Demonstration: Kritik gegen Russland-Sanktionen
Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd Wüstneck

In Schwerin demonstrieren Menschen gegen die Energiepolitik im Nordosten.

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"Alternative zum Krieg" – wie wirksam sind Sanktionen?

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine haben knapp 40 Länder Wirtschaftssanktionen gegen Moskau verhängt. Wie wirksam sind die Sanktionen? Sind sie das richtige Mittel, um das Verhalten von Staaten zu ändern?

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Das Konzept ist rund 100 Jahre alt, doch es zeigte im selben Zeitraum eine eher durchwachsene Wirkung. Dabei hielt ihr politischer "Erfinder" Sanktionen als Mittel zur Veränderung politischer Entscheidungen ausländischer Mächte für eine geeignete Alternative zum Krieg: 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, hegte der damalige US-Präsident Woodrow Wilson große Erwartungen: Sanktionen seien etwas "Gewaltigeres als der Krieg", zeigte sich Wilson überzeugt.

"Wenden wir diese wirtschaftliche, friedfertige, stille, tödliche Medizin an und es wird keine Notwendigkeit geben, Gewalt anzuwenden." Woodrow Wilson, US-Präsident im Jahr 1919

Im Rückblick erscheinen die Hoffnungen, die Wilson und seine Zeitgenossen in die Wirksamkeit von Wirtschaftssanktionen gesetzt hatten, im besten Fall optimistisch.

Nur zu einem Drittel sind Sanktionen erfolgreich

Der US-Politikwissenschaftler Gary Hufbauer untersuchte rund 200 Fälle der vergangenen 90 Jahre, in denen Sanktionen gegen einzelne Staaten verhängt worden waren. Nur in rund einem Drittel dieser Fälle seien die verhängten Sanktionen erfolgreich gewesen. In denjenigen Fällen, in denen die USA einseitig und ohne die Unterstützung verbündeter Staaten Sanktionen verhängt hatten, sei die "Erfolgsquote" auf ein Fünftel abgesunken. Hufbauers Erklärung, warum die US-Regierung dessen ungeachtet auf Sanktionen setzt:

"Die Sanktionen sollen der Bevölkerung das Gefühl geben, dass ihre Regierung etwas gegen das schlechte Verhalten des sanktionierten Landes tut." Gary Hufbauer, US-Politikwissenschaftler

Oder anders ausgedrückt: "Wirtschaftssanktionen werden heutzutage generell als eine Alternative zum Krieg angesehen," so der amerikanische Wirtschaftshistoriker Nicolas Mulder.

Welche Wirkung haben Sanktionen in den betroffenen Ländern?

In zahlreichen wissenschaftlichen Studien über die Effekte und Wirkungsweise von Sanktionen werden Nachweise angeführt, wonach autokratische Herrscher bzw. Regime länger an der Macht bleiben, wenn sie mit Sanktionen belegt wurden. Die Repressionen nach innen, gegenüber der eigenen Bevölkerung, nehmen zu.

Opposition und unabhängige Medien werden bedrängt und ausgeschaltet. Autokratische oder diktatorische Regime, wie Nordkorea, Iran, Syrien und Russland, ändern trotz massiver Wirtschaftssanktionen ihr Verhalten nicht. Sie nehmen vielmehr die erheblichen, langfristig wirkenden Einbußen ihrer volkswirtschaftlichen Leistungskraft billigend in Kauf, um ihre nuklearen Aufrüstungsambitionen bzw. ihre völkerrechtswidrigen Angriffs- und Annexionskriege fortzusetzen.

Studie zu früheren Sanktionen gegen Iran und Russland

Das Institut der deutschen Wirtschaft und das Kieler Weltwirtschaftsinstitut haben Ende Oktober anhand zweier Beispiele die zentrale Frage zu beantworten versucht, welche Rolle die Bildung von Koalitionen bei der Durchsetzung von Sanktionen spielt.

Die Sanktionen gegen den Iran, die 2012 verhängt worden sind, und die Sanktionen gegen Russland von 2014 (nach der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Krim), hätten "spürbar gewirkt", heißt es in der Studie. Die Exporte des Iran seien in der Folgezeit um über 40 Prozent gesunken. Die Importe seien um über 80 Prozent zurückgegangen. Ein ähnliches Bild bei Russland: Dort seien die Ausfuhren um mehr als ein Drittel gesunken, bei den Einfuhren um 30 Prozent. Der Effekt der Sanktionen wäre noch größer gewesen, wenn sich mehr Länder an den Strafmaßnahmen beteiligen hätten.

Zu schwache Sanktionen nach 2014?

Politisch jedoch, so zitiert das US-Magazin "The New Yorker" die Einschätzung eines damals beteiligten Mitarbeiters im US Finanzministerium, hätten die Sanktionen von 2014 keinen Eindruck auf Präsident Putin gemacht. Im Gegenteil: Putin hätte acht Jahre Zeit gehabt, um die westlichen Sanktionen abzufedern. So habe der Kreml seine Währungsreserven deutlich verstärkt und Scheinfirmen im Ausland gegründet, um weiterhin Hochtechnologie-Produkte beschaffen zu können.

Wladimir Aschurkow, russischer Oppositionspolitiker und Stellvertreter Alexei Nawalnys "Stiftung für Korruptionsbekämpfung", gibt gegenüber dem "New Yorker" die Einschätzung ab: Wenn die Sanktionen, die nach dem 24. Februar verhängt wurden, schrittweise nach der Krim-Annexion verhängt worden wären, hätte die jetzige Tragödie verhindern werden können. "Im Februar 2022 erwartete Putin nicht viel Vergeltung."

"Beispiellose Effekte auf die russische Volkswirtschaft"

Die russische Wirtschaft befindet sich nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft in einer Abwärtsspirale. Die westlichen Sanktionen hätten unter anderem massive Einbrüche der russischen Einfuhren bewirkt: Importe aus Kanada seien mit einem Minus von 98 Prozent im Juni zum Vergleich des Vorjahresmonats fast vollständig zum Erliegen gekommen. US-Importe nach Russland sanken im Juni 2022 um 89 Prozent, EU-Importe um 46 Prozent. Auffällig ist, dass auch die chinesischen Einfuhren nach Russland um mehr als die Hälfte zurückgegangen sind. Allein die Türkei hat ihre Importe gen Russland deutlich gesteigert.

Nach Ansicht vieler Ökonomen, so das Institut der deutschen Wirtschaft, würden die Sanktionen des Westens, die zum Teil schon wirkten, "in einigen Jahren beispiellose Effekte auf die russische Volkswirtschaft haben."

Es sei vorhersehbar gewesen, dass die Sanktionen acht Monate nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine "nicht den Krieg zu Ende gebracht haben", analysiert die Politologin Carla Norrlöf von der Universität Toronto. Sie hätten aber "den russischen Einfluss auf den Westen dramatisch verringert."

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