Bildrechte: dpa-Bildfunk / Peter Kneffel

Marion Kiechle (CSU), Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst im Juni 2018 in München

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Recherche: Ministerin Kiechle verstrickt in Interessenkonflikt

Die bayerische Wissenschaftsministerin Kiechle bewirbt in ihrer Zeit als Professorin an der TU München ein Medizinprodukt. Dabei erwähnt sie nicht, dass sie Teilhaberin der Firma ist. Von Anna Klühspies, Fabian Mader, Anna Tillack und Peter Hornung

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Experten sind sich einig: Marion Kiechles Doppelrolle als Wissenschaftlerin und Gesellschafterin, die sie nicht ausreichend offengelegt hat, ist ein eindeutiger Interessenkonflikt. Das Verschweigen solcher Interessenkonflikte gilt gemeinhin als wissenschaftliches Fehlverhalten.

Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks zusammen mit NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hält Marion Kiechle aktuell etwa zehn Prozent der Anteile an der Pharmafirma "Therawis Diagnostics GmbH", die das Medizinprodukt "therascreen PITX2" entwickelt hat. Dieser Biomarker-Test soll darüber Auskunft geben, ob bei gewissen Brustkrebspatientinnen eine bestimmte Chemotherapie erfolgversprechend ist oder nicht.

Neuer Biomarker-Test europaweit eingeführt

Ein lukratives Geschäftsfeld, denn an Brustkrebs erkranken rund 460.000 Frauen in Europa jährlich. Das hat auch die Pharmafirma Qiagen erkannt, kauft die Lizenz für die Vermarktung des "therascreen-PITX2" und kündigt schon im Februar 2018 die europaweite Einführung an. Inzwischen ist der Test auf dem Markt. In der Pressemitteilung des Unternehmens bewirbt Marion Kiechle ihn mit folgenden Worten:

"Der PITX2-DNA-Methylierungstest bietet erstmals eine hervorragende Diagnosemethode zur Identifizierung von Patienten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Behandlung profitieren können. Dieser neuartige Test bedeutet für uns Ärzte einen großen Fortschritt in der Behandlungsoptimierung." Prof. Marion Kiechle im Februar 2018

Experten kritisieren dieses Verhalten. Wenn eine Wissenschaftlerin an einer Firma beteiligt ist, könne das dazu führen, dass Studienergebnisse besser dargestellt werden, als sie tatsächlich sind. Die Wissenschaft sei dann nicht mehr objektiv:

"Wenn eine Wissenschaftlerin, die geforscht hat, gleichzeitig Anteile an einer Firma hat, dann spricht man von einem klassischen Interessenkonflikt." Dr. Dagmar Lühmann, Deutsches Netzwerk für Evidenzbasierte Medizin

Hinweis auf Firmenbeteiligung fehlt

Marion Kiechle äußert sich in der Pressemitteilung dezidiert als Professorin der TU München.

Lediglich am Ende der Pressemitteilung findet sich ein schmaler Hinweis darauf, dass die Therawis Diagnostics GmbH auch von Wissenschaftlern der TU München mitgegründet worden sei. Kiechles Anteile an der Firma bleiben unerwähnt. Auf Anfrage räumt sie ein:

"In der Tat wäre es besser gewesen, an dieser Stelle meine Firmenbeteiligung noch deutlicher darzustellen." Prof. Marion Kiechle, Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst

Auch in mehreren wissenschaftlichen Publikationen zum Biomarker legt Marion Kiechle ihre Firmenanteile nicht offen. Experten sehen darin ebenfalls ein Problem. Kiechle hätte auch hier ihre Firmenanteile angeben müssen. So sagt Christiane Fischer vom Deutschen Ethikrat:

"In einem Review und auch in jedem anderen Artikel sollten Interessenkonflikte, auch von Marion Kiechle, angegeben werden." Dr. Christiane Fischer, Deutscher Ethikrat

Kiechle verteidigt sich und beruft sich auf ihre Erinnerung.  

"In Publikationen, bei denen Interessenskonflikte relevant sind, habe ich diese nach meiner Erinnerung stets angegeben." Prof. Marion Kiechle, Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst

Kiechles Rolle als Ministerin

Am 21. März wird Marion Kiechle zur Ministerin ernannt. Sie hat ihr Ministerium über die Beteiligung an der Pharmafirma und über zwei weitere Unternehmensbeteiligungen informiert, wie der Bayerische Rundfunk nach mehrfacher Anfrage erfährt. Für eine Ministerin ist die Beteiligung an einem Unternehmen nicht illegal. Für eine Forscherin ist die Doppelrolle als Wissenschaftlerin und Gesellschafterin einer Firma jedoch problematisch, wenn sie nicht transparent gemacht wird.

"Es hat keine strafrechtliche Konsequenz - es ist legal, aber illegitim. Es gehört sich nicht, man hat es anzugeben!" Dr. Christiane Fischer, Deutscher Ethikrat

Der Biomarker-Test in der Kritik

Marion Kiechle bewirbt offensiv den Einsatz des Biomarkers PITX2 in der Krebstherapie. Was ihre Aussagen besonders pikant macht: Das Produkt wurde bisher weder in die Leitlinien zur Brustkrebsbehandlung aufgenommen, noch ist es für den Einsatz im klinischen Alltag ausreichend untersucht, so führende gynäkologische Onkologen gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Für Professor Wolfgang Janni von der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie benötigt es mehr Forschung:

"Das ist auch der Grund, warum wir ihn derzeit noch nicht von Seiten der Expertenkommission für den Einsatz empfehlen." Prof. Wolfgang Janni, Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie

Nadia Harbeck leitet das Brustzentrum und die onkologische Tagesklinik der Frauenklinik der Universität München. Seit Jahrzehnten forscht sie zum Thema Biomarker und sitzt in der Brustkrebs-Leitlinienkommission. Die Forschung zu Biomarkern sei wichtig, allerdings müsse man mit Erfolgsversprechen sehr vorsichtig sein. Ein schlechter Marker sei wie ein schlechtes Medikament. Der von Kiechle mitentwickelte Test sei noch nicht reif für die Anwendung in der Klinik:

"Das sind interessante Daten, die weiter validiert werden müssen, bevor sie klinische Anwendung finden." Prof. Nadia Harbeck, Leitlinienkommission Mammakarzinom

Wie kommt es dann, dass Marion Kiechle den Biomarker-Test bereits für die Optimierung der Krebsbehandlung bewirbt?

Auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks, sowie NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung schreibt Marion Kiechle, der Test sei zertifiziert, dafür seien Validierungsstudien Voraussetzung gewesen, die der Zertifizierungsstelle vorlägen. Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks gab es im Fall "therascreen PITX2" aber keine externe Zertifizierung. Auf erneute Anfrage räumt Marion Kiechle ein, die Zertifizierung sei vom Unternehmen selbst durchgeführt worden.

Auf der Firmenseite von Therawis Diagnostics wird unter "Clinical validation" angegeben, dass 205 Proben untersucht wurden. Die Studie ist jedoch noch nicht veröffentlicht. Der Bayerische Rundfunk zeigt auch hier namhaften Wissenschaftlern die Forschungslage und erhält klare Einschätzungen. Es sei "unstrittig", dass die Studienlage zu dünn sei. Wissenschaftler des deutschen Krebsforschungszentrums beispielsweise warnen: Bei kleineren Kohorten könne es sein, dass per Zufall positive Ergebnisse herauskommen.

"Grundsätzlich sollte man sich als Arzt an die Biomarker halten, die in den Leitlinien empfohlen werden." Deutsches Krebsforschungszentrum

Und das ist der von Kiechle erforschte Biomarker eben noch nicht. Andere Experten gehen noch weiter. In Hintergrundgesprächen ist von einer "Mini-Mini-Studie" ist die Rede und man verstehe nicht, was sich die Kollegin dabei gedacht habe.

Marion Kiechle bleibt Gesellschafterin

Auf unsere letzte Anfrage rudert Kiechle zurück. Ihre Aussage in der Pressemitteilung sei keine Empfehlung für den Biomarker-Test gewesen und für einen klinischen Routineeinsatz seien selbstverständlich weitere klinische, prospektive Studien notwendig. Darüber hinaus schreibt sie:

"Aufgrund meiner Position als Staatsministern habe ich alle wissenschaftlichen Aktivitäten eingestellt, die möglicherweise einer Firma zu Gute kommen könnten, an der ich als Gesellschafterin beteiligt bin." Prof. Marion Kiechle, Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst

Marion Kiechle sieht mittlerweile offenbar den Interessenkonflikt, ist aber weiterhin Gesellschafterin an Therawis Diagnostics GmbH (Stand 24.07.18). Darin sieht die Wissenschaftsministerin offenbar kein Problem. Und auch der Test ist auf dem Markt. Nun müssen Klinikärzte entscheiden, ob sie ihn einsetzen oder nicht.