Walchenseekraftwerk
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Fürs Klima, aber gegen die Isar: 100 Jahre Walchenseekraftwerk

Seit 100 Jahren treibt die Isar mit ihrem Wasser das Walchenseekraftwerk an, und das produziert Ökostrom für Bayerns Haushalte und die Bahn. Allerdings leidet die Isar, einer der letzten Wildflüsse Europas, unter diesem Eingriff.

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Das Walchenseekraftwerk liefert seit 100 Jahren Ökostrom. Am 24. Januar 1924 wurde das Meisterwerk des Technik- und Wasserkraftpioniers Oskar von Miller eingeweiht. Es nutzt den Höhenunterschied von 200 Metern zwischen dem Walchensee und dem Kochelsee und macht aus dem Wasser Strom. Unter Naturschützern ist dieses technische Wunderwerk allerdings umstritten.

  • Zum Artikel: "Grüne: Bayern soll Wasserkraftwerke von Uniper kaufen"

Seit 100 Jahren Ökostrom aus dem Walchensee

Das Walchenseekraftwerk ist ein wahres Kraftpaket. Mit einer Spitzenleistung von 124 Megawatt kann es rein rechnerisch rund zwei Millionen Glühbirnen à 60 Watt zum Leuchten bringen und produziert im Jahr rund 300 Millionen Kilowattstunden.

Oben im Wasserschloss fließt das Wasser mit Fußgängergeschwindigkeit in die sechs massiven, mehr als zwei Meter dicken Rohre ein und erreicht unten im Tal eine Geschwindigkeit von etwas über 200 Kilometern pro Stunde. Auf den letzten Zentimetern verjüngen sich die Rohre auf einen Durchmesser von 20 Zentimetern.

Theodoros Reumschüssel vom Betreiber Uniper schwärmt von einem "wunderbaren Beispiel für Nachhaltigkeit in Stromerzeugung". Schließlich habe sich der CO₂-Aufwand beim Bau des Kraftwerks für inzwischen 100 Jahre CO₂-freie Kilowattstunden gelohnt.

Isar 1924 in den Walchensee umgeleitet

Damit das Wasser überhaupt zu den Rohren kommt, haben die Erbauer um Oskar von Miller einen 1,2 Kilometer langen Stollen vom Walchensee durch den Berg getrieben. Das einzige Problem damals war, dass der Walchensee nur kleine Bäche als Zuflüsse hat - mit zwei bis drei Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Damit könnte man nie und nimmer zwei Millionen Glühbirnen zum Leuchten bringen.

Also hat Oskar von Miller einen rund zehn Kilometer langen Kanal von der Isar zum Walchensee gebaut. Von 1924 bis 1990 sperrte ein Wehr bei Krün die Isar ab und leitete ihr Wasser in diesen Kanal. Das Flussbett war somit ausgetrocknet und ein jahrmillionenalter Lebensraum zerstört.

Der Kies bleibt liegen und es wachsen Pflanzen

Im Jahr 1990 hat der Verein "Rettet die Isar jetzt" immerhin erreicht, dass die ab Krün wenigstens etwas Restwasser bekommt: im Sommer 4,8 und im Winter drei Kubikmeter pro Sekunde. Damit ist die Obere Isar nur noch ein besserer Bach. Dennoch gilt sie als letzter Wildfluss der Alpen.

Karl Probst vom Verein "Rettet die Isar jetzt" fordert, dass die Isar deutlich mehr Restwasser bekommt. Denn sie ist zu schwächlich, um den aus den Alpen herangeschwemmten Kies umzulagern und abzutransportieren. Selbst ein Hochwasser reicht da nicht aus, sagt Probst, denn die Betreiber des Walchenseekraftwerks machten das Wehr nur kurz auf. So häufen sich die Kiesschichten unterhalb des Wehrs auf und es können Büsche und Bäume darauf wachsen.

Seltene Arten brauchen die freien Kiesflächen

Vor der Zeit des Walchenseekraftwerks waren noch mehr als zwei Drittel der Flusslandschaft frei von Gehölzen, heute ist es nicht einmal mehr ein Drittel. Das Nachsehen haben seltene Arten, die auf die rohen Kiesflächen angewiesen sind, wie die Gefleckte Schnarrschrecke, der Flussregenpfeifer oder die Flussuferwolfspinne.

Insgesamt leben an der Oberen Isar 200 Tier- und Pflanzenarten, die auf der Roten Liste stehen. Christine Margraf vom Bund Naturschutz in Bayern fordert deshalb, dass das Walchenseekraftwerk der Isar deutlich mehr Wasser zurückgibt. Auch, wenn damit CO₂-freie Energie verloren ginge.

Nicht nur Klimakrise, sondern auch Artenschwund

Schließlich hätten wir nicht nur eine Klimakrise, sondern auch eine Biodiversitätskrise, sagt Margraf: "Und deswegen sagen wir: Energetische Nutzung ja, weiterhin, aber nur so, dass das Fluss-Ökosystem überleben kann." Sie gibt zu bedenken, dass so ein Wildfluss ein Hotspot der biologischen Artenvielfalt ist: "Flüsse und Auen sind für Europa das, was weltweit der Amazonas ist", sagt Margraf.

Natürlich will auch der Bund Naturschutz, dass Bayern möglichst schnell klimaneutral wird. Das ließe sich jedoch auch mit weniger Wasserkraft erreichen, rechnet Margraf vor: Die Hälfte unseres Stromverbrauchs könnten wir einfach einsparen, und dann sei Strom aus Sonne und Wind viel ökologischer als die Wasserkraft. Denn Wasserkraft zerstört Lebensräume von Tieren und Pflanze, so Margraf.

Jachen und Rißbach ebenfalls trockengelegt

Es leidet aber nicht nur die Isar unter dem Walchenseekraftwerk, sondern die Erbauer haben vor 100 Jahren auch den natürlichen Abfluss des Walchensees dicht gemacht - die Jachen, die durch die nach ihr benannte Jachenau fließt und jetzt nur noch durch in sie mündende Bäche gespeist wird.

Außerdem bekam der größte Zufluss der Oberen Isar, der Rißbach, 1950 ein Wehr, das sämtliches Wasser über einen unterirdischen Stollen in den Walchensee leitet. Die letzten fünf Kilometer des Rißbachs sind seither Totstrecke - ohne Restwasser. Nur bei Hochwasser fließt hier noch Wasser.

2030 läuft Konzession für Walchenseekraftwerk aus

Doch es gibt Hoffnung für die Artenvielfalt an der Isar. Im Jahr 2030 läuft nämlich die Konzession für das Walchenseekraftwerk aus und muss erneuert werden – möglicherweise zu neuen Konditionen. Dann wird sicher auch eine Rolle spielen, dass das Walchenseekraftwerk nicht einmal 0,5 Prozent der bayerischen Stromproduktion ausmacht.

Im Video: Bau des Walchenseekraftwerks - Schwere Arbeitsbedingungen vor 100 Jahren

Schwere Arbeitsbedinungen beim Bau des Walchenseekraftwerks
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Bau des Walchenseekraftwerks - Schwere Arbeitsbedingungen vor 100 Jahren

Dieser Artikel ist erstmals am 20.01.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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