In der sogenannten Feuernacht am 11. Juni 1961 flogen innerhalb weniger Stunden in Südtirol 37 Strommasten in die Luft.
Bildrechte: BR

In der sogenannten Feuernacht am 11. Juni 1961 flogen innerhalb weniger Stunden in Südtirol 37 Strommasten in die Luft.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Bomben gegen Rom - Bayern und der "Freiheitskampf" in Südtirol

Südtirol ist heute eine wohlhabende Region, friedlich und stabil. Anders vor 60 Jahren: Eine Serie von Anschlägen erschütterte die Provinz. Teilweise kam der Sprengstoff aus Bayern. Später wurde der Freistaat sogar zum Rückzugsort einiger Aktivisten.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Heinrich Oberleiter verübte immer wieder Anschläge - das erste Mal bei der sogenannten Feuernacht am 11. Juni 1961. Innerhalb weniger Stunden flogen in Südtirol 37 Strommasten in die Luft. Der damals 20 Jährige und seine Mitstreiter wollten, dass die Energieversorgung in der Region zusammenbricht. Damit sollte der italienischen Regierung, die sie als Besatzungsmacht empfanden, ein empfindlicher Schlag versetzt werden.

Italienisierungspolitik in Südtirol seit dem 1. Weltkrieg

Heute ist Heinrich Oberleiter 79 Jahre alt und lebt im unterfränkischen Gössenheim. Geboren wurde er 1941 im Ahrntal, als viertes von 13 Kindern. Für Südtirol hatte Rom das Ziel der "Italienisierung" ausgegeben. Dafür siedelte die Regierung Tausende Süditaliener in den Norden um. Nach dem 1. Weltkrieg war Südtirol an Italien gefallen. Gegen den Willen der Südtiroler. Die deutschsprachige Bevölkerung, die hier einst 90 Prozent ausmachte, sollte eine Minderheit werden. Stellen im öffentlichen Dienst wurden fast ausschließlich mit Italienern besetzt. Die deutschsprachige Bevölkerung war arm, viele junge Männer wanderten ins Ausland ab. Heinrich Oberleiter fühlte sich "rechtlos und unterdrückt. Das war schon eine sehr, sehr schlimme Zeit."

Leben im Untergrund

Bald wurde Heinrich Oberleiter auf Fahndungsplakaten gesucht. Als einer der "Pusterer Buam", einer Gruppe, die zahlreiche Anschläge verübte. Mit seinen Kameraden musste er in den Untergrund, lebte in den Südtiroler Bergen in Verstecken. Von sympathisierenden Bauern wurden sie häufig mit Essen versorgt. Nachts wanderten die "Pusterer Buam" immer wieder über die Berge nach Österreich, um dort Sprengstoff zu besorgen. Dort wurden sie von Herlinde Molling unterstützt. Die Teilung Tirols wurde in Österreich von vielen Menschen als willkürlich und ungerecht empfunden. Die heute 85 jährige macht im BR-Interview aber klar: "Ich habe keine Aversion gegen Italiener. Mir persönlich ging es nur um Gerechtigkeit, nicht um Volkstum. Man darf jemanden aufgrund seiner Volkstumszugehörigkeit nicht minder behandeln.“

Kontakte nach Österreich und Bayern

Herlinde Molling, damals selbst junge Mutter, transportierte mit ihrem Mann Sprengstoff, baute Sprengsätze - und besorgte Material in München. Dort hatte das Paar einen zweiten Wohnsitz. Herlinde Molling spricht gegenüber dem BR-Politikmagazin Kontrovers darüber, wie im Laufe der Zeit rechtsextreme Kreise - gerade auch aus Deutschland - versuchten, den Widerstand in Südtirol für eigene Zwecke zu nutzen und immer mehr Einfluss gewannen. Die Differenzen über den Umgang mit den Rechten schwächte den Zusammenhalt der Widerstandskämpfer.

"Pusterer Buam" wurden in Abwesenheit in Italien verurteilt

Die italienische Regierung reagierte auf die Anschläge in Südtirol hart. Tausende Soldaten wurden in die Region geschickt, auch Frauen und Mütter von Aktivisten inhaftiert. Es kam zu Folterungen in den Gefängnissen. Die "Pusterer Buam" konnten sich einer Verhaftung entziehen. In Abwesenheit wurden sie zu langen Haftstrafen verurteilt. Auch für Anschläge, an denen sie nicht beteiligt waren. Heute sind sich viele Historiker sicher, für einige Anschläge sind Teile des italienischen Geheimdienstes verantwortlich.

Bayern als Rückzugsort für Südtirol-Aktivisten

Heinrich Oberleiter und ein weiterer der "Pusterer Buam", Sigfried Steger, begannen Ende der 60er Jahre in Bayern ein neues Leben. Die Behörden des Freistaats legten ihnen keine Steine in den Weg, obwohl sie wussten, dass die beiden in Italien steckbrieflich gesucht wurden. Trotz der Fahndung bekam Steger in Bayern sofort Papiere. Im BR-Interview erzählt er von einem Beamten, der begeistert gewesen sei, einen der "Freiheitskämpfer" persönlich kennen zu lernen. "Hoffentlich bekommt ihr mal eine Anerkennung für die Taten, die ihr gemacht habt, meinte der", so Steger. Sein Fazit: "Die Bayern waren Freunde, Patrioten, Tirol-liebend."

Bayerns finanzielle Unterstützung für die Südtiroler

Auch finanziell wurde Südtirol unterstützt. Hier waren hochrangige bayerische Politiker aktiv. zum Beispiel Josef Ertl (FDP), später Bundeslandwirtschaftsminister. Inwieweit er in Anschlagspläne eingeweiht war, ist unklar. Doch mit dem in München ansässigen "Kulturwerk Südtirol" sammelte er Spenden für die Südtiroler Bevölkerung. Zum Missfallen der Italiener. Die "Stille Hilfe Südtirol", die später wegen einer Betrugsaffäre große Bekanntheit erlangte, transferierte ebenfalls hohe Beträge über den Brenner. Auch die Ministerpräsidenten Alfons Goppel und Franz-Josef Strauß (beide CSU) pflegten freundschaftliche Kontakte nach Südtirol.

Verurteilter Südtirol-Aktivist kann bis heute nicht nach Italien

Das Urteil zweimal lebenslänglich gegen Heinrich Oberleiter hat immer noch Gültigkeit. Deshalb kann er in Italien nicht einreisen. Bayern sieht er inzwischen als zweite Heimat. Er hat hier eine Familie gegründet, mehrere Pflegekinder aufgenommen. Jahrzehntelang hat er in einem unterfränkischen SOS-Kinderdorf mit Behinderten gearbeitet. Um mit ihrem Vater einmal gemeinsam in seine alte Heimat reisen zu können, versuchen seine mittlerweile erwachsenen Kinder seit 2018 eine Begnadigung in Italien zu erreichen. Auch der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich für ihn eingesetzt. Bisher allerdings ohne Erfolg. In Italien scheinen die Fronten noch immer verhärtet.

Die Autonomie Südtirols - ein Verdienst der "Freiheitskämpfer"?

Ende der 60er Jahre zeichnete sich eine politische Lösung für die Autonomie Südtirols ab. Seit 1972 genießt Südtirol umfassende Selbstverwaltungsrechte. Viele Aktivisten wie Heinrich Oberleiter und Herlinde Molling stellten ihre Aktivitäten ein. "Es ist ja das Peinliche, dass es dieser Attentate bedurfte, um so weit zu kommen", sagt Herlinde Molling heute. Historiker streiten darüber, ob die Gewalt tatsächlich den politischen Prozess für mehr Selbstbestimmung beschleunigte. Klar ist, die Attentate gehören zur Geschichte der Autonomie Südtirols.

"Darüber spricht Bayern": Der BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!