Illustration: Tod in Schlepperhand - Ein Zeuge erzählt
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Die Toten auf der Balkanroute: Tod in Schlepperhand

Ende 2014 fliehen Mohammed (Name geändert) und seine Familie aus dem umkämpfen Damaskus - über die Türkei, Griechenland und die Balkanländer bis nach Österreich. Auf seiner Flucht wird er Zeuge von Todesfällen entlang der "Balkanroute“.

Ende 2014 geraten Mohammed (Name geändert) und seine Familie in Damaskus zwischen die todbringenden Fronten des Syrienkriegs. Für eine legale Flucht nach Europa sieht der 46-jährige Fliesenleger keine Möglichkeit und er zieht los. Über die Türkei, Griechenland und die Balkanländer bis nach Österreich. Auf der Suche nach Todesfällen entlang der „Balkanroute“ ist Mohammed ein seltener Zeuge, denn er erzählt von zwei Flüchtenden, die unterwegs gestorben sind.

Das große Schweigen

Kommen Flüchtende bei Verkehrsunfällen oder bei Zugunglücken ums Leben, bleibt das in der Regel nicht unbemerkt. Doch stirbt ein Mensch, wenn er mit Schleppern unterwegs ist sieht das anders aus. Den Tod von Flüchtenden in Schlepperhand könnten wohl viele (ehemalige) Flüchtende bezeugen, doch die meisten schweigen, da sie Schwierigkeiten befürchten. Waren sie doch unter großem Druck und ohne gültige Dokumente in den Balkanländern unterwegs und wandten sich deswegen nicht an die Polizei. Das Mohammed zwei Todesfälle bezeugt, ist ungewöhnlich, doch auch er möchte anonym blieben.

"Der Kranke bekam keine Luft und hatte große Schmerzen“

Im November 2014 wartet Mohammed im Dorf Vaksince in Nordmazedonien in einem Unterschlupf von Schleppern auf das Weiterkommen in Richtung Serbien, da fällt ihm ein Kranker auf. „Er hat geschrien „Ich kriege keine Luft.“ Es war sehr kalt. Und er ging raus, an die frische Luft. Man sah ihm an, dass er krank war. Sein Gesicht war aschfahl“, erzählt er der ARD. Der kranke Mann windet sich vor Schmerzen. Er ist 55 Jahre alt, ein kurdischer Syrer aus dem Stadtteil Rukn Al-Din in Damaskus und er ist mit seinem Sohn unterwegs. Die Schlepper lassen ihn nicht ins Krankenhaus, weil Polizei in der Nähe sei. Sie holen aber einen Arzt aus der Gegend, der dem Kranken eine Spritze gibt. Doch am nächsten Morgen ist der Syrer tot, erinnert sich Mohammed. „Die Schreie des Sohnes haben uns geweckt: „Papa, Papa!“ hat er gerufen. Ich bin erschrocken und aufgestanden und habe das Bein seines Vaters angefasst. Es war kalt. Da wusste ich, dass er gestorben war.“ Der afghanische Chef der Schleppergruppe nannte sich „Ali Baba“ und trug bunte traditionelle Kleidung und einen Umhang gegen die Eiseskälte, sagt Mohammed. Die Schlepper legen den Toten draußen ab und Mohammed und ein weitere Flüchtender aus Syrien rezitieren bis zum nächsten Morgen aus dem Koran. Vier Schlepper tragen die Leiche dann weg. Der Sohn des Toten begleitet sie und kommt kurze Zeit später zurück.

Förster finden verweste namenlose Leiche

Wird ein Mensch in Schlepperhand krank, sorgen diese nicht für ausreichende medizinische Behandlung, denn sie möchten nicht entdeckt werden. Stirbt ein Mensch in Schlepperhand wollen diese die Leiche unauffällig und schnell loswerden. Tote werden deswegen verscharrt oder einfach liegengelassen, In Wäldern oder auf der Straße. Werden diese Toten überhaupt gefunden, können sie nicht immer identifiziert werden. Nicht bei allen werden Dokumente gefunden. Für suchende Angehörige kann das lebenslange Ungewissheit und großen Schmerz bedeuten. Es kommt vor, dass eine Leiche zufällig von Einheimischen gefunden wird. In Nordmazedonien fanden Förster eine halb verweste Leiche in einem Wald bei Belanovce nahe der Grenze zum Kosovo. Der Mann wurde nicht identifiziert und namenlos auf dem islamischen Friedhof in Kumanovo beerdigt.

Schlepper legen Toten vor Moschee

Im November 2014 trifft Mohammed einen weiteren Flüchtenden mit gesundheitlichen Probleme. Auch dieser hält sich in dem Unterschlupf der Schlepper im Dorf Vaksince in Nordmazedonien auf. Der Mann ist aus Damaskus, um die 40 und wird vorübergehend ohnmächtig. Als er wieder aufwacht, weint er und erzählt Mohammed von seinen drei Kindern. Für diesen Mann holen die Schlepper keinen Arzt. Ein Afrikaner aus der Gruppe der Flüchtenden unternimmt stattdessen einen hilflosen medizinischen Versuch und mischt eine Zucker–Salz–Lösung für den Geschwächten. Mohammed zieht weiter Richtung Serbien und hört unterwegs vom Tod dieses Syrers. Die Schlepper hätten dessen Leiche nicht beerdigt, sondern vor der Moschee des Dorfes Vaksince abgelegt, erfährt Mohammed.

Mit Mohammeds Angaben fahren wir nach Nordmazedonien und finden alles bestätigt. Imam Agim Mehmeti von der Moschee in Vaksince erinnert sich lebhaft an die abgelegte Leiche und zeigt bereitwillig den Fundort. Gläubige hätten den Toten vor der Moschee am frühen Morgen gefunden und daraufhin die Polizei gerufen. Ärzte stellten dessen Tod offiziell fest und die muslimische Gemeinde im nahe gelegenen Kumanovo und organisierte die Beerdigung. Der Tote hatte Dokumente bei sich. Er wurde identifiziert und die Angehörigen konnten informiert werden und kamen zur Beerdigung nach Nordmazedonien.

Mohammed lebt heute mit seiner Familie in Österreich und sie wurden als Bürgerkriegsflüchtlinge anerkannt. Er verfolgt die Recherchen aufmerksam, denn er denkt immer wieder an die beiden Toten zurück.