Landratsamt Main-Spessart in Karlstadt
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Karlstadt oder Lohr? Der Streit vor 50 Jahren um den Kreissitz

Am 15. Dezember 1971 wurde im Zuge der laufenden bayerischen Gebietsreform die Neugliederung der Landkreise beschlossen. Der Landkreis Main-Spessart ist damals neu entstanden. Doch eine Frage war noch nicht geklärt: Welche Stadt wird Kreissitz?

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Mainfranken am .

Der heutige Landkreis Main-Spessart ist ein Konstrukt aus den früheren Landkreisen Karlstadt, Gemünden am Main, Lohr am Main und Marktheidenfeld. Die Zusammenlegung der vier Kreise zum Großlandkreis mit heute rund 130.000 Einwohnern sorgte vor 50 Jahren im Zuge der Gebietsreform vielerorts für Zweifel und auch Unmut in der Bevölkerung. Doch wenigstens die Frage, welche Stadt den neuen Kreissitz bekommen würde, schien von Beginn an klar. Lohr am Main war die größte und wirtschaftsstärkste Kommune der vier ehemaligen Kreisstädte. Wie selbstverständlich rechneten die Lohrer deshalb damit, dass ihre Stadt auch zum Sitz des neuen Landratsamtes von Main-Spessart werden würde.

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Der Coup des damals neuen Landrats

Was damals noch kaum einer weiß: Der neue Landrat von Main-Spessart und Ex-Landrat des aufgelösten Kreises Karlstadt, Erwin Ammann, hat andere Pläne. Der CSU-Politiker will seine ehemalige Kreisstadt auch zum neuen Kreissitz von Main-Spessart machen. Eifrig wirbt Ammann für seine Idee, auch bei der Staatsregierung in München. In Main-Spessart werden die Aktivitäten Ammanns aber kaum beachtet – vor allem nicht in Lohr. Dort ist man sich nach wie vor sicher: Man wird die Kreisstadt von Main-Spessart.

Verraten und verkauft

Das Kabinett in München entscheidet schließlich die Frage - und es entscheidet sich für Karlstadt als Kreissitz von Main-Spessart! Jubel in Karlstadt. Und in Lohr? "Man war zunächst verwundert und dann entsetzt", erinnert sich der Lohrer Journalist und Stadthistoriker Karl Anderlohr. Die Lohrer fühlen sich verraten und verkauft. Die Volksseele kocht und lässt sich kaum beruhigen. In einer Versammlung in der Lohrer Stadthalle "zu der sich auch Landrat Ammann traute", wie Anderlohr es beschreibt, rufen aufgebrachte Lohrer: "Ammann raus!"

Der Zug durch Karlstadt

Legendär dann die "Fahrt nach München". In einem Sonderzug reisen mehrere tausend Lohrer zum Protest in die Landeshauptstadt. Doch schon auf dem Weg zu ihrem letztlich erfolglosen Aufbegehren, kommt die Häme aus Karlstadt, erinnert sich Wolfgang Kunz, der damals Mitglied der Jungen Union in Karlstadt war. Am heimischen Bahnsteig erwarten sie den Sonderzug mit dem Schild: "Auch der Zug nach München fährt durch Karlstadt".

Wunden nach fünf Jahrzehnten verheilt

Was heute nur noch eine historische Anekdote ist, hat damals tiefe Wunden gerissen, auch und gerade in der CSU. Altgediente Lohrer Parteimitglieder etwa traten aus und gründeten die Main-Spessart-Union. Die Regional-Partei ist erst 2005 wieder aufgelöst worden. Nach fünf Jahrzehnten ist man sich heute weitgehend einig: Die Kreissitzvergabe hat Karlstadt genützt und Lohr nicht geschadet. Und damit können alle leben, wenn auch in Lohr mit immer noch etwas Schmerz und in Karlstadt mit immer noch etwas Schadenfreude.

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