Die Archäologen und eine Bauforscherin stehen zwischen den Mauerresten einer privaten römischen Badeanlage.
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Auch eine eigene, private Badeanlage gehörte zu dem großen Wohnhaus, dessen Überreste Archäologen jetzt in Kempten freigelegt haben.

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Wiege der Stadtkultur in Bayern: Neue Römerfunde in Kempten

Kempten ist eine der ältesten Städte Deutschlands. Die 2.000-jährige Geschichte ist gut erforscht. Archäologen haben jetzt weitere Funde gemacht. Sie sind sich sicher: Die Städtekultur in Bayern hat in Cambodunum begonnen.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

2.000 Jahre alte, gut erhaltene Estrichböden, Türschwellen aus der Zeit kurz nach Christi Geburt und Reste von Wandmalereien an den Mauern: Was die Archäologen in den vergangenen Monaten mitten im Archäologischen Park Cambodunum in Kempten großflächig freigelegt haben, ist eine kleine Sensation. Im Boden unter einem Kinderspielplatz schlummerten die gut erhaltenen Überreste von noblen Privathäusern im Zentrum der römischen Stadt Cambodunum.

Frühe Steinbebauung – einzigartig in Süddeutschland

Das Spannendste für die Archäologen an den Funden: Sie gehörten zu privaten Steinhäusern. "Solche Privatbebauung in Stein finden Sie in Süddeutschland zu dieser frühen Zeit – Anfang des ersten Jahrhunderts – nirgends", sagt Johannes Schießl von der Stadtarchäologie Kempten. Das heißt: Während anderswo die römischen Siedler noch in Holz- und Lehmgebäuden hausten, residierte die High Society in Cambodunum offenbar schon in schicken gemauerten Stadthäusern.

Römischer Wohnkomfort auf 800 Quadratmetern

Auf der großen Fläche gleich neben dem rekonstruierten Tempelbezirk haben Studenten der Ludwig-Maximilians-Universität München unter anderem die Überreste eines Wohnhauses mit 800 Quadratmetern Grundfläche freigelegt. Das Haus verfügte über den aktuellsten römischen Wohnkomfort – darunter eine private Badeanlage und eine Fußbodenheizung.

Unerwartetes Geschenk für die Archäologen

Zwar hätten sie von früheren Grabungen gewusst, dass an der Stelle die Mauern von Wohnhäusern im Boden schlummern, sagt Archäologe Schießl. Aber dass sie auf einer so großen Fläche so gut erhaltene Überreste luxuriöser, gemauerter Wohnhäuser finden würden – das war eine faustdicke Überraschung. "Man kann es vergleichen mit einem Kind zu Weihnachten, das das Geschenk auspackt und nicht damit gerechnet hat, das zu bekommen, was man sich gewünscht hat."

Stadtkultur Bayerns beginnt in Kempten

Für die Leiterin der Kemptener Stadtarchäologie, Maike Sieler, beweisen die Funde: Zu den Anfängen der Römerzeit in Bayern war Cambodunum der zentrale Ort. "Die Römer haben hier nach mediterranem Plan und Vorbild eine Stadt am Reißbrett geplant und in den ersten Jahrzehnten nach Christus mit hochwertiger Steinarchitektur die Häuser gebaut. Das heißt: Das sind die Anfänge der Stadtkultur in Bayern."

Bildrechte: Maria Kohle / Kulturamt Kempten
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Auf über 800 Quadratmetern haben die Archäologen Überreste privater Wohnhäuser freigelegt.

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Salvatore Ortisi, Professor für Provinzialrömische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat die Grabungen in Kempten geleitet. Die Funde sind auch für den erfahrenen Fachmann etwas Besonderes: "Kempten ist das Paradebeispiel einer römischen Planstadt", sagt Ortisi. "Hier lässt sich die Erschließung und Urbanisierung der Gebiete nördlich der Alpen durch Rom in hervorragender Weise nachvollziehen. Diese keltisch-römischen Anfänge bilden die Wurzeln vieler unserer heutigen Städte und haben die kulturelle Entwicklung Süddeutschlands ganz entscheidend geprägt."

Ausgrabungen "wie eine Zeitmaschine"

Die Funde werden jetzt wissenschaftlich dokumentiert und anschließend – zu ihrem Schutz – wieder verschüttet. Langfristig sollen sie aber im Archäologischen Park Cambodunum öffentlich präsentiert werden. Denn so gut erhaltene Überreste findet man auch in einer alten Römerstadt wie Kempten selten. "Da schlägt das Archäologenherz höher", sagt Stadtarchäologin Maike Sieler. "Wir stehen vor dieser Badeanlage und vor den noch erhaltenen Fußböden und wissen: Da wandelten vor 2.000 Jahren die Einwohner von Cambodunum – das ist ein bisschen wie eine Zeitmaschine!"

Älteste schriftlich erwähnte Stadt Deutschlands

Die Stadt Cambodunum wurde um Christi Geburt gegründet und war – bis das heutige Augsburg zur Hauptstadt der Provinz Rätien wurde – als Statthaltersitz das zivile Oberzentrum der Region. Von hier aus starteten die Römer die Besiedlung des heutigen Bayern. Kempten gilt mit seiner römischen Vergangenheit als älteste schriftlich erwähnte Stadt Deutschlands.