Niedersachsen, Burgdorf: Mit einem Mehrfachpflug zur Verlegung von Drehstromerdkabeln werden bei einem Test Leerrohre für die Kabel verlegt. Tennet testet den ersten Mehrfachpflug zur Verlegung von 380-kV-Drehstromerdkabeln
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Über Erdkabel soll Strom von der Küste verteilt werden - Bayerns Wirtschaftsminister vermutet Einbußen für die Landwirtschaft

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Landwirtschaftliche Schäden durch Stromtrassen - Was ist dran?

Strom von der Küste auch in Bayern – damit das möglich wird, sollen Erdkabel durch den Freistaat verlegt werden. Das sorgt bei vielen Bürgern, aber auch bei Hubert Aiwanger für Unmut. Er vermutet Ernteverluste durch die Erdkabel. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: jetzt red i am .

In der Sendung "jetzt red i" im BR-Fernsehen hat Bayerns Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) am Mittwochabend eine streitbare Aussage gemacht. Thema war die geplante Stromtrasse Südostlink. Auf die Frage, ob der Minister negative Auswirkungen für die Landwirte erwarte, antwortete er: "Ich kann mir vorstellen, dass da über viele Jahre oder sogar ewig, wenn da eine Trasse reinkäme auf einem Streifen von 20 Meter, das Pflanzenwachstum massiv beeinträchtigt ist, weil ja von unten her die Grundwasserzirkulation unterbrochen ist, also das werden bleibende Schäden in der Ackerflur sein."

Hubert Aiwanger äußert sich zu den geplanten Stromtrassen.
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Hubert Aiwanger äußert sich zu den geplanten Stromtrassen.

Wie steht es um wissenschaftliche Belege für die Aussage des Ministers?

Wie tief ist eine Trasse für eine Erdverkabelung?

In Norddeutschland gibt es bereits Erdverkabelungstrassen. Über sie wird von Offshore-Windparks Strom in das Netz geleitet. Die Bautiefe dieser Trassen beträgt 1 bis 1,5 Meter. In Bayern sollen sie laut Energie-Atlas in "ausreichender Tiefe" verlegt werden.

Wie nahe geht das Grundwasser an die Oberfläche?

Das Grundwasser in Bayern befindet sich je nach Region in ganz unterschiedlichen Tiefen – das geht von 80 Metern bis zu nur einem Meter unter der Oberfläche. Bodennahes Grundwasser gibt es vor allem in Flusstälern oder Moorgebieten.

Kann durch eine Stromtrasse das Grundwasser negativ beeinflusst werden?

Grundsätzlich ist es also möglich, dass eine Erdverkabelungstrasse auf Grundwasser stößt. Aber nach Einschätzung des Landschaftsarchitekten Karsten Runge sollte das in der Realität nicht passieren. Runge leitet ein Umweltplanungsbüro in Hamburg, ist Professor an der Universität in Lüneburg und hat für die Bundesnetzagentur und für das Bundesumweltministerium untersucht, welche Auswirkungen Stromtrassen auf die Umwelt haben.

Schon bei der Planung werde darauf geachtet, dass "Wasserschutzgebiete umgangen werden", erklärt Runge. "In Bereichen, in denen die Trasse auf oberflächennahes Grundwasser stößt, werden die Kabel in Plastikrohren durchgeführt. Flüsse werden so unterquert", so Runge. Einen negativen Einfluss auf das Grundwasser und auf die Grundwasserzirkulation hält der Wissenschaftler von der Leuphana Universität Lüneburg für nicht möglich.

Ein Problem sieht er dagegen bei den Drainage-Systemen der landwirtschaftlichen Flächen. Viele Äcker werden über Drainagerohre im Boden entwässert, um sie überhaupt bewirtschaften zu können. Bei der Verlegung von Erdkabeln kann es dazu kommen, dass solche Systeme beschädigt werden: "Aber natürlich müssen sie im Rahmen der Baumaßnahmen dann auch wieder in Stand gesetzt werden."

Ist der Ackerboden dauerhaft unfruchtbarer?

Der Boden ist für die Landwirte der wichtigste Produktionsfaktor. Klar ist: Wird gebaut, fehlt den Landwirten Fläche – das heißt, sie haben einen Einnahmeverlust. Dieser soll von den Netzbetreibern ausgeglichen werden. Ist die Baumaßnahme beendet, kann der Acker theoretisch wieder bewirtschaftet werden. Allerdings wird der Boden nach Einschätzung von Karsten Runge in den ersten Jahren unter einer geringeren Fruchtbarkeit leiden. Es dauert, bis er sich regeneriert hat.

Daher empfiehlt der Wissenschaftler in den ersten Jahren nach Verlegung der Erdkabel sogenannte Leguminosen wie Kleegras anzubauen. Diese Pflanzen helfen, den Boden wiederzubeleben. Wie lange das notwendig ist, hängt von den grundsätzlichen Eigenschaften des Bodens ab. "Wir reden da von drei Jahren, in denen der Landwirt nicht seine üblichen Feldfrüchte anbauen kann. Aber je nach Standort können es vielleicht auch fünf Jahre sein. Auch das muss natürlich bei den Entschädigungen berücksichtigt werden." Langfristig sollten die Böden aber in gleicher Weise bewirtschaftbar sein wie zuvor.

Trocknet der Boden wegen der Abwärme der Stromleitungen aus?

Wenn Strom fließt, entsteht Wärme. Landwirte befürchten, dass die Erwärmung des Bodens ihre Erträge mindern könnte. Die Kabel können außen selbst durch gute Isolierung noch 30-50 Grad warm werden. Dabei ist vor allem fraglich, wie stark sich dadurch der Boden erwärmt und welche Folgen das nach sich zieht.

"Es ist ein großes Defizit und auch unverständlich, dass die Erwärmung des Bodens bei den bisher bestehenden Leitungen in Norddeutschland nicht wissenschaftlich überwacht und untersucht wird", beklagt Karsten Runge. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags führt eine Studie zu einer Leitung in Dänemark an. In dieser Untersuchung heißt es: "So wurden beim seit 2002 in Betrieb befindlichen Kabel für die Netzanbindung des dänischen Offshore-Windparks Horns Rev 1 auch in der unmittelbaren Nähe des Kabels nur Temperaturerhöhungen von wenigen K [Kelvin] festgestellt."

In Deutschland hat Peter Trüby, Professor für Bodenökologie an der Universität Freiburg, mit einem Versuchsaufbau untersucht, welche Auswirkungen auf landwirtschaftliche Nutzpflanzen zu erwarten sind. "Im allerungünstigsten Fall, das heißt: Es gibt eine Störung an einer Anlage und eine weitere Anlage muss die Last über längere Zeit übernehmen, werden wir Temperaturerhöhungen von 3 bis 5 Grad maximal bekommen, wobei ich da wieder herausstreiche: Das ist der ungünstigste Fall!"

Im Normalfall rechnet Trüby mit einer Temperaturerhöhung von maximal einem bis drei Grad an der Bodenoberfläche. Die Folge: unter diesen Bedingungen wurden auf der Versuchstrasse Mais und Getreide früher reif. Aber: "Wenn wir die rein thermischen Auswirkungen betrachten, dann müssen die Landwirte nicht damit rechnen, dass es zu substantiellen Ertragseinbußen oder sonstigen nachteiligen Veränderungen ihrer landwirtschaftlichen Kulturen kommen wird."

Blockieren Kabelleitungen die Wurzelbildung von Pflanzen?

Nach seinen Äußerungen in der Sendung "jetzt red i" hat Wirtschaftsminister Aiwanger seine Aussagen nochmals konkretisiert. Aiwanger nimmt Auswirkungen auf die Vegetation an, wie sie bei sogenannten Bodendenkmälern bekannt sind. Bodendenkmäler sind archäologische Formationen wie beispielsweise der Limes oder Grundmauern alter Burgen und Kirchen. Deren Umrisse sind oftmals auf Luftbildern erkennbar, weil die Pflanzen an diesen Stellen weniger ausgeprägt sind. Zum einen, weil die Stellen weniger durchwässert sind, zum anderen, weil das Pflanzenwachstum durch knapp unter der Oberfläche befindliche Steinformationen beeinträchtigt wird.

Das Landesamt für Denkmalpflege, das auch für Bodendenkmäler zuständig ist, betont jedoch, dass Bodendenkmäler das Pflanzenwachstum nicht grundsätzlich negativ beeinflussen. Vielmehr könne man Denkmäler nur bei extremen Wetterlagen wie Trockenheit oder Feuchte erkennen und dann in der Regel auch nur für wenige Tage oder Stunden. Würden die Denkmäler nachhaltige Auswirkungen auf den Ertrag haben, wären sie das ganze Jahr über sichtbar. Das sei jedoch nicht der Fall, so das Landesamt. Bei Bodendenkmälern gelte auch die Regel: je tiefer die Überreste, desto geringer die Auswirkungen auf das Pflanzenwachstum.

Die durchschnittliche Wurzeltiefe von Weizen beträgt rund einen Meter, die von Mais rund eineinhalb Meter. Die Mehrzahl der Wurzeln bildet sich im ersten halben Meter unter der Oberfläche aus.

Fazit:

Dass den Landwirten durch die Bauarbeiten für die Stromtrassen Schäden entstehen, ist unbestritten. Für diese sind auch von Seiten der Netzbetreiber Entschädigungszahlen vorgesehen. Worüber es bisher keine Klarheit gibt, sind die Langzeitfolgen – sind die betroffenen Flächen nach drei Jahren oder fünf Jahren wieder so ertragreich wie vor dem Bau, oder ist der Ertrag dauerhaft niedriger? Für das Grundwasser gilt: Ein negativer Einfluss wird von Wissenschaftlern ausgeschlossen.