In der Münchner Runde wurde diskutiert, was beim Umgang mit Ängsten helfen kann.
Bildrechte: Bayerischer Rundfunk 2024

Eckart von Hirschhausen, Carlo Masala und Laura-Kristine Krause in der "Münchner Runde".

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Keine Entspannungsphase mehr: Vielzahl an Krisen fordert alle

Erst die Pandemie, dann der Ukraine-Krieg und jetzt der Nahost-Konflikt. Dazu schwächelt die Wirtschaft, viele Bürger leiden immer noch unter Preissteigerungen. Die Münchner Runde diskutierte über den richtigen Umgang mit aktuellen Krisen.

Über dieses Thema berichtet: Münchner Runde am .

Es scheint, als jage eine Krise die nächste: Auf die Corona-Pandemie folgten der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Die Energiekrise und steigende Lebenshaltungskosten bereiten immer noch vielen Sorgen. Der jüngste Schock: Der Angriff Irans auf Israel.

Zur neuesten Eskalation im Nahost-Konflikt erklärte der Militärexperte Carlo Masala, er rechne nach wie vor mit einer Reaktion Israels auf die iranische Aggression am Wochenende: "Ich gehe davon aus, Israel wird reagieren. Und wird dann aber definitiv nicht wissen, wie wird der Iran reagieren." Weder der Iran noch Israel würden den "großen Krieg" wollen – Fehleinschätzungen könnten aber zu einer Eskalation der Lage und zu einem großen regionalen Konflikt im Nahen und Mittleren Osten beitragen.

Masala vergleicht Lage in Nahost mit Zeit vor Erstem Weltkrieg

Masala zog einen Vergleich mit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg: "Wir sind in einer klassischen Situation im Mittleren und Nahen Osten, die man bisschen mit 1914 vergleichen kann. Eigentlich will keiner den großen Krieg. Die Israelis und die Iraner wollen auch nicht die direkte Konfrontation." Ein "regionaler Krieg" würde die USA "dazu zwingen, direkt einzugreifen." Das Szenario einer nuklearen Eskalation schloss der Militärexperte aus.

Nach dem Angriff des Irans auf Israel am Wochenende ist bei vielen die Sorge groß, dass die Situation im Nahost-Konflikt weiter eskaliert. Im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine und die atomaren Drohungen aus Russland meinte Masala, diese würden von der deutschen Gesellschaft "sehr ängstlich" aufgenommen: Dieses Thema werde bei uns "mit einer Ängstlichkeit" diskutiert, die in anderen Ländern nicht in diesem Ausmaß vorhanden sei.

Vergebliches Hoffen auf "Entspannungsmoment"

Auch Politikwissenschaftlerin Laura-Kristine Krause findet, dass die Menschen angesichts der Vielzahl und Gleichzeitigkeit der Krisen überfordert seien. Krause ist Geschäftsführerin der Berliner Forschungsorganisation "More in Common". Viele hätten nach der Pandemie auf einen "Entspannungsmoment" gehofft, die aber nie gekommen sei.

Umfragen ihrer Forschungsorganisation haben ergeben, dass es 73 Prozent der Menschen in Deutschland derzeit schwerfällt, sich eine bessere Zukunft vorzustellen. "Am Anfang der Preiskrise haben wir gefragt, ob diese Krise auch dazu führen kann, dass Politik und Wirtschaft jetzt diese nötigen Weichenstellungen angehen und das konnten sich noch über 50 Prozent der Deutschen vorstellen", so Krause. Dieses Vertrauen in die Politik hätten aber viele mittlerweile verloren. "Das ist jetzt deutlich weniger. Das heißt, am Anfang hatten wir häufig die Vorstellung, dass aus einer Krise auch Zusammenhalt entstehen kann und ein gemeinsamer Moment." Dies sei auch zu Beginn der Corona-Pandemie so gewesen, so Krause. Heute scheine das bereits vergessen zu sein.

Landtagspräsidentin Aigner: Wirtschaft muss jetzt Vorrang haben

Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) sprach angesichts der Vielzahl an Krisen, mit denen die Menschen konfrontiert würden, von einer "Riesenherausforderung". Diese würden nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch Politikern "ein Stück weit Angst machen". Und sie kritisierte eine – in ihren Augen – falsche Prioritätensetzung in der Bundespolitik: "Wir haben heute die Debatte gehabt über Paragraf 218. Da kann man lange darüber diskutieren, ob das jetzt wirklich das zentrale Thema ist oder ob es eher um die Frage der wirtschaftlichen Sicherung geht." Sie plädierte dafür, sich jetzt vorrangig um die Wirtschaft zu kümmern.

Als Vertreter der bayerischen Wirtschaft klagte Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK München und Oberbayern, in der Münchner Runde über "strukturelle Probleme". Die Überalterung der Gesellschaft sei "dramatisch", bis 2040 fehlten 600.000 Arbeitskräfte. Die Politik müsse jetzt gegensteuern: "Die Politik hat bei der Wirtschaft viel mehr in der Hand als beim Krieg in der Ukraine, da sind wir ein kleiner Hebel, die Entscheider sitzen in Moskau, Washington und Peking", so Gößl. Für die heimische Industrie hingegen müsse jetzt dringend etwas getan werden – denn vor ihr lägen schwere Zeiten: "Die Wirtschaft weiß, dass die nächsten 14 Jahre magere Jahre werden. Darauf müssen wir uns einstellen."

Appell: "German Angst" auch als Stärke verstehen

Angesichts der Krisenstimmung im Land und des viel zitierten Begriffs der "German Angst" sagte Gößl: Sich Sorgen zu machen sei "ein Thema, das die Deutschen auszeichnet". Gelassenheit sei eher nicht ihre Stärke. Er plädierte aber dafür, Sorgen auch als Chance zu verstehen – wenn man dadurch ins Handeln komme. "Sorge heißt auch Achtsamkeit, anzuschieben, etwas zu verbessern, etwas im Auge zu haben, nicht nachlässig zu werden", so der Ökonom. Das sei auch eine Stärke der Deutschen. Es gehe immer um die "Einstellung", die man gegenüber einer Herausforderung entwickle.

Um aktuellen Herausforderungen zu begegnen, sei häufig Veränderung gefordert. Doch genau die mache vielen Menschen Angst, so Politikwissenschaftlerin Krause: "Es gibt ganz viele Menschen, die wollen, dass diese Krisen genutzt werden, um das Land zu verbessern, Dinge zu verändern." Es gebe aber ungefähr genauso viele Menschen, die Veränderung ablehnten und einfach nur zurück zum "Vorher" wollten.

Eckart von Hirschhausen: Klimakrise "größte Gefahr von allen"

Der Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen erklärte, es gebe drei Möglichkeiten, auf Angst zu reagieren: "Das erste ist Aggression, das zweite ist weglaufen und das dritte ist totstellen." Alle drei Reaktionen könne man aktuell in der Gesellschaft beobachten – und es gebe Parteien, die bewusst suggerierten: "Es wird wieder wie früher, wenn ihr die Politik von vorgestern wählt."

Die Politik müsse jetzt sehr deutlich kommunizieren, dass es ohne Veränderungen nicht geht - Hirschhausen nannte als Beispiel die Bekämpfung des Klimawandels. Die Klimakrise sei für "alle mit Abstand die größte Gefahr von allen". Deswegen halte er es für gefährlich, Menschen "vorzugaukeln", dass es keine Veränderungen bräuchte. Als Beispiel nannte er Tankrabatte, die ein vollkommen falsches Signal senden würden.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!