Eine Schachtel des Medikaments Cytotec.
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Cytotec in der Geburtshilfe: Reaktionen auf BR-Recherche

BR und Süddeutsche Zeitung berichteten von Komplikationen, die im Zusammenhang mit Cytotec in der Geburtshilfe auftreten. Jetzt reagieren hunderte Frauen im Netz. Auch der Bundesgesundheitsminister ist aufmerksam geworden.

In der Geburtshilfe wird ein Medikament eingesetzt, das dafür nie zugelassen wurde, Cytotec. Nach der Gabe kann es nach Recherchen von BR und Süddeutscher Zeitung zu schwerwiegenden Komplikationen bei Mutter und Kind kommen. Auf die Veröffentlichung hin melden sich hunderte Frauen und berichten von ihren Erfahrungen mit dem Medikament.

"Mir wurde diese Tablette auch "verabreicht" - und mein Sohn ist seit Geburt behindert. Ob zwischen der Behinderung meines Sohnes und dem Medikament eine Verbindung besteht - ich weiß es nicht." Frau im Netz
"Ich zittere am ganzen Körper. Ich habe das Medikament bei meiner ersten Geburt auch bekommen. Hätte beinahe meine Gebärmutter bei der Geburt verloren (...)" Frau im Netz

Professor Peter Husslein, Leiter der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Wien, überraschen solche Kommentare nicht. Jeder, der sich damit beschäftige, habe das gewusst, erklärt er im BR-Interview. Ihn verwundert, dass das Medikament weiterhin verwendet werde.

Diskussion um Cytotec in der Geburtshilfe

Andere Mediziner melden sich zu Wort, um den Einsatz von Cytotec in der Geburtsmedizin zu verteidigen. Es werde seit Jahren mit großem Erfolg zum Wohl von Mutter und Kind eingesetzt, schreibt etwa Prof. Franz Kainer, Chefarzt einer bayerischen Geburtsklinik in einer Pressemitteilung. Das Medikament sei zur Geburtseinleitung besonders geeignet, da es das einzige sei, das man schlucken könne. Zudem verringere es im Vergleich zu anderen Methoden der Geburtseinleitung die Kaiserschnittrate.

Professor Husslein kann solche Wortmeldungen nicht nachvollziehen. Er verwende Cytotec in seiner Klinik nicht, weil die Risiken für Mutter und Kind zu hoch seien und die Nebenwirkungen bekannt.

Frauen beklagen mangelnde Aufklärung

In ihren Kommentaren in den sozialen Medien beschreiben Frauen, dass sie nicht ausreichend über Risiken und Nebenwirkungen von Cytotec aufgeklärt worden seien.

"Auch ich bin Betroffene, kenne Wehenstürme und erinnere mich nicht an eine allumfassende Aufklärung über das Medikament vor Einnahme. Heute bin ich schlauer." Frau im Netz

Eine umfassende Aufklärung ist verpflichtend, weil das Medikament ohne Zulassung in der Geburtshilfe verwendet wird. Über diesen sogenannten Off-Label-Use und die Risiken, die mit dem Medikament verbunden sind, müssen Ärzte Patientinnen explizit informieren – ebenso über Behandlungsalternativen.

Das geschehe in der Praxis häufig nicht, kritisiert Professor Thomas Hitschold, Chefarzt am Klinikum Worms. Er arbeitet als Gerichtsgutachter und sagt, dass Frauen vor allem nicht darüber aufgeklärt würden, dass die Wahrscheinlichkeit einer Überstimulation der Gebärmutter höher sei als bei anderen Medikamenten zur Weheneinleitung.

Leitlinien sind veraltet

Nach Recherchen des BR und der SZ ist die richtige Dosierung ein großes Problem: Kliniken dosieren sehr unterschiedlich, teilweise deutlich höher, als die WHO empfiehlt. Die Leitlinien zur Geburtseinleitung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sind seit Jahren abgelaufen. Neue sind in der Entstehung. Auf Anfrage räumt die DGGG ein, dass es Unsicherheiten hinsichtlich der Dosierung, Anwendungshäufigkeiten und Überwachung gebe. Weiter heißt es, dass es eine entsprechende Aufarbeitung geben werde.

Reaktionen aus der Politik

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, sagte, jede Schwangere müsse darauf vertrauen können, während der Geburt optimal betreut zu werden. Das Wohl der Schwangeren und des Kindes sicherzustellen, sei Aufgabe des Gesundheitsministers.

Jens Spahn (CDU) erklärte am Rande einer Pressekonferenz, dass er die Berichterstattung zu Cytotec wahrgenommen habe und dazu Stellung nehme, wenn er das ganze Bild kenne. Bereits Ende Januar hatten BR und Süddeutsche Zeitung die gesammelten Recherchen dem Gesundheitsministerium vorgelegt. Fast alle Fragen blieben seither unbeantwortet, ein Interview hat das Ministerium abgelehnt.