Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz.
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Bundesjustizminister Buschmann (FDP) und Bundesfamilienministerin Paus (B90/Die Grünen) sind sich eigentlich einig - doch es ist nicht so leicht.

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EU-Gesetz zu Gewalt gegen Frauen: Warum es zu scheitern droht

Die geplante europaweit einheitliche Ahndung von Vergewaltigungen könnte kippen. Das zeichnet sich vor der voraussichtlich letzten Verhandlungsrunde über ein EU-Gesetz gegen Gewalt an Frauen ab. Unter anderem Deutschland hat rechtliche Bedenken.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (B90/Die Grünen) sind sich im Prinzip einig: "Wir brauchen unbedingt die EU-Gewaltschutzrichtlinie," sagen beide zu BR24. Ganz so einfach ist es allerdings nicht.

Buschmann: "Unrecht nicht mit Unrecht bekämpfen"

Denn der Bundesjustizminister hat rechtliche Bedenken. Und nicht nur er. Das betrifft vor allem die europaweit geplante einheitliche Ahndung von Vergewaltigungen. Hier argumentiert die Bundesregierung, der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission überschreite die EU-Kompetenzen. Daher sei das Gesetz vor Europagerichten angreifbar. Auch Buschmann bedauert das, sagt aber, "man sollte Unrecht nicht mit Unrecht bekämpfen".

Ähnlich wie Deutschland sehen das auch Frankreich, Ungarn und weitere Mitgliedsländer. Die EU-Kommission hatte das Gesetz gegen Gewalt an Frauen zum Internationalen Frauentag am 8. März 2022 vorgeschlagen. Täter sollten damit EU-weit wegen Vergewaltigung belangt werden können, auch wenn sie das Opfer nicht geschlagen oder bedroht haben. Bisher sind in 18 der 27 Mitgliedstaaten Gewalt oder Drohungen Voraussetzung für eine Strafverfolgung.

Bei Neuregelung wäre Prinzip "Ja heißt Ja" gültig

Frauenrechtlerinnen erhofften sich, mit der Neuregelung könne das Prinzip "Ja heißt Ja" europaweit Gültigkeit erhalten. Unter anderem in Schweden und Spanien gilt das bereits: Frauen müssen dem Sex ausdrücklich zustimmen, damit er als einvernehmlich gilt.

In Deutschland gilt seit einer Reform des Sexualstrafrechts 2016 dagegen das Prinzip "Nein heißt Nein". Eine Vergewaltigung liegt dann vor, wenn Frauen den Sex deutlich ablehnen. Sie müssen sich seit der Reform aber nicht mehr unbedingt körperlich wehren, sondern können dies auch durch Worte oder Gesten zum Ausdruck bringen. Familienministerin Paus erklärte heute im Interview mit BR24, das Sexualstrafrecht in dieser Hinsicht noch einmal überarbeiten zu wollen: "Das ist auch überfällig, weil die Regelung eben mehr als fünf Jahre alt ist, und die Istanbul-Konvention sagt eigentlich, wir brauchen mehr, und deswegen brauchen wir eine Überprüfung des deutschen Rechts".

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion im Rahmen des BR24-Formats "Dein Argument" ergänzt. Hintergrund ist ein Kommentar des Users "Mark_nbg" zur Thematik, ob die Paragrafen nur für Frauen gelten.

Grundsätzlich beziehen sich die Paragrafen und rechtlichen Regelungen der genannten Länder auf alle Geschlechter. So müssen beispielsweise in Schweden und Spanien vor dem Geschlechtsverkehr alle beteiligten Personen der sexuellen Handlung zustimmen. Auch in Deutschland gilt das aktuell angewandte Prinzip für alle Geschlechter. Demnach soll jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen eines Dritten unter Strafe fallen, unabhängig vom Geschlecht. 💬

Kritik an Bundesjustizminister Buschmann

Wegen seines Neins zu den schärferen EU-Plänen steht Bundesjustizminister Buschmann in der Kritik. "Mit dieser Blockade-Haltung steht der Schutz von Millionen von Frauen vor Gewalt in der EU auf dem Spiel", heißt es in einem Ende Januar veröffentlichten Brief an den FDP-Politiker, den mehr als hundert Frauen aus Politik, Medien und Kultur unterzeichneten.

Die Initiatorin des Briefs, Kristina Lunz vom Center for Feminist Foreign Policy, die auch das Bundesaußenministerium berät, verweist im Gespräch mit BR24 auf eine Petition: "230.000 Menschen fordern, dass diese Blockadehaltung des Justizministers und der Bundesregierung aufgegeben wird. Das hat bislang nicht geklappt, der offene Brief war der letzte Versuch, da Druck auszuüben und Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Weil doch die Befürchtung wahr wurde, dass der Bundesjustizminister und die Bundesregierung das einfach aussitzen, in der Hoffnung, dass niemand mitbekommt, was da blockiert wird."

Unterstützt wird Lunz von der Frauen Union der CDU. Die Bundesregierung müsse endlich eine aktiv-konstruktive Rolle für den Gewaltschutz von Frauen einnehmen, fordert die Vorsitzende Annette Widmann-Mauz (CDU): "Juristische Feinschmeckerdebatten helfen den von sexueller Gewalt bedrohten Frauen in der EU nicht weiter."

Paus hofft auf Kompromiss in Brüssel

Bundesfamilienministerin Paus erhofft sich einen Kompromiss in Brüssel. Jetzt sei die Zeit für diese EU-Gewaltschutzrichtlinie. Man stehe kurz vor dem Ende der Legislaturperiode dieses Europäischen Parlaments, und wenn man das jetzt nicht hinbekomme, dann habe sie wirklich die Sorge, dass es auf Jahre hinaus keine einheitliche EU-Gewaltschutzrichtlinie geben wird.

In anderen Punkten könnten sich die EU-Institutionen nämlich einig werden. Mit dem Gewaltschutzgesetz soll etwa die weibliche Genitalverstümmelung in ganz Europa als Straftat gelten. Zudem sollen das Stalking und Mobbing von Frauen im Internet EU-weit unter Strafe gestellt werden. Das Gleiche gilt für das böswillige Weiterverbreiten intimer Aufnahmen.

Jede dritte Frau in Europa hat Gewalt erlebt

Jede dritte Europäerin habe Erfahrungen mit Gewalt oder häuslicher Gewalt, heißt es von der EU-Kommission. Jede Zwanzigste sei Opfer einer Vergewaltigung. Jede zweite junge Frau klage zudem über sexualisierte Gewalt im Internet.

Im Video: Geplantes EU-Gesetz zu Gewalt gegen Frauen

Geplantes EU-Gesetz zu Gewalt gegen Frauen
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Geplantes EU-Gesetz zu Gewalt gegen Frauen

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