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Angela Merkel unter Druck

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Kanzlerin Merkel bei EU-Gipfel in Brüssel unter Druck

In Brüssel hat heute ein spannungegeladener Gipfel begonnen. Es geht um nichts weniger als die Union von CDU und CSU und den Bestand der Regierung Merkel. Manche sehen sogar die Zukunft Europas in Gefahr. Von Andreas Meyer-Feist

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Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Angela Merkel unter Druck - aber sie läßt es sich nicht anmerken. Bei ihrer Ankunft in Brüssel stellt sich Frankreichs Präsident Macron ihr in den Weg, demonstrativ vor allen Kameras, schenkt der Kanzlerin ein ermutigendes Lächeln und gibt ihr einen hörbaren Kuß auf die Wange. Merkel läßt es sich sichtlich gerne gefallen. Das Signal: wir halten zusammen.

Merkel auf der Suche nach Unterstützern

Unterstützung braucht Merkel wohl dringend auf dem europäischen Parkett: Es geht um die Zukunft der Koalition - um den Bestand ihrer Regierung, um ihr Amt, aber auch um die Glaubwürdigkeit ihres CSU-Innenministers Seehofers, der ihr weitreichende Forderungen mit auf den Weg nach Brüssel gegeben hat. Aber die zeichnen sich noch nicht ab.

Dafür liegt ein umstrittener Vorschlag liegt auf dem Tisch, der die Migrationsfrage auslagern soll. Flüchtlinge sollen gar nicht erst EU-Boden betreten können - sondern schon außerhalb untergeracht werden. Zum Beispiel in Ländern Nordafrikas. Darüber könne man diskutieren, sagt Merkel. Mit einer Einschränkung: "Man muß mit den Ländern sprechen, nicht über sie!" 

Kurz rechnet mit Nachtsitzung

Österreichs Bundeskanzler Sebastain Kurz, der zu Seehofer enge Kontakte pflegt, aber gleichzeitig die Konsequenzen seiner Drohungen fürchtet, wenn Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen werden, rechnet mit einer langen Nachtsitzung. Er zeigt sich aber optimsitisch, dass externe Lösungen gefunden werden, die auch den innenpolitischen Konflikt in Deutschland dämpfen können:

"Wir werden uns auf sogenannte Anlande-Plattformen außerhalb Europas einigen, dann werden Migranten, die sich illegal auf den Weg machen, nicht automatisch nach Europa gebracht werden." Sebastian Kurz, Bundeskanzler Österreichs

Aber genau hier gibt es auch große Bedenken. EU-Kommissionschchef Jean Claude Juncker warnte vor zu großen Erwartungen:

"Nordafrikanische Länder mögen es nicht, fremd bestimmt zu werden, wenn dieses Signal von uns ausgehen sollte, dann geht die Sache schief!" Jean-Claude Juncker, EU-Kommsissionschef

Sofortlösung gesucht

"Anlandeplattformen" für Flüchtlinge außerhalb der EU - für Juncker allenfalls ein mittelfristiges Projekt - keine Sofortlösung. Die ist aber gefragt - mit Blick auf die deutsche Innenpolitik. Die CSU und Bundesinnenminister Seehofer wollen Lösungen vor allem für die EU-Binnengrenzen, vor allem aber Zurückweisungen an der deutschen Grenze. Seehofer droht mit rigiden Kontrollen und der Zurückweisung von Menschen, die schon in Österreich, Italien oder einem anderen EU-Land Asylverfahren durchlaufen.

In einem Punkt kommt Merkel Seehofer entgegen. Flüchtlinge könnten es sich nicht aussuchen, "in welchem Land sie ein Asylverfahren durchlaufen". Ein Kompromiss könnte sein: Die Zuständigkeiten werden schneller geprüft - nicht mehr nach oft wochen- oder monatelangen Wartezeiten und Verfahren in Deutschland. Auch darüber wird heute gesprochen. 

Merkel strebt bilaterales Rücknahme-Abkommen an

Zum Auftakt war die Kanzlerin mit dem italienischen Regierungschef Conte zusammengekommen. Merkels Ziel: Ein bilaterales Rücknahme-Abkommen für schon registrierte Flüchtlinge, die weiter nach Deutschland ziehen und an der Grenze aufgehalten werden. Ob Conte sich einen solches Abkommen vorstellen kann, ließ er nach dem Gespräch offen. Seine Forderung: erst einmal die EU-Aussengrenzen gegen Migranten "abschotten" und "Asylzentren" ausserhalb Europas. "Es ist genug geredet worden, wir brauchen jetzt Taten!"

Merkels Ziel, mit bilateralen Abkommen ihr innenpolitisches Problem zu lösen, kommt nicht überall gut an: "Wir brauchen keine Alleingänge, wir brauchen europäische Lösungen", warnte Luxemburgs christdemokratischer Regierungschef Xavier Bettel. Dann harsche Worte in Richtung CSU: "Es kann nicht sein, dass irgend eine bayerische Partei entscheidet, wie Europa funktioniert!"

"Es kann nicht sein, dass eine bayerische Partei entscheidet..."

Nur von ihm gab es so deutliche Worte zum Konflikt zwischen Merkel und Seehofer. Andere Regierungschefs wollten sich zumindest öffentlich nicht einmischen. Auch Ungarns nationalkonservativer Ministerpräsident Victor Orban nicht. Er pflegt beste Beziehungen zu Seehofer und der CSU. Für Orban geht es um zwei zentrale Ziele: "Stop the Migrants. Und die, die schon bei uns sind, müssen zurück gebracht werden."

Mit solchen Positionen dürfte er es in Brüssel nicht einfach haben. Auch jene Staten, die eine harte Linie in der Flüchtlingspolitik fahren wollen wie Österreich, setzen auf differenzierte Lösungen: "Wenn wir heute nicht weiterkommen, ist Europa irgendwann in Gefahr", warnte der Präsident des Europaparlaments, Tajani.

Ob Angela Merkel in Brüssel bekommt, was sie von der EU jetzt braucht, nämlich einen Beschluss, der auch die CSU zufriedenstellt, ist noch völlig offen. Und: Er wird sich wohl auch erst nach dem Gipfel in München und Berlin entscheiden. Denn hier will man am Wochenende die Bewertung vornehmen und spätstestens am Montag über das weitere Vorgehen entscheiden, wie Seehofer gestern in der ARD-Talksendung "Maischberger" verkündete. 

Europa ohne Seehofer vorstellbarer als ohne Merkel

Klar wurde in Brüssel aber auch: Die meisten EU-Regierungschefs können sich ein Europa wohl ohne Seehofer noch eher vorstellen als ein Europa ohne Merkel. Und ein handlungsunfähiges Deutschland ist - trotz aller Kritik an der größten EU-Volkswirtschaft wegen ihrer politischen und ökonomischen Dominanz - vor allem für Frankreich eine wahre Horror-Vorstellung. Zumal Macron Merkel braucht - bei der Umsetzung seiner EU-Reformideen vor allem für den Euroraum.