Pflegebedürftige Frau und ihre Helferin aus der Nachbarschaft.
Bildrechte: BR/Sabine Barth

Irene Bleicher hilft ihrer Nachbarin nach einem Krankenhausaufenthalt - ein ambulanter Pflegedienst war nicht zu bekommen.

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Quartierpflege als Hoffnungsschimmer im Pflegenotstand?

Ein Sturz oder Krankenhausaufenthalt - danach kommen alte Menschen oft nicht mehr alleine zurecht. Und dann? In Landsberg am Lech startet ein Pilotprojekt: Bei der "Quartierpflege" sollen geschulte Laien aus der Nachbarschaft Pflegekräfte entlasten.

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Irene Bleicher besucht eine ihrer Nachbarinnen. Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt hat die 73-jährige Gudrun Proksch keinen ambulanten Pflegedienst für die Erstversorgung daheim bekommen. Bleicher ist Seniorenmanagerin im Ortsteil Erpfting in Landsberg am Lech. Sie und ihre Helfer sind eingesprungen, damit Proksch wieder gut daheim ankommen kann. Die Seniorin lebt schon seit einigen Jahren allein, ihre Angehörigen sind nicht in der Nähe.

Irene Bleicher organisierte Unterstützung aus der bestehenden Nachbarschaftshilfe in Erpfting: Lebensmittel einkaufen, Fahrten zu Ärzten, Besuche. Ein Nachbar hat Schnee geschippt, um die Verbände hat sich Bleicher als ausgebildete Pflegefachkraft gekümmert. "So haben wir das eins nach dem anderen gemacht und das hat irgendwie ganz gut funktioniert", freut sie sich.

Laien übernehmen Pflegeaufgaben

In Erpfting ist Bleicher die einzige Pflegefachkraft. Aber auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer werden tendenziell immer weniger. Deswegen soll ein neues Konzept aus dem Pflegenotstand retten: die sogenannte Quartierpflege. Dabei werden Laien aus der Nachbarschaft in der Grundpflege ausgebildet und honoriert, sie übernehmen leichte Pflegeaufgaben und entlasten damit die Pflegefachkräfte und Angehörigen. Die Idee dazu stammt ursprünglich aus Leipzig: Der Verein "Gemeinsinn stärken!" wurde mit seiner Quartierpflege-Initiative im vergangenen Jahr sogar mit einem 2. Platz im Bereich Innovation mit dem Deutschen Pflegepreis ausgezeichnet.

Ein Zukunftsmodell, das auch von Politikern in der Region unterstützt wird: "Früher haben die Bürgermeister eher daran gedacht, Straßen und Kanäle zu bauen", sagt Erich Püttner, Pflegebeauftragter und stellvertretender Landrat in Landsberg am Lech. Heute hätten sie eher das soziale Pflegethema als oberste Priorität im Blick, so Püttner. Er glaubt, dass hier ein großer und wichtiger Wandel im Gange und dringend nötig sei.

Akuter personeller Notstand

In Landsberg am Lech ist der personelle Notstand in der Pflege akut. In den sechs Pflegeheimen im Landkreis fehlt Personal, ambulante Pflegedienste müssen wegen Personalmangel schließen. Die schon gut funktionierende Nachbarschaftshilfe im Ortsteil Erpfting ist der Grund, dass genau hier die "Quartierpflege" als bayernweites Pilotprojekt starten wird, erklärt Püttner: Man brauche neue Ansätze, die Menschen vor Ort und in der Nachbarschaft müssten sich wieder mehr umeinander kümmern – "mit Unterstützung der wenigen Profis, die noch da sind".

Fünf bis acht Personen pro Pflegebedürftigen

Seniorenmanagerin Bleicher im Ortsteil Erpfting bekommt bald Unterstützung von einer zusätzlichen Fallmanagerin, die die Einsätze der helfenden Nachbarn koordiniert. Etwa fünf bis acht Personen werden zur Versorgung einer pflegebedürftigen Person gebraucht.

Jetzt gilt es passende Unterstützer zu finden, die verbindlich Termine übernehmen. Eine von ihnen ist Johanna Liebeneiner. Sie ist selbst schon 78 Jahre alt, aber voller Tatendrang. Einen Vorbereitungskurs hat sie bereits absolviert und ihr Beruf als Schauspielerin gibt ihr ein besonderes Gespür im Umgang mit demenzerkrankten Menschen. Sie hat schon viele Ideen, wie sie sich einbringen möchte: "Gut kochen, putzen, vielleicht mal rausgehen und ins Café gehen und meine gute Laune."

Chance auch für Helfer

Dass sich jeder nach seinen Talenten und zeitlichen Kapazitäten einbringen kann, sei auch Sinn des Projekts, sagt Irene Bleicher, die auch eine "schöne Chance" im Engagement für die Helfenden sieht. Die Quartierpflege als Netzwerk verschiedener Hilfen soll in etwa fünf Jahren wie ein eigenständiger ambulanter Pflegedienst funktionieren. Das Pilotprojekt dazu in Erpfting in Landsberg am Lech wird im April starten. Wenn es funktioniert und viele Nachahmer findet, könnten alte Menschen in Zukunft länger zu Hause leben und versorgt werden.

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