Symbolbild: deutsche Fahne mit angenähten russischen Farben
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Russlanddeutsche und Spionage: Nicht "Putins fünfte Kolonne"

Seit der Festnahme zweier mutmaßlicher Russland-Spione in Bayern kursieren mehrere Begriffe über ihre Identität und Herkunft. Das sorgt für Missverständnisse. Russlanddeutsche Verbände kritisieren das.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Diese Meldung hatte vergangene Woche aufhorchen lassen: Die Bundesanwaltschaft hat zwei Männer im Raum Bayreuth wegen des Verdachts der Spionage im Auftrag Russlands festnehmen lassen. Einer der beiden Verdächtigen, Dieter S., stammt aus Heinersreuth, einem Städtchen mit knapp 4.000 Einwohnern.

Dieter S. soll schon einige Zeit in einem Mehrfamilienhaus in Heinersreuth gelebt haben. Das Haus gilt als eine Art "Durchgangsstation", so die Bürgermeisterin. Studenten, Handwerker – der Wechsel sei groß. Generell soll Dieter S. unauffällig gewesen sein. Das bestätigt auch ein Nachbar. Er beschreibt ihn als zurückgezogenen Mann, der meist für sich geblieben sei. Mehr als einen Gruß auf Russisch habe er nicht mit ihm ausgetauscht.

Russischsprechend und zwei Staatsangehörigkeiten

Seit der Festnahme der beiden Verdächtigen kursieren mehrere Begriffe über ihre Identität und Herkunft in der Berichterstattung. Es handele sich bei den beiden um Deutschrussen, heißt es. Auch der Begriff Russlanddeutsche fällt. In der Original-Pressemitteilung des Generalbundesanwalts ist von zwei Männern die Rede – also Dieter S. und Alexander J., die sowohl die deutsche als auch die russische Staatsangehörigkeit besitzen. Aus Sicherheitskreisen wurde bekannt: Sie sollen Russlanddeutsche sein.

Russlanddeutsche beunruhigt

Die Nachricht über die beiden Spionage-Verdächtigen haben für Angst und Entsetzen unter Russlanddeutschen gesorgt, berichtet Albina Baumann, stellvertretende bayerische Landesvorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Sie habe seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine immer wieder erleben müssen, welchen Einfluss die russische Propaganda auf die hier in Deutschland lebenden Russlanddeutschen habe. "Es ist mehr als erschreckend, dass Menschen, die als Deutsche in Deutschland leben, sich so von der Propaganda des Putin-Regimes einnehmen lassen", sagt Baumann. Man hätte in der Vergangenheit viel härter durchgreifen müssen. Viele Russlanddeutsche seien allerdings nun besorgt, weil die Nachrichten ein schlechtes Licht auf die ganze Gruppe werfen könnte.

Kritik an Begriffsverwendung: "Da werden alle in einen Topf geworfen"

Insgesamt leben laut Mikrozensus 3,6 Millionen Menschen in Deutschland, die aus Ländern der früheren Sowjetunion zugewandert sind, darunter auch Kasachstan – ukrainische Geflüchtete seit 2022 sind darin nicht eingerechnet. Den größten Anteil machen mit etwa 2,5 Millionen die Russlanddeutschen aus.

Dass im Zusammenhang mit der Berichterstattung Begriffe wie Deutschrussen und Russlanddeutsche synonym verwendet werden, kritisiert Albina Baumann: "Da werden alle einfach in einen Topf geworfen", sagt sie. Oft stecke Unwissen dahinter – über Russlanddeutsche und die Zuwanderung aus der früheren Sowjetunion. Viele würden nun unter Generalverdacht gestellt, sagt Baumann.

"Wir appellieren (..) eindringlich, die gesamte Gruppe der Russlanddeutschen, die im Allgemeinen als gut integriert gilt, nicht unter Generalverdacht zu stellen. Werden sie wiederholt als 'Fünfte Kolonne Putins' diskreditiert, kann dies aus einer Trotzreaktion heraus zu einer Entfremdung führen." Interessensgemeinschaft der Deutschen aus Russland in Hessen (IDRH)

Der Begriff Deutschrussen dürfte sich ähnlich wie der in der Kritik stehende Begriff "Deutschtürken" auf Deutsche beziehen, deren Herkunft in Russland liegt und einen russischen Pass besitzen. Eine klare Definition gibt es allerdings nicht.

"Russlanddeutsche" ist dagegen ein kulturhistorischer Begriff, der mit dem heutigen Russland nichts zu tun hat. Er beschreibt eine Gruppe, deren Vorfahren vor Jahrhunderten aus Deutschland ins russische Zarenreich ausgewandert sind und die dort in Kolonien lebten. Vor allem im 20. Jahrhundert litten sie aber in der Sowjetunion unter Verfolgung und Deportationen. Lange nach dem Zweiten Weltkrieg galten sie dort als "Faschisten". Ein Großteil von ihnen kam in den 1990er-Jahren aus der zerfallenden Sowjetunion als Aussiedler und Spätaussiedler nach Deutschland.

Anfällig für Kreml-Propaganda?

Dass zwei Männer in Deutschland wegen russischer Spionage festgenommen wurden, überrascht den Bonner Politikwissenschaftler Felix Riefer nicht. Neu sei allerdings die gewalttätige Dimension, dass im Auftrag des russischen Staates terroristische Handlungen in Deutschland durchgeführt werden sollten. Riefer hat zu russischer Außenpolitik promoviert. Die Regierung dort würde alle im Ausland lebenden Russischsprechenden gerne als einheitliche Gruppe sehen. "Russland bezeichnet diese Menschen als Landsleute", sagt Riefer. Moskau wolle sie in ihre Idee einer russischen Welt einverleiben. Dabei handele es sich um eine sehr heterogene Gruppe, mit unterschiedlichen Hintergründen, sowohl weltanschaulich, ethnisch als auch religiös.

Warnung vor hybridem Krieg schon seit 2016

Der sogenannte "Fall Lisa" sei – was die russische Einflussnahme angehe - ein Erweckungserlebnis in Deutschland gewesen, sagt Riefer. 2016 brachte das Gerücht über ein von Flüchtlingen angeblich vergewaltigtes Mädchen Russlanddeutsche und Russischsprachige zu Demonstrationen auf die Straße. Russlands Außenminister Lawrow mischte sich sogar ein. Dies habe gezeigt, wie gezielte Propaganda wirke, so die Interessensgemeinschaft der Deutschen aus Russland in Hessen (IDRH). "Als wir vor dem hybriden Krieg warnten, fand unsere Mahnung wenig Gehör", so die Interessensgemeinschaft.

Was man gegen russische Einflussnahme tun sollte

Oft werde ausgeblendet, was Russlanddeutsche für die Bundesrepublik und vor allem für die Geflüchteten aus der Ukraine hierzulande leisteten, sagt Albina Baumann. Doch es gebe eben auch immer welche, die aus unterschiedlichen Gründen anfällig für Propaganda seien. Die stellvertretende Landesvorsitzende der Landsmannschaft in Bayern fordert, die russische Staatspropaganda in Form von Fernsehsendern zu verbieten und vor allem zu blockieren. Und es gelte, Aufklärungsarbeit zu leisten. Dazu gehört laut dem Verband in Hessen auch, weiterhin in politische Bildung zu investieren.

Im Video: Mutmaßliche russische Spione festgenommen – Was wir wissen

Panzer der US-Streitkräfte stehen auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr
Bildrechte: pa/dpa/Armin Weigel
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Panzer der US-Streitkräfte stehen auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr

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