Finnland, Säkylä: Ein Soldat bei einer Krisenmanagementübung der Finnischen Internationalen Bereitschaftstruppe (SKVJ) im Rahmen der Nato Evaluation Level 2 (NEL2) im November 2021.
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Finnland, Säkylä: Ein Soldat bei einer Krisenmanagementübung der Finnischen Internationalen Bereitschaftstruppe.

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Welche Folgen hätte ein Nato-Beitritt Finnlands?

Finnland strebt in die Nato, Russland kritisiert diesen Schritt als "Bedrohung". Welche unmittelbaren und langfristigen Folgen könnte es für die Nato, Europa und Deutschland haben, wenn die Finnen dem Militärbündnis beitreten?

Finnland will der Nato beitreten. Am Donnerstag sprachen sich der finnische Präsident Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin für einen "unverzüglichen" Nato-Beitritt ihres Landes aus. Es wird damit gerechnet, dass sich das nördlichste Land der EU in den kommenden Tagen zu einem formellen Beitrittsantrag entschließt. Dieser Schritt und auch die ähnlichen Überlegungen des Nachbarn Schwedens sind eine Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine.

Finnland könnte noch in diesem Jahr in die Nato aufgenommen werden, falls alle Parlamente der Mitgliedsstaaten zustimmen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte immer wieder signalisiert, dass die Finnen herzlich willkommen sind. Ein solcher Beitritt hätte für das gesamte Bündnis, die europäische Sicherheitsarchitektur und damit auch für Deutschland Folgen.

Was bringt Finnland in die Nato ein?

Das skandinavische Land brächte im Falle eines Beitritts substanzielle militärische Fähigkeiten in die Nato mit. Die Nato verstärke sich mit Finnland "ganz gewaltig", sagt Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Finnland habe eine "hervorragende territoriale Verteidigung" und könnte einen russischen Angriff auf Landesgebiet zusammen mit Nato-Verbündeten zurückwerfen, so Krause.

Denn die finnische Armee ist "eine der stärksten und auch eine der größten Armeen in Europa", sagt die Nordeuropa-Expertin Minna Ålander von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Die finnischen Streitkräfte können eine Truppenstärke von bis zu 280.000 Personen erreichen. Hinzu kommt noch eine Reserve von circa 870.000." Luftwaffe und die Artillerie seien gut und modern ausgerüstet.

Ein weiterer Punkt auf der Haben-Seite der Nato: "Finnland ist vor allen Dingen ein wichtiges strategisches Hinterland für die Verteidigung der baltischen Staaten", sagt Joachim Krause. Das Baltikum gilt als Schwachstelle im Nato-Gebiet im Falle eines russischen Angriffs. Bei einem Beitritt Finnlands wären die strategischen Möglichkeiten der Nato deutlich erweitert.

Finnland könnte nicht nur viele Fähigkeiten für die Nato bereitstellen, es könnte sich sehr schnell in die Struktur des Bündnisses einfügen und bräuchte keine lange Anpassungsphase. Denn schon jetzt ist das Land ein "enhanced opportunity partner" der Nato, erklärt Minna Ålander. "Das ist sozusagen die höchste Stufe der oder die engste Kooperation mit der Nato, gerade noch so unterhalb der Schwelle der Mitgliedschaft." Finnland führe auch Übungen mit der Nato durch und unterhalte Verteidigungspartnerschaften mit den großen Nato-Ländern USA und Großbritannien. "Die Interoperabilität ist tatsächlich sehr hoch mit der Nato", sagt Ålander.

Wie ist die russische Antwort zu verstehen?

Die russische Regierung hat den finnischen Schritt am Donnerstag scharf kritisiert. Ein Nato-Beitritt Finnlands wäre nach Einschätzung der Führung in Moskau "eindeutig" eine Bedrohung für Russland. Wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag erklärte, würde eine Ausweitung des Militärbündnisses und eine Nato-Annäherung an die russischen Grenzen "die Welt und unseren Kontinent nicht stabiler und sicherer machen".

Schon in der Vergangenheit hatte der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew mit Konsequenzen gedroht. Sollten Finnland und Schweden der Nato beitreten, dann könnte Russland zum Beispiel Atomwaffen in der Exklave Kaliningrad stationieren, deutete Medwedew an.

Alle drei befragten Experten bewerten die russische Reaktion als nicht ungewöhnlich. "Das ist eine übliche, harte Rhetorik der russischen Seite", sagt Stefan Meister, Leiter des Programms Internationale Ordnung und Demokratie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Aus Kreml-Sicht erhöhe der finnische Entschluss nämlich die Gefahr. Denn dort würden ja die Nato und die USA als Hauptfeinde definiert.

"Die russischen Drohgebärden sind im Grunde sehr substanzlos und zeigen eigentlich nur die Verärgerung", sagt Joachim Krause vorn der Christian-Albrechts-Universität. Denn Russland habe nicht viele Möglichkeiten, um Finnland unter Druck zu setzen.

Wie reagiert Moskau unmittelbar?

In der finnischen Gesellschaft gibt es die Wendung von den "weitreichenden Gemeinheiten" Russlands, sagt Minna Ålander. Dort stelle man sich auf Sticheleien und Provokationen der Russen ein. "Denkbar wären Szenarien, die wir schon kennen", sagt sie. Zum Beispiel inszenierte Vorfälle oder Unfälle. Außerdem gibt es bereits jetzt immer wieder Verletzungen des Luftraums über Finnland und Schweden. Im April drang ein russisches Aufklärungsflugzeug nach schwedischen Angaben unerlaubt in den schwedischen Luftraum ein.

Weitreichende Reaktionen Russlands wie Truppenverlegungen in den finnischen Grenzraum oder gar Militäroperationen erwarten Krause und Meister nicht. "Ich sehe das nicht, einerseits haben die Russen die Truppen überhaupt nicht", sagt Meister. Russland habe schon jetzt ein massives "Nachschubproblem" in der Ukraine. "Die Russen würden auch nie wagen, Finnland anzugreifen, weil sie da in ein noch schlimmeres Massaker reingeraten würden als jetzt in der Ukraine", sagt Krause dazu. Atomare Drohgebärden seien sowieso schon da. "Es gibt nichts, was die Russen wirklich den Finnen androhen könnten."

Sind weitergehende Reaktionen Russlands zu erwarten?

Nach einem erfolgten Nato-Beitritt Finnlands kann sich Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik vorstellen, dass Russland sein Militär im Nordwesten erneuert und verstärkt – um eine stärkere Abschreckungskulisse aufzubauen: "Was ich sehen würde, ist natürlich eine mittelfristige Modernisierung der Truppen und auch der Waffensysteme in dieser Region." Die Stationierung von Atomwaffen könnte ebenfalls dazu zählen.

"Das wahrscheinlichste Szenario" sind nach Meisters Ansicht Cyberattacken, zum Beispiel auf strategische Infrastruktur in Finnland und Schweden. Wirtschaftliche Sanktionen gegen andere Nato- oder EU-Staaten wie Deutschland sieht Meister als unwahrscheinlich an: "Ich glaube, dass die Russen – so lange wie es irgendwie geht und vertretbar ist – die Einnahmen wollen aus dem Öl und Gas."

Russland sei auf das Geld von Staaten wie Deutschland, Italien, Österreich oder Tschechien angewiesen und könne es sich gar nicht leisten, von sich aus die Lieferungen zu kappen.

Ist ein finnischer Nato-Beitritt gefährlich für Deutschland?

Der bekannte Nato-Artikel Nummer 5 besagt, dass alle anderen Nato-Staaten Beistand leisten, sobald ein Mitglied angegriffen wird. Das bedeute aber nicht, dass die Gefahr eines Nato-Russland-Krieges durch einen finnischen Beitritt automatisch steige, sagt Minna Ålander.

Finnland und Schweden müssten sich überhaupt erst einmal auf diesen Artikel berufen. "Es wäre ja nicht so, dass sobald ein russisches Flugzeug mal wieder nahe vorbeifliegt, automatisch ein Krieg ausgelöst wird zwischen Nato und Russland", sagt sie. Der Bündnisfall müsse erst ausgerufen werden und die anderen Staaten könnten immer noch entscheiden, wie genau sie reagieren.

Ålander weist außerdem darauf hin, dass Deutschland und Finnland bereits jetzt schon Bündnispartner sind: "Es macht sowieso keinen großen Unterschied, ob man jetzt tatsächlich formell in der Nato ist oder nicht, alleine dadurch, dass Finnland in der EU ist."

Im EU-Vertrag von Lissabon ist in Artikel 42 ebenfalls ein Bündnisfall festgelegt: "Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung (…)." Würde Finnland jetzt angegriffen, könnten Deutschland und die anderen EU-Mitglieder nicht tatenlos zusehen.

Typisch deutsch finden sowohl Joachim Krause und Stefan Meister die Perspektive einer drohenden Gefahr für Deutschland. "Das, wo man nicht mit involviert ist, das erhöht die eigene Sicherheit – das funktioniert ja nicht", sagt Meister. Sofern man nicht abschrecke, probiere Russland als aggressiver und revisionistischer Akteur bestimmte Dinge aus, sagt Meister.

Krause weist auf die lange Grenze zwischen Russland und den USA hin, an der auch keine Eskalationen stattfinden. "Ich sehe da keine Gefahr, nur weil man jetzt längere Grenzen hat", sagt er mit Blick auf Russland und Finnland. Die Grenzregion sei nur dünn besiedelt und nicht militarisiert.

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