Katja (rechts) wohnt bei Eva (links). Das Alt-Jung-Tandem hilft sich gegenseitig: Gratis Wohnen im großen Haus von Eva im Tausch gegen Hilfe im Haushalt durch Katja.
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Katja (re) wohnt bei Eva (li). Das Alt-Jung-Tandem hilft sich gegenseitig: Gratis Wohnen in Evas Haus im Tausch gegen Katjas Hilfe im Haushalt.

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Hilfe im Haushalt statt Miete: Erfolgsmodell ohne klares Gesetz

Zwei Generationen, ein Haus: Eva, 87, bekommt Unterstützung von Katja, 33. Sie hilft der Seniorin im Haushalt, wohnt dafür gratis. Ein solches Angebot einer Rosenheimer Vermittlung wünschen sich viele, doch bislang fehlt ein steuerrechtlicher Rahmen.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Ein Reihenhaus in einer oberbayerischen Gemeinde. Hier lebt Eva Schönauer im Erdgeschoss. Über der 87-jährigen Rentnerin wohnt Katja. Die beiden sind weder verwandt noch verschwägert. Zwischen ihnen liegen mehr als 50 Lebensjahre. Und doch haben sie sich auf eine Wohngemeinschaft eingelassen, die für beide große Vorteile mit sich bringt.

Modell in Rosenheim: Wohnraum gegen Haushaltshilfe

Katja ist vor vier Jahren eingezogen, damals steckte sie noch mitten im Studium: "Eine Wohnung ganz allein für mich hätte ich mir nicht leisten können. Da waren die Optionen Studentenwohnheim, WG oder dieses Modell." Dieses Modell bedeutet, dass Katja zwölf Stunden im Monat im Haushalt der 87-Jährigen hilft. Dafür wohnt sie mietfrei. Die Hauseigentümerin kann so in ihrer vertrauten Umgebung bleiben, obwohl sie zum Beispiel den Boden wegen ihrer Hüft-OPs nicht mehr selbst wischen kann.

Jeden Samstag frühstücken Eva und Katja gemeinsam. Die persönliche Ansprache ist der Seniorin besonders wichtig. Sie ist froh, nicht alleine wohnen zu müssen. "Wir haben das ein paar Häuser weiter gehabt: Da ist ein Mann, der allein gelebt hat, die Treppe runtergestürzt und zwei Tage dagelegen war, weil niemand ihn gehört hat", schildert die 87-Jährige - eine Situation, die sie lieber nicht erleben will.

Vermittlerin: "Barriere, jemand Fremden ins Haus zu nehmen"

"Wohnen für Hilfe" – so heißt ein Projekt in Rosenheim. Ilse Ilgenfritz ist eine der ehrenamtlichen Vermittlerinnen. Sie versucht Studenten, die nur wenig Geld für ihre Miete ausgeben können, mit Senioren, die zwar über genügend Wohnraum verfügen, aber Hilfe brauchen, zusammenzubringen. Gegenüber BR24 erklärt Ilgenfritz auf einem Streifzug durch die Stadt: "Das ist eine typische Straße in Rosenheim. Hier gibt es sehr viele, große Einfamilienhäuser. Und in jedem wohnt nur eine Dame. Es gäbe also viel Raum für junge Menschen. Aber es ist immer die Barriere da, jemand Fremden ins Haus zu nehmen."

Doch ohne fremde Hilfe geht es oft nicht ab einem gewissen Alter. Denn gleichzeitig wünscht sich - laut einer von Statista veröffentlichten Umfrage - die Mehrheit der Deutschen, in den eigenen vier Wänden alt zu werden. 67 Prozent der Befragten wollen ohne Hilfe zu Hause leben, 57 Prozent können sich vorstellen, sogar dann zu Hause wohnen zu bleiben, wenn sie auf Hilfe angewiesen sind. Fest steht: In Deutschland stehen in Zukunft weniger Kapazitäten an Pflegeplätzen, Betreutem Wohnen und Pflegeheimen zur Verfügung. Zugleich steigt die Lebenserwartung weiter an. Und die Mieten in den Städten explodieren. Gratis Wohnen gegen Hilfe - ist das also ein Modell, das großflächig Schule machen kann?

Welche steuerrechtlichen Hürden es gibt

Die Stadt Rosenheim unterstützt das Projekt "Wohnen für Hilfe" und stellt Räume zur Verfügung. In den Verträgen zwischen Senioren und Studenten sind die gegenseitigen Leistungen genau geregelt: Eine Stunde Arbeit für einen Quadratmeter Wohnraum gratis. Die Vertragspartner zahlen für die Leistungen bislang keine Steuern. Doch ist das Modell steuerrechtlich überhaupt möglich? Die Unklarheit halte viele Senioren ab, davon Gebrauch zu machen, so Ilse Ilgenfritz. Sie fordert deshalb: "Die Politik sollte im Einkommenssteuergesetz explizit festlegen, dass Wohnen für Hilfe steuerfrei ist."

Auch der Freistaat unterstützt das Modell, 2019 habe man den damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz von der SPD zur steuerlichen Freistellung aufgefordert. Auf Nachfrage teilte das bayerische Finanzministerium Anfang März 2023 gegenüber Kontrovers mit: "Die notwendigen Stellschrauben hierfür liegen beim Bund, weshalb Bayern nicht im Alleingang tätig werden kann."

Mindestlohn und Lohnsteuer - viele offene Fragen

Das Bundesfinanzministerium geht grundsätzlich davon aus, dass sowohl die Hilfe, als auch der Wohnraum zu versteuern seien, verweist aber auf Länder, die für die Anwendung der Steuergesetze zuständig seien: "Wenden Sie sich daher mit Ihren Fragen bitte an die jeweiligen Landesfinanzbehörden".

Johanna Hey ist Steuerrechtsprofessorin an der Universität zu Köln. Auch sie befürwortet das Modell "Hilfe gegen Wohnen". Sie sieht aber zwei grundsätzliche Probleme, die viele, die das Modell selbst nutzen, gar nicht kennen. Denn laut ihrer Ansicht ergeben sich sowohl für Vermieter als auch den Helfer Steuerpflichten, da Leistungen ausgetauscht werden. "Die Wohnungseigentümer müssen die Mieteinkünfte vor dem Finanzamt erklären und die Helfer müssen grundsätzlich Lohnsteuer bezahlen. Außerdem gilt für dieses Modell der Mindestlohn. Und der darf nicht in Sachleistungen abgegolten werden", erläutert die Steuerexpertin. Aktuell könne das Modell bedauerlicherweise nicht funktionieren. Auch sie plädiert deshalb für eine Gesetzesänderung.

Wenn man "Wohnen gegen Hilfe" grundsätzlich von der Steuer befreit, wären die Einnahme-Verluste für den Staat ohnehin gering. "Die Vermieter haben häufig die Möglichkeit, steuerliche Begünstigungen für haushaltsnahe Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Und die meisten Studierenden, die dann einen Arbeitslohn beziehen würden, sind dann auch nicht steuerpflichtig, weil sie weniger als das Existenzminimum verdienen", erklärt die Steuerexpertin. Alt-Jung-Tandems, die sich zusammentun und gegenseitig voneinander profitieren und damit das Pflegesystem entlasten, sind ein Erfolgsmodell. Jetzt ist der Bund gefragt, die steuerrechtlichen Probleme aus dem Weg zu räumen.

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