"Ich hätte nie damit gerechnet, das war für mich auch mehr so ein kleines Herzens- und Spaßprojekt", lacht Julia Sommer. Dass ihre Gebärdensprachekurse so einen großen Anklang finden, überrascht die 22-Jährige noch immer – und die Warteliste ist lang. Im vergangenen Semester hat sie den ersten Kurs für Studierende gegeben. Mittlerweile können auch Menschen, die nicht an der Hochschule Ansbach studieren, an ihren Kursen teilnehmen, egal wie jung oder alt sie sind.
Farben mit den Händen sprechen
An diesem Donnerstagabend lernt der externe Kurs mit 26 Teilnehmenden. Heute geht es darum, wie man Menschen in Gebärdensprache beschreibt. Julia Sommer kreist mit ihrem Daumen vor der Nase und zeigt dann auf ihre Augen. "Braune Augen", bedeutet das. Und die Brille: "Als würde man den Rahmen festhalten und aufsetzen", sagt sie. Dabei macht sie die passende Bewegung, die Gruppe macht es nach.
- Zum Artikel: Gehörlose Menschen kämpfen für Gehörlosengeld
Als Kind häufig gedolmetscht
Für Julia Sommer ist es so normal die Gebärdensprache zu sprechen wie Deutsch. Die junge Frau wuchs in Berlin auf, ihre Eltern sind gehörlos. Als Nachteil hat sie das nie empfunden, auch wenn ihre Schwester und sie von klein auf als Dolmetscher viel Verantwortung hatten - beim Arzt, in der Apotheke oder auch nur beim Bäcker. "Das macht einen als Kind auch viel umsichtiger, man wird ein bisschen schneller erwachsen."
"Einfache Mittel" wie Stift und Zettel
An der Hochschule Ansbach studiert sie Multimedia und Kommunikation. Dass sie hier nun die Kurse geben kann, freut sie sehr. Denn auch wenn sie selbst nicht betroffen ist – als Angehörige hat Julia Sommer einen Einblick, welche Situationen für gehörlose Menschen schwierig sind. Oft werden Gehörlose abgestempelt, sagt sie. "Oder man wird dann in der S-Bahn einfach ganz lange angestarrt, weil man sich einfach visuell unterhält." Außerdem habe sie häufig erlebt, dass andere nicht mal versuchen, mit Gehörlosen auszutauschen oder ihnen weiterzuhelfen. Dabei gehe das mit "ganz einfachen Mitteln - wie Stift und Zettel".
Motivation der Teilnehmenden
Die Männer und Frauen hier im Kurs kommen aus den unterschiedlichsten Gründen: Manche haben gehörlose Kollegen oder Familienmitglieder, andere möchten einfach etwas dazulernen, um im Fall der Fälle helfen zu können. "Ich wollte schon lange Gebärdensprache lernen, weil ich selber schlecht höre", sagt eine Teilnehmerin. Die Frau neben ihr hat eine ähnliche Motivation: "Ich bin vor einem Jahr ertaubt auf einem Ohr und man kann mir leider nicht sagen, ob es bei dem einen Ohr bleibt und da bereite ich mich jetzt schon mal ein bisschen vor."
Es wird zu wenig für Gehörlose mitgedacht
Dass Gehörlosigkeit jeden treffen kann, auch ganz plötzlich, das betont auch Julia Sommer. Für sie ist es deshalb umso weniger verständlich, dass nicht mehr für Gehörlose mitgedacht wird, beispielsweise durch regelmäßige Untertitel oder Dolmetscher im Fernsehen. Sie hat aber schon das Gefühl, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit bekommt vor allem in den sozialen Medien, das sei auch der Eindruck ihrer Eltern. "Soziale Medien sind vor allem für junge Gehörlose echt super, weil man sich dort viel schneller verbinden kann."
Viel Arbeit, aber "Herzensprojekt"
Nach eineinhalb Stunden ohne Pause ist die Kurseinheit geschafft. "Es war richtig, richtig schön! Da geht mir immer richtig das Herz auf, wenn ich den Kurs mache, weil alle mit so viel Motivation dabei sind", sagt Julia Sommer. Zwei Abende pro Woche unterrichtet sie die Kurse, hinzu kommt die Vorbereitung. Doch man kann ihr ansehen, dass es ihr trotz der vielen Arbeit viel gibt: "Es ist mein Herzensprojekt, ich könnte danach Bäume ausreißen", sagt sie lachend.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!