Julia Pongratz, Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der Ludwigs-Maximilians-Universität München.
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Julia Pongratz, Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der Ludwigs-Maximilians-Universität München.

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Klimaforscherin: Mehr CO₂ einsparen – und entnehmen

Mehr Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre – aber wie? Forscherin Julia Pongratz fordert größeren Einsatz von Deutschland, um CO₂ einzusparen. Man dürfe sich nicht darauf verlassen, dass Emissionen eines Tages durch Technologie abgebaut werden können.

Über dieses Thema berichtet: Thema des Tages am .

Die Klimaforscherin Julia Pongratz fordert Deutschland auf, mehr CO₂ einzusparen und CO₂ aus der Atmosphäre zu entnehmen. "Wir haben Emissionen, die wir nicht oder nur zu sehr, sehr hohen Kosten wegbekommen", erklärt die Professorin für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der Ludwig-Maximilians-Universität München in der Radiosendung "Thema des Tages" auf BR24.

Diese Emissionen sind unvermeidbar

Dazu zählten nicht vermeidbare Emissionen, wie beispielsweise aus der Abfallwirtschaft, Langstreckenflugverkehr und Zementproduktion. Die Restemissionen müssten aber durch CO₂-Entnahme kompensiert werden, sagt Pongratz. Global gesehen würden fünf bis 15 Prozent der derzeitigen Emissionen als Restemissionen angesehen, so Pongratz: "Es ist ein Prozess, den wir gesellschaftlich noch nicht ausdiskutiert haben, wie viel Emissionen wir bestimmten Akteuren zugestehen wollen."

Was die Ernährung mit der CO₂-Menge zu tun hat

In Deutschland hänge sehr viel davon ab, ob die Menschen ihre Ernährung umstellen oder nicht, weil durch den Fleischkonsum sehr viele Emissionen entstehen, erklärt die Klimaforscherin. Wenn Menschen in Deutschland beschließen, weniger Fleisch zu konsumieren, seien auch die Restemissionen deutlich geringer. "Und dann brauchen wir auch entsprechend weniger Anstrengungen im Bereich der CO₂-Entnahme."

Wodurch am meisten CO₂ reduziert werden kann

Mehr als 99 Prozent der CO₂-Entnahme finden der Klimaforscherin zufolge global gesehen im land- und forstwirtschaftlichen Bereich statt: bei der Wiederaufforstung der Wälder mit zwei Milliarden Tonnen CO₂ pro Jahr. Zum Vergleich würden insgesamt über 40 Milliarden Tonnen CO₂ emittiert werden. An diesem Beispiel sehe man, dass die Größenordnung eine andere ist, was die CO₂-Entnahme liefern könne, so Pongratz. Wälder seien ein potentes Ökosystem, das sich regeneriere.

Es komme darauf an, dass der Wald als solcher dann stehenbleibt. Aber die Flächen seien ein Problem, sagt Pongratz: "Wir brauchen sehr viele Flächen, gerade auch für die Viehwirtschaft beispielsweise." Wenn die landwirtschaftlich betriebenen Flächen so aufrechterhalten blieben, gebe es nicht genug Flächen, um die Ziele der Länder in Bezug auf die Ausweitung der Waldflächen zum Klimaschutz umzusetzen.

Forscherin: Nicht zu sehr auf Technologien verlassen

Bei Anlagen, die CO₂ aus der Atmosphäre ziehen, ist Pongratz aktuell skeptisch: Die größte Filteranlage soll ihr zufolge planmäßig 4.000 Tonnen CO₂ pro Jahr aus der Atmosphäre aufnehmen. Das entspreche den Emissionen von ungefähr 500 Deutschen pro Jahr und das sei verschwindend gering. "Wir sind eben noch weit davon entfernt, das wirklich auf die große Skala zu bringen." Für die nächsten Jahre seien es auf jeden Fall die Landsenken und die Wälder, die die CO₂-Entnahme garantieren.

Mit Blick auf die zweite Hälfte des Jahrhunderts sei klar, dass die Menschen da nicht drumherum kommen, andere Maßnahmen im Portfolio zu haben. "Wenn wir das haben wollen, dann muss auch dahinein investiert werden", fordert Pongratz. Aber die Gefahr sei da auch, dass man sich zu sehr auf diese Technologien verlasse. "Und dass wir dann sagen, wir müssen uns gar nicht so anstrengen auf Seiten der Emissionsreduktion und da passen die Zahlen einfach nicht zusammen." Man könne nicht die derzeitigen Emissionen durch CCS, also das Speichern von Emissionen in der Erde, und durch CO₂-Entnahme kompensieren.

Das steckt hinter dem "Klima-Overshoot"

Das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, ist laut der Klimaforscherin inzwischen sehr schwierig. Bis vor wenigen Jahren ergab das technologisch und ökonomisch Sinn. "Auf jeden Fall müssen wir jetzt rapide dauerhaft und über die ganze Welt hinweg die Emissionen reduzieren", sagt Pongratz. Wovon man jetzt sehr viel spreche, sei ein gewisser Overshoot, so die LMU-Professorin. Das bedeutet ihr zufolge, dass das Klima temporär über die Temperaturziele hinausschießt und dann gegen Ende des Jahrhunderts wieder heruntergebracht wird. Pongratz erklärt: "Das ist natürlich möglich und scheint plausibel, hat aber natürlich die Risiken, dass man in dieser Zeit, in der man über den eigentlichen Temperaturzielen liegt, teils irreversible Schäden verursacht."

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