1. Die CSU gibt sich zufrieden, der Unionsstreit ist beigelegt
Eine Stärkung der EU-Außengrenzen, Flüchtlingslager in Afrika und Südeuropa, eine geordnete Verteilung anerkannter Flüchtlinge auf mehrere EU-Staaten - die CSU übernimmt den Narrativ zahlreicher CDU-Politiker, wonach in Brüssel ein "Durchbruch" erreicht wurde. Sie verweist darauf, dass ein Großteil der Einigung nur zustande gekommen sei, weil die CSU die Kanzlerin und letztlich Europa dazu zwang. Was die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenzen betrifft, argumentiert die CSU, es sei nicht mehr nötig, das im nationalen Alleingang anzuordnen - weil damit zu rechnen sei, dass Flüchtlinge in Zukunft in aller Regel gar nicht mehr die deutsche Grenze erreichen. Kurzum: Die CSU macht sich die Brüsseler Gipfelbeschlüsse zu Eigen, erklärt sie für "wirkungsgleich" mit nationalen Zurückweisungen an der Grenze und verkauft sie im Wahlkampf als ihren Erfolg. Ein Seehofer-Alleingang, eine Entlassung durch die Kanzlerin, ein Ende der Koalition und der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU sowie ein Sturz von Angela Merkel sind auf absehbare Zeit vom Tisch. Wahrscheinlichkeit: kann sein.
2. Die CSU ist nicht zufrieden, Seehofer ordnet Zurückweisungen an
Der Bundesinnenminister beruft sich auf Punkt 11 des Brüsseler Einigungspapiers. Darin steht zwar, dass die EU-Staaten beim Kampf gegen die Weiterreise von Asylsuchenden von einem Mitgliedsland gesetzgeberische und administrative Maßnahmen ergreifen und dazu zusammenarbeiten sollen - aber nicht, dass sie das müssen. Also entscheidet Seehofer allein, im Bewusstsein, dass vor allem mit Italien gar keine Zusammenarbeit möglich ist. Wie angekündigt und gegen den ausdrücklichen Willen der Kanzlerin lässt er bestimmte Flüchtlinge an deutschen Grenzen abweisen. Um ihre Autorität als Regierungschefin nicht infrage stellen zulassen, kann Merkel gar nicht anders, als Seehofer rauszuwerfen. Daraufhin treten die beiden anderen CSU-Minister zurück, die Partei kündigt ihre Regierungsbeteiligung auf und beendet die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU. Eine neue Mehrheit im Bundestag findet sich weder für Angela Merkel noch für einen anderen CDU-Politiker. Merkel stellt und verliert die Vertrauensfrage, es gibt Neuwahlen. Kurzum: maximale Eskalation. Wahrscheinlichkeit: inzwischen wieder sehr gering.
3. Die CSU lenkt vorerst ein, aber der Unions-Streit schwelt weiter
Ob Flüchtlingslager in Afrika wirklich gebaut werden, ist ungewiss. Ob anerkannte Flüchtlinge aus Zentren in Südeuropa wirklich gerecht in Europa verteilt werden, weiß niemand. Und an der deutschen Grenze kommen - Gipfelbeschlüsse hin oder her - immer noch Flüchtlinge an. Deshalb ist die CSU mit dem Ergebnis alles andere als zufrieden, scheut aber die völlige Eskalation und deren Konsequenzen und verzichtet deshalb auf einen Alleingang von Innenminister Seehofer gegen den Willen der Kanzlerin. Der Streit mit der CDU aber sitzt tief; die wechselseitigen Vorwürfe der vergangenen Wochen sind nicht vergessen und belasten das Klima. Dazu kommt, dass sich die CSU gezwungen sieht, im Landtagswahlkampf dringend einen eigenen Erfolg vorzuweisen, etwas, das sie gegen den Willen der CDU durchgesetzt hat. Sie geht deshalb bei nächster Gelegenheit auf Konfrontationskurs und blockiert ein wichtiges Gesetzesvorhaben der CDU oder der SPD. Wahrscheinlichkeit: gut möglich.
4. Der Unions-Streit verlagert sich komplett in die CSU
Die CSU-Landesgruppe im Bundestag ist erleichtert: Der Streit mit der CDU ist beigelegt, Regierung und Koalition können ohne größere Nebengeräusche weiter arbeiten. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, als harter Hund und Merkel-Kritiker bekannt, steht hinter dem Brüsseler Beschluss und versammelt seine Bundestagsabgeordneten hinter sich. In der Landtagsfraktion in München bewertet man die Lage völlig anders. Die Einigung in Brüssel ist ein Sieg für Angela Merkel und damit eine Niederlage für die CSU - und bei den Menschen in Bayern kommt das auch so an. Die Abgeordneten brauchen im Landtagswahlkampf aber sichtbare Erfolge. Die innerhalb der Partei einflussreiche Fraktion dringt also darauf, in Berlin weiter die Konfrontation mit der CDU zu suchen - eine Forderung, die bei der CSU-Landesgruppe in Berlin auf erbitterten Widerstand stößt. Der Riss innerhalb der Union verläuft jetzt also nicht mehr zwischen CDU und CSU - sondern mitten durch die CSU. Wahrscheinlichkeit: gering.