"Der größte Fehler der Politik ist die Kontinuität im Irrtum"
Ein Satz, mit dem Horst Seehofer seinen eigenen Regierungsstil im Wahlkampf 2013 beschreibt, auf dem Höhepunkt seiner Macht. Als "Drehhofer" verspottete ihn die Opposition, weil er bei vielen Themen ständig seine Meinung wechselte. Seehofer selbst verwies dann gerne darauf, dass die Bayern in ihrer Geschichte mehrfach die Seiten gewechselt haben, um zu den Gewinnern zu gehören.
Als solcher sah er sich immer gerne selber: Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wollte er Bayern zum Vorreiter der Energiewende machen, obwohl in der CSU viele Anhänger der Atomkraft blieben. Als die Studiengebühren 2013 in Bayern auf Druck der Opposition unpopulär wurden, räumte sie Seehofer kurzerhand ab - den Landtagswahlkampf vor Augen. Auch hier wollten Teile der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag die Gebühren behalten, die Edmund Stoiber eingeführt hatte.
In Personalunion als Bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef gab er im Bund die Wehrpflicht preis, die der konservative Flügel in seiner Partei bis dato zum Markenkern zählte. Ähnliches beim Donauausbau, einem der zentralen Infrastrukturprojekte im Freistaat: Hier präfierte die CSU einen größeren Ausbau mit Staustufe und Stichkanal zwischen Straubing und Passau - bis Seehofer kam und gegen den Widerstand vieler Parteifreunde einen sanfteren Ausbau ohne Kanal durchsetzte. Unbestritten ist dagegen seine Leistung bei der historischen Annäherung an Tschechien. Nachdem aufgrund der Vertriebenen-Problematik Jahrzehnte zwischen Bayern und Böhmen auf höchster politischer Ebene nicht gesprochen wurde, forcierte Seehofer mit zahlreichen Besuchen eine schrittweise Annäherung an den Nachbarn.
"Koalition mit Bürgern - für mich Fundament und Auftrag"
Gerne gab Seehofer den zuhörenden und sich kümmernden Landesvater, der durch den Freistaat reist und die Argumente sammelt, bevor er politisch entscheidet. Auch wenn sich bei manchen der Eindruck aufdrängte, dass er wie beim Donauausbau seine Entscheidung schon getroffen hat und jetzt nur noch eine Dramaturgie sucht, um sie mitzuteilen - dieser bürgernahe Stil kam lange Zeit gut an. Allerdings bewegte sich Seehofer oft auf einem schmalen Grad: Beim Ausbau des Münchner Flughafens konnte man mal in seine Aussagen rein interpretieren, dass er für eine dritte Startbahn ist, dann, wie nach einem Besuch vor Ort, wieder eher dagegen. Am Ende blickten viele nicht mehr durch - und das Thema ist bis heute politisch nicht entschieden. Auch bei der Frage wohin Bayerns dritter Nationalpark kommen soll, kam Seehofer über den Status von Bürgerdialogen nicht hinaus - und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sein Nachfolge Markus Söder die Idee wieder beerdigt, da der Widerstand groß und laut ist.
"Größte Gefahr für die Zukunft ist Erfolg der Gegenwart"
Wirtschaftspolitisch kann Seehofer selbst die Opposition wenig ankreiden - Bayern steht solide da, der Haushalt ist seit Jahren ausgeglichen, die Ballungsgebiete boomen. Seehofer rief 2011 - im Angesicht der Finanz- und Griechenlandkrise - als großes Ziel aus, dass Bayern bis 2030 schuldenfrei sein soll. Die entscheidenden Tilgungszahlungen muss jetzt allerdings Markus Söder leisten - genauso wie die unerledigten Hausaufgaben beim Thema Wohnungsbau und Kitas. Wachstum und Wohlstand forderten auch in Bayern ihren Preis, gerade die Städte ersticken am eigenen Erfolg. Politik und Öffentlichkeit blieb lange unbemerkt, dass die sozialen Probleme zunahmen. "Die größte Gefahr für die Zukunft ist der Erfolg der Gegenwart" - ein Satz den Seehofer gerne zitierte - aber nur wirtschaftlich dachte. Er, obwohl lange Sozialpolitiker, hat wie viele lange übersehen, was unter der Oberfläche brodelte und die AfD auch in Bayern stark machte.
"Eine erhebliche Demontage meiner Person."
Vertraute oder gar Freunde hatte Seehofer in seiner Zeit als Regierungschef nur wenige, er vertraute vor allem einer Person: sich selber. Intern galt sein Regierungsstil als brachial, in Kabinettssitzungen soll er mehrfach Parteifreunde abgekanzelt haben. Mit seinen oft einsamen Entscheidungen machte er sich in der Landtagsfraktion, der "Herzkammer" der CSU, keine Freunde. Doch der Erfolg gab ihm lange Recht. So ballten viele die Faust in der Tasche, folgten Seehofer aber immer zähneknirschend. Bis zur Bundestagswahl 2017.
Nach dem historisch schlechten Wahlergebnis für die CSU in Bayern (38,8 Prozent) am 24. September 2017 wetzten Seehofers parteiinterne Gegner die Messer. Es folgte ein langer, zermürbender Machtkampf, den es in der Geschichte der CSU so noch nicht gegeben hat. Als Seehofer erkannte, dass er sich nicht mehr im Amt halten kann, vereinbarte er Anfang Dezember 2017, das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten bis Ende März 2018 an Markus Söder zu übergeben, aber CSU-Chef bleiben zu dürfen. Der Bogen war überspannt, auch in der Bevölkerung: Seine Beliebtheitswerte sanken rapide. In der Flüchtlingskrise sich erst gegen Angela Merkel zu stellen und dann im Wahlkampf plötzlich wieder für sie – diese Umdrehung war wohl eine zu viel.
Seinen letzten Arbeitstag als Bayerischer Ministerpräsident verbringt Seehofer mit einer Kabinettssitzung in der Staatskanzlei, am Mittag will er noch einmal vor die Presse treten. Danach wird er wohl die Staatskanzlei mit seinem Dienstwagen durch Tiefgarage Richtung Berlin verlassen, wo er am Mittwoch als Bundesinnenminister vereidigt werden soll. Ein Besuch bei der CSU-Fraktion im Landtag, die Seehofer für seinen Sturz als Ministerpräsident verantwortlich macht, ist nicht vorgesehen. Das letzte mal hat er am 12. Oktober 2017 an einer Plenarsitzung teilgenommen.