Ein Junge sitzt mit verschränkten Armen vor dem Gesicht in einer Ecke eines Zimmers auf dem Boden.
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Ein Drittel der in Deutschland sexuell missbrauchten Kinder sind Jungen.

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Mann und Mutter wegen sexuellen Kindesmissbrauchs vor Gericht

Ein Mann hat einen 13-Jährigen immer wieder sexuell missbraucht. Die Mutter wusste Bescheid. Beide werden nun vom Landgericht Traunstein zur Verantwortung gezogen. Doch wo gibt es Hilfe für Opfer sexualisierter Gewalt? Wie kann man Taten verhindern?

Eine Mutter und ihr ehemaliger Freund müssen sich vor dem Landgericht Traunstein verantworten, weil der Mann den 13-jährigen Sohn der Frau wiederholt sexuell missbrauchte und sie davon wusste.

Der Mann war in der Wohnung der Mutter in Waldkraiburg ein- und ausgegangen. Laut Anklage hielt er sich zwischen März 2018 und Juli 2019 mehrmals, teils auch für mehrere Wochen, in der Wohnung der Mitangeklagten auf. In dieser Zeit missbrauchte er den Jungen wiederholt sexuell.

Mutter wegen Beihilfe mitangeklagt

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 41-Jährigen in vier Fällen schweren sexuellen Missbrauch sowie in weiteren sieben Fällen sexuellen Missbrauch vor. Außerdem soll der Angeklagte kinderpornografische Fotos und Videos hergestellt und einige auch der Mutter des Jungen gegeben haben.

Die Mutter hatte laut Staatsanwaltschaft zu der Zeit eine Affäre mit dem Angeklagten. Ihr soll wenige Monate nach dem ersten Besuch des Angeklagten bereits klar gewesen sein, dass er sich an ihrem Sohn sexuell verging.

In solchen Fällen wie diesem übernimmt das Jugendamt die Betreuung des Kindes, zum Beispiel in einer stationären Wohnform der Jugendhilfe, meistens wird vorher das Familiengericht mit einbezogen.

Der Tatort ist oft das Wohnumfeld des Kindes

"Der Tatort ist oft das Umfeld, wenn nicht sogar das Wohnumfeld des Kindes, wo sexualisierte Gewalt stattfindet", sagt Stefan Port von der Beratungsstelle KIBS. Ein Drittel der Kinder unter 14 Jahren, die Opfer sexualisierter Gewalt werden, sind laut Fachberatungsstellen Jungen. "Statistisch gesehen sitzen in einer Schulklasse ein bis drei Kinder, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind und darunter ist oft auch ein Junge“, sagt Port.

Beratungsstelle für männliche Opfer sexualisierter Gewalt

Stefan Port ist Leiter der Beratungsstelle KIBS beim Kinderschutz München. KIBS kümmert sich speziell um Jungen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben oder gefährdet sind. Die Beratungsstelle informiert und berät bayernweit männliche junge Menschen bis 27 Jahre. Die Beratungsarbeit wird durch die Landeshauptstadt München, das bayerische Familienministerium und den Landkreis Fürstenfeldbruck finanziert.

"Die Jungs haben die Fachkräfte und Erwachsenen häufig nicht so im Blick", sagt Stefan Port. Wenn Jungen Verhaltensauffälligkeiten zeigten, etwa impulsiv, aggressiv oder verweigernd seien, werde das normalerweise als typisches Jungsverhalten gedeutet. Doch solche Auffälligkeiten könnten auch in Zusammenhang mit einem erlebten sexuellen Übergriff stehen.

Verhaltensauffälligkeiten genau beobachten

Besonders hellhörig sollten Erwachsene und Lehrkräfte ihm zufolge werden, wenn sich Jungen in der Schule schlagartig in ihrer Persönlichkeit verändern oder plötzlich stark sexualisiert sind, sich zurückziehen, eine extreme Leistungssteigerung zeigen, oder vom stillen zum lauten und extrovertierten Schüler werden.

Lehrkräfte sensibilisieren

In der Schule sollten nicht nur die Klassenleitung, sondern auch die Schulsozialarbeiter und Vertrauenslehrkräfte für das Thema sensibilisiert werden. Schülerinnen und Schüler sollten auch ohne Verdacht auf sexualisierte Gewalt in einem kurzen Gespräch sagen dürfen, wie es ihnen geht. Erst so würde Kindern die Möglichkeit aufgezeigt, sich anzuvertrauen.

Dazu brauche es geschulte Fachkräfte. "Die sollten dann auch Ahnung haben, wie sie vorgehen können, indem sie sofort eine Fachberatungsstelle mit heranziehen, sodass sie sich nicht allein mit dem Fall fühlen“, sagt Stefan Port.

Fachberatungsstellen helfen weiter

Im Raum Traunstein sind etwa die Caritas-Beratungsstellen zuständig sowie die Familienberatungsstelle der Caritas in München. Weitere Anlaufstellen in München sind die Beratungsstellen Amyna, Wildwasser und der Kinderschutzbund sowie speziell für Jungen, die Beratungsstelle KIBS vom Kinderschutz München. Viele hilfreiche Informationen, Aufklärungsmaterial, Hilfsangebote sowie Kontaktadressen stellt auch das bundesweite "Hilfe-Portal Missbrauch" auf seiner Website zur Verfügung.

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Prävention an Schulen: Angebote nutzen

Lehrkräfte, die sich mit dem Thema befassen wollen, können Angebote der Beratungsstellen nutzen, etwa gedrucktes Aufklärungsmaterial bestellen oder Präventions-Theaterstücke und -Kurse an ihre Schulen holen. Dabei sollen sie nach Ansicht des KIBS-Fachberaters darauf achten, dass beispielsweise Selbstbehauptungstrainings für Schülerinnen und Schüler gleichermaßen angeboten werden. So lernten Jungen und Mädchen, dass sie sich schützen dürfen und dass Hilfe zu holen kein Petzen ist.

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