Im Netz verbreitet sich zur Zeit eine Reportage von ServusTV über angebliche Impfschäden
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Im Netz verbreitet sich zur Zeit eine Reportage von ServusTV über angebliche Impfschäden - doch laut Experten fehlt es u.a. an Einordnung.

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Doku von ServusTV: Fehlende Einordnung und falsche Zusammenhänge

Im Netz verbreitet sich zur Zeit eine Reportage von ServusTV über angebliche Impfschäden. Es wird behauptet, Corona-Impfungen hätten eine Übersterblichkeit verursacht. Experten zweifeln jedoch an den Methoden der Studie. Ein #Faktenfuchs

Über dieses Thema berichtet: Hintergrund am .

  • In einer Reportage von ServusTV erzählen Betroffene von Impfnebenwirkungen.
  • Dabei fehlt es u.a. an wissenschaftlicher Einordnung. Laut Forschern zeichnet die Reportage ein einseitiges Bild.
  • Statistiker kritisieren Berechnungen eines Regensburger Psychologie-Professors zu Sterbezahlen und Impfungen als mathematisch fehlerhaft.

Sie erzählen von Herzrasen, Brennen und Kribbeln im Körper oder Atemnot: In einer zweiteiligen Reportage des österreichischen Senders ServusTV kommen insgesamt 13 Menschen zu Wort, die von Symptomen nach ihrer Covid-Impfung berichten. Die Reportage und Ausschnitte daraus verbreiten sich seit deren Online-Veröffentlichung Mitte Januar sehr stark im Netz. Auf Telegram wurden Posts dazu millionenfach gesehen, auf Facebook die Links zu den beiden Teilen über 20.000-mal innerhalb einer Woche geteilt. Das kann man im Analyse-Tool Crowdtangle sehen. Auf Twitter findet man Ausschnitte der Filme, die sich mit englischen Untertiteln bis in die USA verbreiten.

Doch abseits der ernstzunehmenden Schicksale von einzelnen Protagonisten hat die Reportage mehrere Mängel: Es fehlt an Einordnung durch medizinische Experten, es werden unbelegte und teils falsche Informationen verbreitet sowie mathematisch falsche Zusammenhänge berechnet. Das zeigt diese Recherche des #Faktenfuchs. Dabei gehen wir zunächst auf angebliche Impf-Nebenwirkungen und deren Häufigkeit ein, die in der Reportage erwähnt werden. Dann werfen wir einen Blick auf den Autor des Films sowie auf einen der zu Wort kommenden Wissenschaftler, den Regensburger Professor Christof Kuhbandner. Schließlich betrachten wir dessen Behauptungen genauer. Vom #Faktenfuchs befragte Wissenschaftler haben Kuhbandners Darstellungen nachgerechnet und nehmen dazu Stellung.

Einordnung zur Häufigkeit der Nebenwirkungen fehlt

Zu großen Teilen beschreiben die Betroffenen in der Reportage von ServusTV Symptome, die bekannte, aber seltene Impfnebenwirkungen sind. Ein 22-jähriger Student erzählt, er habe nach der Impfung eine Herzmuskelentzündung bekommen, eine 35-Jährige sagt, sie habe Gürtelrose am Bauch bekommen, ein 44-Jähriger leidet unter Lähmungserscheinungen im Gesicht, eine 40-jährige Krankenschwester berichtet von einem anaphylaktischen Schock. Viele von ihnen berichten in der Reportage, dass sie mittlerweile Bescheinigungen von ihren Ärzten hätten, dass sie in Zukunft nicht mehr gegen Covid-19 geimpft werden könnten.

Was jedoch bei allen Berichten der Betroffenen in der Reportage von ServusTV fehlt: eine wissenschaftliche Einordnung, wie häufig die Impfnebenwirkungen sind oder ob Studien bereits einen Zusammenhang der Symptome mit der Impfung untersucht haben. Auch kommt in keinem Fall ein betreuender Arzt oder eine betreuende Ärztin der Patienten zu Wort.

Der Autor der Reportage Bert Ehgartner begründet das auf Anfrage des #Faktenfuchs damit, dass Ärzte wegen der derzeitigen Situation in Österreich “besonders zurückhaltend” wären, vor die Kamera zu treten. Alle Fälle der Betroffenen habe er sich über Arztbriefe oder Laborbefunde dokumentieren lassen. Wieso Häufigkeiten von Nebenwirkungen nicht eingeordnet werden, dazu bezieht er nicht Stellung.

Herzmuskelentzündung und vorübergehende Gesichtslähmung: Als seltene Nebenwirkungen bekannt

Von 100.000 Geimpften bekommen laut bisheriger Studien bis zu zehn Menschen eine Herzmuskel- oder Herzbeutelentzüngung infolge der Impfung. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) stuft das als “sehr selten” ein (mehr dazu lesen Sie hier , einen Überblick über die Studienlage bekommen Sie auch hier). Besonders hoch ist das Risiko bei Personen unter 30 und bei Moderna, weswegen dieser Impfstoff in dieser Altergruppe in Deutschland nicht mehr empfohlen wird.​​

Eine vorübergehende Gesichtslähmung, die sich spätestens nach einigen Wochen zurückbildete, trat bei der Impfung mit mRNA-Stoffen bei den klinischen Studien in 0,01 bis 0,1 Prozent der Fälle auf. Ein anaphylaktischer Schock kann auftreten, wenn man auf einen Inhaltsstoff der Impfung allergisch reagiert.

Auch Fälle von Gürtelrose meldeten Geimpfte an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). In seinem Sicherheitsbericht vom 20. September 2021 kommt des PEI zu dem Schluss, dass sich daraus aber “kein Risikosignal” für die zugelassenen Impfstoffe ergebe. Für den Sicherheitsbericht vergleicht das Institut die Häufigkeit von Symptomen von Geimpften und Ungeimpften. An der Einschätzung habe sich – auch EU-weit – nichts geändert, schreibt das PEI auf Anfrage des #Faktenfuchs. Nach wie vor gebe es keinen Hinweis auf das verstärkte Auftreten von Gürtelrose nach einer Impfung gegen Covid-19 und damit auch kein entsprechendes Risikosignal.

Forscher bezeichnen Darstellung als “einseitig”

Wissenschaftler, mit denen der #Faktenfuchs gesprochen hat, bezeichnen die Reportage deshalb als nicht ausgewogen. Es komme darauf an, auch den Kontext zu erklären - durch tatsächlich forschende Fachleute und Studien, sagt etwa die Publizistin Ingrid Brodnig, die sich intensiv mit den Argumentationsstrategien von Impfskeptikern auseinandergesetzt hat.

Kommunikationswissenschaftler Jakob-Moritz Eberl von der Universität Wien und aktuell Vertretungsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), sagt: “Natürlich gibt es Nebenwirkungen der Impfung. Diese Dokumentation hat aber ein sehr einseitiges Bild davon gezeigt.” .

Autor des Films nennt Schutz von Vorerkrankten “Missbrauch der Solidarität”

Bert Ehgartner, Autor der ServusTV-Reportage, ist laut Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl ein bekannter Impfgegner. In einem Buch und einer Dokumentation warnte er schon 2012 vor Aluminium in Impfstoffen und behauptete, das würde eine Muskelentzündung mit Symptomen wie Müdigkeit, Schwindel und Sehschwäche auslösen. Das PEI sagte damals, es fehlen die Belege dafür, dass es einen solchen Zusammenhang gibt. Dass Aluminium in Impfstoffen schädlich sei, verbreitete sich auch während der Corona-Pandemie unter Impfgegnern, ist aber unbelegt.

Während der Pandemie fiel Ehgartner bereits durch einen Blogbeitrag auf, in dem er Covid-19 als Grippe verharmloste und den Schutz von Vorerkrankten in der Pandemie “Missbrauch der Solidarität” nannte. Er kritisierte, dass der “Schutz der Schwachen” an “erster Stelle” stünde. Immer öfter lese man “wütende oder verzweifelte Aufrufe” von Menschen mit Vorerkrankungen, die von ihrer Umwelt verlangen würden, geschützt zu werden. Wenn sich Menschen “als gefährdet sehen”, seien es nicht die anderen Menschen, die hier solidarisch in die Pflicht genommen werden dürften, die Abstand halten oder Maske tragen oder geimpft sein müssten, “um nur ja keine Keime zu übertragen”.

Ehgartners Haltung zum Umgang mit der Pandemie wird auch in der Reportage über die Impfnebenwirkungen deutlich: Im Sprechertext des Films, bei dem Ehgartner als alleiniger Autor genannt wird, ist im Kontext von Corona-Spaziergängen gegen eine Impfpflicht in Deutschland von “Zwangsmaßnahmen” die Rede. Auch fallen teils unbelegte Behauptungen. So heißt es, Herzmuskelentzündungen würden oft nur als “leichte Nebenwirkung” der Impfung verharmlost. Ein Beleg wird nicht genannt. Im Bild sieht man währenddessen eine österreichische Einverständniserklärung zur Impfung, in der es lediglich heißt, Myokarditis würde “sehr selten” berichtet. Das deckt sich mit dem ermittelten Risiko der EMA.

Auf Nachfrage des #Faktenfuchs, worauf er sich hier beziehe, schreibt Ehgartner: Myokarditis würde “im Aufklärungsgespräch” oder “in den Medien” “meist als leichte Nebenwirkungen dargestellt”. Konkrete Belege dafür nennt er nicht.

Experten stellen teilweise falsche oder nicht belegbare Behauptungen auf

Auch manche als Experten Befragte in der ServusTV-Reportage äußern falsche oder unbelegte Behauptungen, die ohne Einordnung stehengelassen werden. Martin Hirte, ein Kinderarzt, der als Redner auf Corona-Demos auftrat und auch in der Reportage eine solche besucht, behauptet zum Beispiel, in den Studien zu den Impfstoffen sei “überhaupt nicht die Rede” gewesen von neurologischen Fällen wie Gesichtslähmungen. In den Berichten der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA zu den Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna werden aber schon 2020 seltene Fälle von Gesichtslähmungen genannt.

Eine Allgemeinärztin, die in der Reportage anonym bleiben will, behauptet, die Österreichische Ärztekammer drohe mit Konsequenzen bis hin zum Berufsverbot, wenn Ärzte über Nebenwirkungen der Corona-Impfungen aufklären würden. Die Ärztekammer schreibt auf Anfrage des #Faktenfuchs, diese Behauptung sei “unhaltbar und falsch”.

Die Ärztin “Dr. K.” bezieht sich auf ein Rundschreiben des Ärztekammer-Präsidenten an Mediziner, in dem es heißt, es gebe derzeit aufgrund der vorliegenden Datenlage aus wissenschaftlicher Sicht grundsätzlich keinen Grund, von einer Impfung gegen Covid-19 abzuraten. Darunter heißt es aber auch: Medizinisch und wissenschaftlich belegte Gründe wie eine Allergie gegen den Impfstoff könnten gegen eine Impfung sprechen. Später folgt der allgemeine Hinweis: Eine Verletzung der Berufspflicht werde sanktioniert. “Dr. K.” folgert daraus fälschlicherweise: Wer über Nebenwirkungen der Impfung aufklärt, werde möglicherweise “von der Liste gestrichen”.

Laut Ärztekammer ist es genau andersherum: Wer die Aufklärungspflicht - auch über mögliche Gefahren oder schädliche Folgen einer Behandlung oder Impfung - missachtet, dem drohen Konsequenzen von einer Geldstrafe bis hin zur Berufsuntersagung. So ist es auch im Ärztegesetz von 1998 festgehalten.

Regensburger Professor in der Kritik

Nachdem ServusTV die Reportage veröffentlichte, kam vor allem Kritik von Statistikerinnen und Statistikern. Sie bezog sich auf einen Ausschnitt des Films, der sich besonders weit über soziale Medien verbreitet hat und Millionen mal gesehen wurde - von Telegram über Facebook bis TikTok. Christof Kuhbandner, Professor für Psychologie an der Universität Regensburg, stellt darin eigene Berechnungen zu Impfungen und Sterbezahlen vor. Diese weisen fachliche Mängel auf. Das sagen mehrere Statistikern, mit denen der #Faktenfuchs gesprochen hat und die für diese Recherche nachgerechnet haben.

Kuhbandner fiel schon in der Vergangenheit auf: In einem Seminar an der Universität Regensburg verglich er laut einem Bericht des Deutschlandfunks Anfang 2021 Corona-Maßnahmen an Schulen - die Durchsetzung von Maskenpflicht und Abstandsregeln - mit einem Experiment, bei dem Teilnehmer mit Stromstößen gequält wurden.

2020 veröffentlichte Kuhbandner gemeinsam mit dem Finanzwissenschaftler Stefan Homburg einen Kommentar. Homburg verbreitet in der Pandemie immer wieder Falschinformationen auf; der Autor eines “Spiegel”-Kommentars bezeichnet ihn als “‘Querdenker’-Wortführer”.

Außerdem ist er Mitglied im Verein “Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie”, gegründet von Sucharit Bhakdi. Der ehemalige Professor für Mikrobiologie fällt ebenfalls immer wieder mit teilweise unbelegten, teilweise falschen Behauptungen zu Covid-19 und zur Impfung auf.

Fakultät distanziert sich

Auf Anfrage des #Faktenfuchs zum Fall Kuhbandner verweist die Universität Regensburg auf zwei Stellungnahmen ihres Präsidenten Udo Hebel, konkrete Fragen lässt sie unbeantwortet. Diese Statements vom Dezember 2020 und April 2021 sind allgemein gehalten - der Name Kuhbandner fällt darin nicht. Im ersten heißt es, dass Äußerungen der Mitglieder der Uni zur Corona-Pandemie stets “Verantwortlichkeit und der Wissenschaftlichkeit” gerecht werden müssten. Das bedeute, es sei zu beachten, “zu welchen Fragen man sich in der Öffentlichkeit aus eigener wissenschaftlicher Kompetenz heraus äußern” könne. Privat-persönliche Meinungen seien davon unterschieden deutlich als solche zu kennzeichnen. Spekulative oder politisch instrumentalisierte Beiträge im Kontext akademischer Lehre seien nicht hinnehmbar.

Im zweiten Statement stellt der Uni-Präsident klar, dass “eventuelle Leugnungen der Corona-Pandemie oder Verharmlosungen von COVID-19-Erkrankungen sowie Ablehnungen von wissenschaftlich fundierten, rechtlich abgesicherten und medizinisch gebotenen Schutz- und Hygienemaßnahmen die persönlichen Meinungen der jeweiligen Autor:innen spiegeln” würden. Die Universität distanziere sich, “falls wissenschaftlich nicht fundierte Aussagen durch eine Assoziation mit der Universität Regensburg eine unangemessene Autorisierung oder unzutreffende Legitimation erfahren”.

Etwas deutlicher in ihren Worten werden nach der Veröffentlichung von Kuhbandners Berechnungen und Aussagen bei ServusTV der Dekan, Forschungsdekan und Prodekan der Fakultät für Humanwissenschaften, zu der auch Kuhbandners Lehrstuhl gehört. In einem gemeinsamen Statement schreiben sie am 07. Februar 2022: “Aus gegebenem Anlass möchten wir uns von aktuellen medialen Aussagen nachdrücklich distanzieren, die einen Zusammenhang zwischen Covid-19-Schutzimpfungen und Übersterblichkeit suggerieren.” Sie seien, wie auch annähernd ausnahmslos die gesamte wissenschaftliche Community, davon überzeugt, dass Covid-19-Schutzimpfungen Menschenleben retten.

“Nonsens”-Korrelationen statt nachweisbarem Zusammenhang

In der ServusTV-Reportage vergleicht Kuhbandner die zeitliche Entwicklung der Todesfälle pro Tag und Anzahl der Erst-Impfungen in Deutschland 2021 miteinander. In einem Analyse-Papier, das der Psychologie-Professor Ende Januar veröffentlichte und das Statistik-Fachleute seitdem stark kritisiert haben, macht er das gleiche auch mit Zweit- und Booster-Impfungen. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung widmete Kuhbandners Studie seine “Unstatistik des Monats”, bei dem das Institut jeden Monat publizierte Zahlen und deren Interpretation hinterfragt.

Sein Analyse-Papier hat Kuhbandner auf einem Preprint-Server hochgeladen, der sehr stark für Open Science steht und laut Experten ein sehr niedriges Monitoring hat. Das heißt: Es findet keine verpflichtende Kontrolle statt, zum Beispiel durch Gutachter, die prüfen, ob die hochgeladenen Inhalte plausibel sind. Bei einer Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift wäre das der Fall.

Christof Kuhbandner behauptet in der ServusTV-Reportage, man sehe anhand seiner Darstellung, wie “mit einer ganz leichten zeitlichen Verzögerung” die Kurve der Todesfälle einen identischen Verlauf habe wie die der Erst-Impfungen - zumindest zwischen März und April 2021 und bei der speziellen Visualisierung, die er gewählt hat (siehe Abbildung). In seiner Untersuchung behauptet der Psychologie-Professor, hier eine sehr hohe Korrelation berechnet zu haben - also einen statistischen Zusammenhang zwischen verimpften Dosen und Sterbezahlen. Er kommt zu dem Schluss, dass ein kausaler Effekt, also ein direkter, ursächlicher Zusammenhang - naheliege.

Der #Faktenfuchs hat mit drei Statistik-Professorinnen und Professoren verschiedener Universitäten und Institute sowie dem Statistischen Bundesamt gesprochen; sie alle widersprechen Kuhbandner und erkennen Probleme und Fehler. Im Netz äußerten sich weitere Fachleute und kamen zum selben Schluss: Es handle sich bei den Berechnungen von Kuhbandner um Scheinkorrelationen (“Spurious Correlations”) durch eine mathematisch fehlerhafte Korrelationsanalyse. Außerdem lasse sich ein kausaler Zusammenhang - auch mit einer mathematisch korrekten Korrelationsanalyse - nicht nachweisen.

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In seinem Analyse-Papier berechnet Kuhbandner Korrelationsanalysen, die laut Statistikern mathematisch fehlerhaft sind.

Rechnungen beruhen auf “statistischer Falle”

Aber warum bezeichnen Statistiker die Berechnungen als Scheinkorrelation oder auch “Nonsens-Korrelation”? Kuhbandner hat Daten zu einem Zeitverlauf verwendet, die einen Trend haben, die also steigen oder sinken. Das nennt man in der Statistik "nicht-stationäre" Zeitreihen - und die seien eine “statistische Falle” sagt Dominik Liebl, Statistik-Professor an der Universität Bonn. Mathematisch könne man zeigen, dass Korrelationen zwischen nicht-stationären Zeitreihen keine tatsächlichen Zusammenhänge anzeigen können.

“Wenn es in einer Zeitreihe einen Trend gibt, darf man keine Korrelation bilden, sonst bekommt man eine Scheinkorrelation”, sagt Thomas Bauer, Wirtschaftsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum und Vize-Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, das monatlich Statistiken und deren Verwendung überprüft. Er hat sich gemeinsam mit Katharina Schüller von der statischen Beratung STAT-UP intensiv mit den Berechnungen von Kuhbandner beschäftigt.

Wenn zwei Zeitreihen einen ähnlichen oder gegenläufigen Trend haben, dann bekomme man immer eine hohe Korrelation - auch wenn die beiden Reihen überhaupt nichts miteinander zu tun haben, sagt Bauer. “Aber das sagt absolut gar nichts über einen Zusammenhang aus.” Genau dieses Problem liege bei der Studie von Kuhbandner vor.

Ein anschauliches Beispiel für solche Scheinkorrelationen von nicht-stationären Zeitreihen: Man bekommt zum Beispiel eine fast perfekte Korrelation zwischen dem Durchschnitt des jährlichen Käsekonsums pro Kopf in den USA und der Zahl von US-Amerikanern, die jährlich gestorben sind, weil sie sich in ihrem Bettlaken verheddert haben. Ähnlich bei der Scheidungsrate im US-Staat Maine und dem Margarine-Konsum pro Kopf oder Menschen, die pro Jahr in Pools ertrinken und der Anzahl von Filmen pro Jahr mit Nicolas Cage. Einen sinnvollen Zusammenhang gibt es in keinem dieser Fälle, aber bei allen ist das Problem ein falscher Zusammenhang von zwei Kurven, die steigen oder fallen.

Wer eine Korrelation zwischen Zeitreihen berechnen möchte, braucht laut Statistikern stationäre Daten. Die schwanken um einen Mittelwert, sie haben keinen Trend nach oben oder unten (siehe Abbildung). Bei einer stationären Zeitreihe zum Impfen könnte man zum Beispiel die täglichen Änderungsraten betrachten, wie viele Menschen in Prozent an einem Tag mehr oder weniger geimpft wurden als zuvor. “Die Grundvoraussetzung, dass man stationäre Zeitreihen für eine Korrelations-Rechnung braucht, ist bei den Daten, die Christof Kuhbandner verwendet, nicht gegeben”, sagt Dominik Liebl.

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Zum Vergleich: rechts im Bild die von Kuhbandner verwendeten Daten, links im Bild dieselben Daten umgewandelt in stationäre Zeitreihen.

“Kuhbandner bewegt sich hier außerhalb seines Fachs, der Psychologie”, so Liebl weiter. In der Wissenschaft sei es üblich, in so einem Fall einen Fachexperten mit ins Forschungsprojekt aufzunehmen, um Fehler zu verhindern. Ein Co-Autor oder Gutachter ist bei Kuhbandners Analyse-Papier nicht genannt.

Kuhbandner schreibt auf Anfrage des #Faktenfuchs, er würde mit solchen Befunden “niemals” an die Öffentlichkeit gehen, wenn diese nicht durch zahlreiche weitere Befunde gestützt seien und “wirklich sehr intensiv mit einschlägigen Fachexperten bzw. einschlägigen Institutionen diskutiert worden wären”. Er habe die Befunde vorab mit einer größeren Gruppe an internationalen Statistikern und Wissenschaftlern diskutiert. Es habe auch Email-Austausch mit der Ständigen Impfkommission (STIKO) stattgefunden. Da aber weder die STIKO danach aktiv geworden sei noch das PEI oder das RKI auf seine Anfragen inhaltlich reagiert hätten, habe er es als seine moralische Pflicht gesehen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, schreibt Kuhbandner in einer E-Mail.

Auch existiere inzwischen umfangreicher Email-Austausch zwischen den Statistikern Dominik Liebl, Jörg Stoye von der Cornell University sowie den Statistikern der “Unstatistik des Monats” und ihm. Auch Liebl bestätigt, dass sie nach der Veröffentlichung von Kuhbandners Studie per Email Kontakt hatten. Alle drei Statistiker haben auch öffentlich darauf hingewiesen, dass Kuhbandners Korrelationsanalyse fehlerhaft ist.

Auf Anfrage des #Faktenfuchs streitet Kuhbandner ab, dass seine Berechnungen nur Scheinkorrelationen darstellen, die man laut Statistikern gar nicht interpretieren dürfte, und verteidigt seine Berechnungen mit nicht-stationären Daten. Er meint, aus seinen Berechnungen einen Anfangsverdacht oder ein “mögliches Sicherheitssignal” herauslesen zu können - und verweist bei der Nachfrage nach den statistischen Mitteln darauf, dass sonst die Gefahr bestehe, kausale Zusammenhänge zu übersehen.

Kuhbandner betrachtet nur kleine Zeiträume

Auffällig ist laut dem Statistiker Dominik Liebl auch: Kuhbandner untersucht bei der Berechnung seiner Scheinkorrelationen nur sehr begrenzte Zeiträume - zum Beispiel bei den Erstimpfungen Anfang März bis Ende April (siehe Grafik oben). Gemeinsam mit seinem Kollegen Sven Otto von der Universität Bonn hat Liebl nachgerechnet, wie es für andere Zeiträume aussieht. Die Berechnungen liegen dem #Faktenfuchs vor.

Hier zeigt sich: Wenn man die Erstimpfungen von Anfang März bis Ende Juli 2021 anschaut, den Zeitraum also um drei Monate erweitert, sind die Scheinkorrelationen bereits deutlich kleiner. Betrachtet man die gesamten Impfungen (Erst-, Zweit- und Boosterimpfung) für diesen Zeitraum, so ist die Scheinkorrelation sogar negativ. Der angebliche Zusammenhang, den Kuhbandner auch in der ServusTV-Reportage zeigen will, ist also selbst in seinen Scheinkorrelationen nur für einen sehr begrenzten Zeitraum sichtbar. Das machen die Berechnungen der Wissenschaftler Liebl und Otto für den #Faktenfuchs deutlich.

Psychologie-Professor Christof Kuhbandner schreibt dazu auf Anfrage des #Faktenfuchs, dass es sich bei den genannten Korrelationen nur um beispielhafte Korrelationen handle, um “die mögliche Stärke des Zusammenhangs zu illustrieren”. Den Zeitraum von Anfang März bis Ende April habe er gewählt, weil zuvor der mögliche Zusammenhang durch die starke Covid-Welle zu Beginn des Jahres verzerrt werde und danach der Effekt der Zweitimpfungen hinzukommen würde.

Viele mögliche Gründe für Übersterblichkeit

Als Kuhbandner später in der Reportage von Übersterblichkeit spricht und die Todeszahlen von 2021 und 2020 mit den Jahren 2016 bis 2019 - also vor der Pandemie - vergleicht (siehe Abbildung), sind die Probleme laut den Experten ähnlich. Wieder vergleicht er Zeitreihen, die einen Trend haben, wieder schaut er sich nur einen kleinen Ausschnitt an - genauer gesagt eine einzelne Woche: “In der Kalenderwoche 47 haben wir verglichen mit dem Durchschnitt 2016-2019 4.788 mehr Todesfälle als üblicherweise”, sagt er. Das seien im Schnitt knapp 700 Todesfälle mehr pro Tag. “Das ist so als würden jeden Tag zwei Flugzeuge abstürzen”, sagt er. Ein Vergleich, der hängen bleibt - aber wenig Aussagekraft hat. Letztlich zeigt er nur: In dieser einen speziellen Woche sind wesentlich mehr Menschen gestorben als in den Jahren vor der Pandemie. Dabei ist nicht klar, ob diese Menschen geimpft waren oder nicht.

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Aus der wöchentlichen Anzahl der Todesfälle greift sich Kuhbandner bei ServusTV speziell die Kalenderwoche 47 heraus

Für diese Übersterblichkeit kann es viele Gründe geben, die sich nicht abschließend auflisten ließen, sagt Bettina Sommer, Referatsleiterin für demografische Analysen des Statistisches Bundesamts. Ein Beispiel sind Covid19-Todesfälle. Allerdings lasse sich die Übersterblichkeit nicht allein dadurch erklären, sagt Statistik-Professorin und Expertin für Medizinstatistik Sarah Friedrich von der Universität Augsburg. “Welche Effekte hier genau eine Rolle spielen, lässt sich im Moment nicht genau sagen.”

Doch Kuhbandner sagt, “tausende” Menschen würden womöglich pro Tag an Impfungen versterben - und im Sprechertext wird gefolgert: Wenn sich Kuhbandners Verdacht bestätige, würden Covid-Impfungen ähnlich viele Menschenleben wie die Infektionen fordern. Solche Behauptungen sind nicht belegbar, wie Faktenchecks gezeigt haben.

Das räumt auch Kuhbandner ein. Es sei wichtig festzuhalten, schreibt er auf Anfrage, dass es sich hier nicht um seine Aussage, sondern um eine Aussage des Journalisten handle. Eine wissenschaftlich valide Aussage sei dazu derzeit nicht möglich und die Aussage des Journalisten deshalb nicht valide bewertbar.

Statistiker rechnen nach: Kein nachweisbarer Zusammenhang

Nun könnte man sagen: Was ist denn, wenn man die nicht-stationäre Daten zu Impfungen und Sterbezahlen in stationäre umwandelt - vielleicht gibt es ja doch einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Todeszahlen? Die Statistik-Professoren Thomas Bauer und Dominik Liebl gemeinsam mit seinem Kollegen Sven Otto haben das für den #Faktenfuchs unabhängig voneinander nachgerechnet, anhand der von Kuhbandner verwendeten Daten. Signifikante Korrelationen ergaben sich nicht. Signifikant ist eine Korrelation, wenn sie zu groß ist, um noch als zufällig gelten zu können.

Solche explorativen Analysen - mit den korrekten Daten - für einen ersten Schritt durchzuführen, sei durchaus legitim, sagt Bettina Sommer vom Statistischen Bundesamt. Um kausale Zusammenhänge herzustellen, seien aber immer weitere Analysen notwendig. Das bestätigt auch Kuhbandner auf Anfrage des #Faktenfuchs.

In seinem Analyse-Papier heißt es aber, sein Befundmuster lege einen “kausalen Effekt” zwischen Todeszahlen und Impfungen nahe. “Aus Korrelationen folgen noch lange keine kausalen Schlussfolgerungen, wie Herr Kuhbandner sie zu ziehen versucht, dass aufgrund von Impfungen Todesfälle zustandekommen würden”, sagt Medizinstatistik-Expertin Sarah Friedrich. Auch Bettina Sommer sagt, andere Faktoren wären nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden. Zum Beispiel könne der Einfluss der Hitzewelle im Juni die beobachteten Muster der Übersterblichkeit viel plausibler erklären. Auch der Einfluss der Coronawellen werde bei Kuhbandner nur als Alternativerklärung angeführt und nicht plausibel widerlegt.

Es fehlen individuelle Daten

Für die Rechnung, bräuchte es aber vor allem individuelle Daten: Man müsste also genau wissen, welche Menschen geimpft wurden und welche gestorben sind, zusammen mit Angaben wie Alter und Geschlecht. Solche Daten werden für Deutschland aber nicht gesammelt, was Statistiker seit langem kritisieren.

Anders ist das in Österreich, wo es ein Impfregister gibt. Dort wurde der Einfluss der Impfung auf die Wahrscheinlichkeit zu versterben bereits analysiert. Laut der Untersuchung haben Ungeimpfte ein signifikant höheres Risiko zu sterben als diejenigen, die zumindest eine Impfdosis erhalten haben.

Fazit

Die Reportage von ServusTV zu Impfnebenwirkungen lässt viele Betroffene zu Wort kommen. Was dabei allerdings fehlt, ist eine wissenschaftliche Einordnung, wie häufig die Impfnebenwirkungen sind oder ob Studien bereits einen Zusammenhang der Symptome mit der Impfung untersucht haben. Auch behandelnde Ärzte der Betroffenen kommen nicht zu Wort. Forscher sagen, die Reportage zeichne ein „einseitiges Bild“. Teilweise werden auch unbelegte oder falsche Informationen durch Experten und den Sprechertext des Films verbreitet.

Besonders in der Kritik steht der Regensburger Psychologie-Professor Christof Kuhbandner, der statistische Zusammenhänge zwischen Impfungen und Sterbezahlen berechnet hat und sagt, hier liege ein kausaler Effekt nahe. Dem widersprechen zahlreiche Statistiker. Sie sagen, Kuhbandners Berechnungen lägen Scheinkorrelationen zugrunde. Die Fakultät der Universität Regensburg, zu der Kuhbandners Lehrstuhl gehört, distanziert sich von dessen Aussagen. Aus Analysen für personalisierte Daten aus Österreich geht hervor, dass Ungeimpfte ein signifikant höhere Risiko haben zu sterben als diejenigen, die zumindest eine Impfdosis erhalten haben.