Schutzmaßnahme: Polizeifahrzeug vor Synagoge
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Schutzmaßnahme: Polizeifahrzeug vor Synagoge

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Wie eine jüdische Gemeinde in München der Angst begegnet

Nach der Terrorattacke der Hamas auf Israel wächst auch die Angst von Jüdinnen und Juden in Deutschland. Beschimpfungen und Angriffe nehmen sprunghaft zu - bis hin zu Brandanschlägen. Eine jüdische Gemeinde in München stellt sich der Situation.

Über dieses Thema berichtet: Politik und Hintergrund am .

Die Terrorattacke der Hamas auf Israel hat auch Auswirkungen auf das Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland. Beschimpfungen und Attacken nehmen sprunghaft zu. Die jüdische Gemeinde Beth Shalom in München stellt sich der Angst. In der Synagoge dieser liberalen Gemeinde haben sich Gäste angekündigt: eine Gruppe Ehrenamtlicher des Sozialdienstes katholischer Frauen.

Sicherheitsvorkehrungen verstärkt

Die Besucherinnen werden einzeln durch die Sicherheitsschleuse gelassen - nach genauer Kontrolle ihrer Taschen und Papiere. Kopien ihrer Personalausweise mussten sie schon zwei Wochen zuvor an Beth Shalom schicken - zur Sicherheitsüberprüfung.

Es ist die vorerst letzte Besuchergruppe, die Eva Ehrlich, Vorsitzende von Beth Shalom, in der Synagoge empfangen wird. "Es ist zu gefährlich, weil dann Leute von außen kommen. Und da müssen wir sehr aufpassen", sagt Ehrlich. Auch Veranstaltungen seien auf eine Zeit nach dem Krieg verschoben worden.

Angst und Panik in jüdischer Gemeinde

Vor allem unmittelbar nach der blutigen Hamas-Attacke am 7. Oktober seien viele Gemeindemitglieder sehr ängstlich, fast panisch gewesen, erzählt Ehrlich. Auch zum Gottesdienst seien viele nicht gekommen, weil sie Angst hatten.

Weil die Lage in Nahost eskaliert, geraten Juden derzeit weltweit ins Visier von Antisemiten, müssen jüdische Einrichtungen auch in Deutschland die Sicherheitsmaßnahmen hochfahren. Vor der Synagoge von Beth Shalom steht jetzt 24 Stunden am Tag ein Polizeiauto, Führungen oder Besuchergottesdienste sind erst einmal abgesagt.

Tränen bei Gottesdiensten von Beth Shalom

Das Gemeindeleben aber geht weiter. Die Gottesdienste, sagt Ehrlich, seien jetzt zur Zeit des Krieges immer sehr emotional. "Viele Leute weinen, weil jeder von uns entweder Familie oder gute Freunde in Israel hat. Wir sind alle sehr betroffen."

Dass die Gottesdienste inzwischen wieder gut besucht sind, ist auch Rabbiner Tom Kučera zu verdanken, der den Gläubigen immer wieder Mut zuspricht und dazu rät, sich der Angst zu stellen. "Die Psychologie sagt uns, dass man sich mit der Angst auseinandersetzen muss, face-to-face. Und so ist es auch unsere Aufgabe, uns nicht zu verschanzen zu Hause", sagt der Rabbiner.

Das Gemeindeleben müsse weitergehen. Auch er selbst versuche, mit der Angst umzugehen. Im Übrigen seien es vor allem die Menschen in Israel, die Angst haben müssten und besonders die israelischen Soldatinnen und Soldaten, die ihr Land verteidigten.

Friedensgebet im Angesicht des Terrors

Ehrlich liest der christlichen Besuchergruppe ein Friedensgebet vor - verfasst von einer israelischen Rabbinerin im Angesicht des Hamas-Terrors. Über Politik redet Ehrlich bei ihren Führungen nicht, auch nicht über Antisemitismus und die Shoah - auch wenn der deutsche Massenmord an Juden bei Beth Shalom immer präsent ist: in Form einer Gedenktafel mit den Namen von Angehörigen der Gemeindemitglieder, die in deutschen Lagern ermordet wurden. Ehrlichs Mutter war in vier Konzentrationslagern interniert und überlebte.

Die Gemeindevorsitzende aber will lieber über jüdisches Leben reden: den Jahreszyklus, die Feiertage, den Ablauf der Gottesdienste. Auch über das liberale Judentum, bei dem Frauen und Männer gleichberechtigt sind und das in München bis 1938 tonangebend war - bis die Nazis die Hauptsynagoge am Lenbachplatz auf persönlichen Befehl Hitlers zerstörten, die jüdische Gemeinschaft zerschlugen und ihre Mitglieder ins Exil trieben oder ermordeten.

Durch Aufklärung und Wissensvermittlung will Ehrlich nun ihren Beitrag gegen Vorurteile leisten: "Mir hat eine Schülerin gesagt: 'Sie schauen doch genauso aus wie meine Mutter.' Ja, wie soll ich denn bitte aussehen? Soll ich Hörner haben oder eine krumme Nase?" Es sei ein Stereotyp, dass Jüdinnen und Juden besonders reich seien oder anders aussähen. "Tun wir aber nicht. Und wir sind auch nicht reicher als andere."

Aufklärung über jüdisches Leben hochwillkommen

Die christliche Besuchergruppe reagiert dankbar und interessiert. Eine Frau betont, sie sei menschlich und emotional sehr getroffen: "Und ich wünsche den Leuten alles Liebe und Frieden in der Welt."

Für einen anderen Besucher war es der erste Besuch in einer Synagoge überhaupt. Er habe in seinem bisherigen Leben wenig bis nichts vom Judentum erfahren und schon damit gerechnet, dass die Führung bei Beth Shalom wegen der neuen Sicherheitslage abgesagt werde. "Aber ich fand es richtig gut, dass das trotzdem stattfinden konnte."

Weiter Führungen für Polizeibeamte

Vorerst wird Beth Shalom jedoch keine weiteren Besuchergruppen mehr hereinlassen - mit einer Ausnahme: Ehrlich will weiter Führungen für Polizeibeamte anbieten. In diesem Jahr seien es bereits zehn gewesen - meist für Streifenbeamte oder Bereitschaftspolizisten.

Die seien es auch, sagt die Gemeindevorsitzende, die bei Demonstrationen und Kundgebungen auf der Straße stünden und gar nicht wüssten, was los ist, wenn israelische Flaggen verbrannt oder Juden als Kindermörder beschimpft werden. "Deswegen sind diese Führungen für die Polizei unheimlich wichtig", so Ehrlich.

"Antisemitismus war immer da, der schlummerte nur"

Schließlich werden auch auf Münchner Straßen inzwischen antisemitische Parolen skandiert und Juden angefeindet - bei sogenannten pro-palästinensischen Kundgebungen.

Sollte die Situation in Nahost weiter eskalieren, werde das auch noch stärkere Auswirkungen auf Juden in München haben. Ehrlich macht sich keine Illusionen: "Der Antisemitismus war immer da, der schlummerte nur und durch den Krieg kommt das wieder hoch, da hat das wieder Konjunktur."

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