Pilgerin auf dem Jakobsweg durchwandert die herbstliche Meseta auf dem Weg von Itero de la Vega nach Boadilla del Camino
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Pilgerin auf dem Jakobsweg durchwandert die herbstliche Meseta auf dem Weg von Itero de la Vega nach Boadilla del Camino

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Belästigt beim Pilgern - Frauen allein auf dem Jakobsweg

Jedes Jahr gehen tausende Pilger den Jakobsweg. Darunter sind viele Frauen - mitunter auch alleine. Spanien hat jetzt die Initiative "Du gehst nicht alleine" gestartet. Denn die Erfahrung zeigt: Pilgern als Frau allein birgt gewisse Risiken.

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Auf dem Jakobsweg - oder Camino, wie die Spanier sagen - laufen alljährlich tausende Pilgerinnen und Pilger aus aller Welt. Ziel ist die Kathedrale zu Ehren des Apostels Jakobus im nordwestspanischen Santiago de Compostela. Manche kommen in Gruppen - andere bewusst alleine, so wie auch Gudrun aus Potsdam. Wie üblich auf Pilgerreise nennt sie bloß ihren Vornamen, auf dem Jakobsweg ist man schließlich per Du, ob alt oder jung, fremd oder Freund, Mann oder Frau.

Als Frau auf dem Jakobsweg: "Vorsicht ist besser als Nachsicht"

Sie sei den Küstenweg entlang gegangen, von Porto aus, alleine, erzählt sie. "Streckenweise bin ich auch mit jemandem gegangen, weil es sich so gefunden hat, aber jeder geht seinen Weg - und es sind viele Frauen alleine. Ich bin aber auch nicht im Dunkeln losgegangen, dass man Angst haben könnte vielleicht als Frau!"

Vorsicht sei eben besser als Nachsicht, sagt die 57-Jährige, zumal als Frau in der Fremde. Für Gerda Montkowski ist der Jakobsweg indessen kein fremdes Terrain mehr. Die Rheinländerin engagiert sich ehrenamtlich in der deutschen Pilgerseelsorge in Santiago, hat damit also ein offenes Ohr für alles, was ankommende Pilgerinnen von unterwegs erzählen.

Negative Erlebnisse wie Exhibitionisten sind selten

Negative Erlebnisse von Frauen, die sich alleine auf den Jakobsweg gemacht haben, seien selten. Aber sie wisse von einer Frau, die einem Exhibitionisten begegnet sei. Dadurch, dass sie ihn einfach ausgelacht habe, habe sie sich aus der Situation gerettet - der Mann sei dann ganz schnell weg gewesen. "Ich weiß aber auch von einer Frau", erzählt Gerda Montkowski, "die auf dem Weg Ähnliches erlebt hat, das aber nicht verkraften und wegstecken konnte, sondern daraufhin abgebrochen hat".

Im Jahr 2018 sorgte der Fall einer Venezolanerin für Schlagzeilen: Die damals 50-Jährige wurde fünf Wanderstunden von Santiago entfernt von zwei Männern vergewaltigt und nackt zurückgelassen. Drei Jahre vorher verschwand eine US-amerikanische Pilgerin spurlos, Monate später fand die spanische Polizei ihre Leiche. Der ermittelte Täter hatte sie aus Habgier erschlagen.

"Das Großartige am Camino: du läufst nie wirklich alleine"

Davon haben sich die Pilgerinnen in der laufenden Saison aber nicht abschrecken lassen, ob alleine oder mit anderen Frauen unterwegs. "Das Großartige am Camino ist, dass du nie wirklich alleine läufst", erzählt eine englische Pilgerin. Man bekomme viel Unterstützung von den Leuten in den Dörfern und Städten auf dem Weg.

Das mag der Popularität des Jakobsweges in die Hände gespielt haben: 2019, ein Jahr vor Beginn der Pandemie, wurden in Santiago so viele Pilgerurkunden wie nie zuvor ausgestellt: 347.578 Pilgerinnen und Pilger bekamen offiziell bestätigt, dass sie mindestens 100 Kilometer zu Fuß oder 200 Kilometer mit dem Rad bis Santiago zurückgelegt haben.

Übergriffe bei Übernachtungen in Pilger-Herbergen

Bei all dem Pilger-Hype sollte man gerade als allein pilgernde Frau aber trotzdem auf der Hut sein, sagt Rudolf Hagmann, Priester aus dem Bistum Rottenburg-Stuttgart und Leiter der deutschen Pilgerseelsorge in Santiago. "Man kann jetzt nicht einfach sagen, die Pilgerinnen sollen einfach in einer heiligen Naivität sich auf den Weg machen. Sie sollen wissen um diese Gefahr."

Tatsächlich gäbe es nämlich nicht nur auf den täglichen Etappen, sondern auch in den nächtlichen Domizilen gewisse Risiken: "Dass es Übergriffigkeiten in Herbergen gibt, das weiß ich, weil Frauen davon berichten", sagt Rudolf Hagmann. "Das fängt nicht erst bei einer Vergewaltigung an, sondern Übergriffigkeit passiert eben immer dann, wenn man den nötigen Abstand nicht wahrt. Und denkt, man kann sich jetzt einfach hier auf die Pirsch machen und jemanden rumkriegen. Und wenn Frauen in einer privaten Herberge unterkommen, ist es manchmal wirklich eine brenzlig-gefährliche Situation."

Sprachbarriere: Viele Frauen wenden sich gar nicht erst an Polizei

Rudolf Hagmann verweist etwa auf das, was eine Pilgerin erleben musste, die sich dem Seelsorger anvertraut hatte: "Eine Erfahrung, wo ein Herbergs-Mensch sie richtig begrabschen wollte und die sich dann zu recht gewehrt hat. Also plötzlich mitten in der Nacht zu spüren, hoppla, da macht sich jemand an mich heran! Die war richtig traumatisiert!"

Wie viele vergleichbare Fälle es gibt, lässt sich nicht ermitteln. Denn im Ausland ist anzunehmen, dass sich viele Frauen gar nicht erst an die Polizei wenden, schon wegen der Sprachbarriere.

Spanische Regionen starten die Initiative "No caminas sola"

Deshalb haben die spanischen Regionalregierungen im vergangenen Jahr die Initiative "No caminas sola" gestartet: Sie richtet sich schon dem Namen nach speziell an allein pilgernde Frauen: "Du gehst nicht allein". Im vergangenen Jahr wurden erstmals Plakate mit QR-Codes aufgehängt. Die schwarz-weißen Codes lassen sich mit dem Handy scannen, um etwa schnell an die Nummer der nächsten Polizeistelle zu kommen.

Anfang August dieses Jahres wurde die Initiative ein zweites Mal aufgelegt - mit Nachjustierungen, erklärt Maria Rivas, stellvertretende Regierungsdelegierte in A Coruña. Das Pilotprojekt habe vergangenes Jahr gezeigt, dass es gut funktioniert und angenommen wird. "Deshalb haben wir es jetzt verbessert, mit noch mehr Informationen auf noch mehr Plakaten und Broschüren. Wir haben sie an noch mehr Apotheken und Herbergen verteilt und bewerben so unsere Kampagne." Außerdem gebe es jetzt auch verschiedene Apps, die eine komplette Geolokalisierung auf dem gesamten Weg möglich machten, so Maria Rivas.

Per App immer den Standort mit den Liebsten daheim teilen

Alle, die eine der angebotenen Apps benutzen, können sich damit orten lassen und ihre Route mit den Liebsten zu Hause teilen. Bleibt also abzuwarten, ob das Investment auch jenen Frauen die Hemmungen nimmt, die bislang einzig aus Zweifeln an der Sicherheit nicht losgepilgert sind.

Einen zahlenmäßigen Wiederanstieg an zahlenden Pilgerinnen und Pilgern erhoffen sich die spanischen Regionalregierungen jedenfalls so oder so: Denn die Pilgerzahlen haben sich im Vergleich zum Rekord von 2019 fast halbiert - wegen Corona, wohl gemerkt, und nicht aus Scheu vor potenziellen Übergriffen.

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