleichkommt.

Urteil des EuGH in wenigen Wochen

Soweit will es – aller EU-Kritik zum Trotz – aber auch die PiS nicht kommen lassen. Folgt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil den Einschätzungen des Generalanwalts, wäre Polen gezwungen, Anpassungen im Sinne des EU-Rechts vorzunehmen. Ob Warschau diese auch hinnehmen will, bleibt abzuwarten. Die Spannungen in der Regierungskoalition, soviel gilt als sicher, dürften durch diese Entscheidung weiter befeuert werden.

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