EU-Verbot für Tätowierungs-Farben
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Tätowierer Marcel Kaußen aus Nördlingen bei der Arbeit.

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Farbe unter die Haut - nur welche: EU-Verbot stresst Tätowierer

Die Nachfrage nach Tattoos ist groß: Inzwischen ist jeder fünfte Deutsche tätowiert. Doch: Eine EU-Verordnung bereitet Tätowierern jetzt Schwierigkeiten. Fast alle Farben sind seit 1. Januar verboten. Ersatz kommt - aber nur langsam und spärlich.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Sein Oberkörper ist schon recht bunt: Ein Indianer, eine Uhr, ein Kompass, Traumfänger... doch: Noch ist Haut frei - und die Pläne in Markus Röttingers Kopf für diese Stellen sind schon da. "Vor sechs Jahren habe ich begonnen, mir bunte Tattoos stechen zu lassen. Und jetzt hieß es, dass die Farben ab Januar 2022 verboten werden. Da stand ich mit einem halbfertigen Tattoo auf dem Rücken da und hab mich gefragt, wie es weitergeht", sagt der 37-Jährige. Dabei geht es übrigens nicht nur um bunte Tattoos: Auch in schwarzen Farben wurden Bestandteile gefunden, die jetzt verboten sind.

Keine Farben für Tätowierer
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Tätowierer bei der Arbeit

Es gibt neue Farben - aber die Auswahl ist klein

Doch: Ein paar Hersteller haben reagiert. Darüber ist auch der Nördlinger Tätowierer Marcell Kaußen sehr froh. Endlich hat er Farben gefunden, die "REACH"-konform sind. So heißt die Verordnung, die seit 1. Januar in der EU gilt. An die 4000 Substanzen, die häufig in Tattoo-Farben verwendet werden, sind seitdem verboten. Die Folge für Tätowierer Marcell Kaußen: Er musste bereits vereinbarte Termine absagen, Kunden vertrösten. Denn: Er hatte erst mal keine Farben mehr.

Herstellung "REACH"-konformer Farben ist aufwendig und teuer

Tattoo-Farben werden größtenteils aus industriell gefertigten Pigmenten hergestellt. Also aus Pulvern, die mit Lösungsmitteln zu Farben verarbeitet werden. Diese Pigmente kaufen die Hersteller zu, erklärt der Physiker Wolfgang Bäumler, der an der Universität Regensburg seit über 20 Jahren zum Thema Tattoo-Farben forscht. Die neuen Grenzwerte einzuhalten, das sei ein großer Aufwand.

Das macht sich auch beim Kaufpreis bemerkbar. Das Zwei- bis Vierfache kosteten die neuen Farben, sagt Tätowierer Marcell Kaußen. Die Kunden stehen Schlange, wegen Corona mussten Termine verschoben werden. Die Einnahmen seien gesunken, die Unkosten aber steigen: Nicht nur für die Farben, auch Hygieneprodukte, wie etwa Einmalhandschuhe, seien seit Corona viel teurer geworden. Und davon braucht er viele: Immer wieder wechselt er die Handschuhe. Die Liege, auf der Kunde Markus Röttinger sitzt, ist mit einem Einmalüberzug geschützt. Hygiene ist hier das A und O, ähnlich wie in einer Arztpraxis.

Forderung: Berufszugang müsste geregelt werden

Natürlich muss auch der Umgang mit einer Tätowiermaschine gelernt sein. Sonst könne es passieren, dass man zu tief steche, und so Verletzungen verursache, die mit der Farbe erst mal gar nichts zu tun hätten. Er habe schon so einiges gesehen, sagt Kaußen. Das komme davon, wenn man sich von ungelernten "Tätowierern" ein Tattoo stechen lasse oder es selbst probiere. Danach kämen die Leute dann zu ihm, fragten um Hilfe. Er schicke die Leute dann zum Hautarzt - "aber schnell".

Derzeit darf sich jeder Tätowierer nennen, die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Eine entsprechende Ausbildung oder Prüfungen sind nicht vorgeschrieben. Hier, fordert der erfahrene Tätowierer, wären Vorschriften sinnvoll. Eine Tätowiermaschine und Farben, und zwar auch die, die seit 1.1. in der EU verboten sind, kann man sich günstig im Internet bestellen. Genau das, fürchtet er, könnte jetzt passieren: Während sich offizielle Tattoostudios an die Regeln halten müssten, kann es sein, dass die Leute sich im Ausland tätowieren lassen oder eben bei jemandem im Wohnzimmer - mit den entsprechenden Risiken. Hier sollte man ansetzen, sagt Kaußen, und nicht 4000 Substanzen in den Farben auf einmal verbieten.

Keine Daten zu möglichen Schäden durch Tattoo-Farben im Körper

Zumal nicht wissenschaftlich bewiesen sei, dass diese Substanzen im menschlichen Körper einen Schaden anrichten. Professor Wolfgang Bäumler stimmt dem zu: Es sei noch nie untersucht worden, ob menschliche Organe wirklich durch die Inhaltsstoffe der Farben geschädigt würden. Man wisse zum Beispiel, dass die Lymphknoten von tätowierten Menschen Farbe aufnehmen, also teilweise schwarz oder rot sind. Ob das Auswirkungen hat, ist nicht erforscht. "Die Dosis macht das Gift", gibt er zu bedenken. Sprich: Man müsste untersuchen, ob überhaupt so viel potenziell gesundheitsschädliche Stoffe in den Körper eindringen, dass sie dort einen Schaden anrichten können. Das ist bisher nicht geschehen.

Professor: "Wenig Gesprächsbereitschaft zwischen Händler und Behörden"

Die Kritik am Verbot an sich überrasche ihn deshalb nicht. Den Aufschrei und die Überraschung bei Händlern und Tätowierern aber kann er nicht nachvollziehen: Erst mal habe man jahrzehntelang weggeschaut. Erst jetzt, wo Tattoos immer beliebter werden, hätten sich die Behörden dafür interessiert. Dann aber, kritisiert Bäumler, der selbst bei zahlreichen Anhörungen im Zuge des Verbotsprozesses dabei war, hätten beide Seiten nicht wirklich miteinander gesprochen: "Und jetzt herrscht Hektik und Ratlosigkeit. Das hätte man mit etwas mehr Gesprächsbereitschaft auf beiden Seiten sicher etwas besser hinbekommen können. Am Ende des Tages wäre es sinnvoll einen Gegenvorschlag zu machen: nicht nur fast alles zu verbieten, sondern sich auf die Substanzen zu fokussieren, die ein geringes Risiko haben", schlägt Bäumler vor.

Hätte man die vier, fünf Substanzen, bei denen die größten Bedenken vorliegen, gestrichen, hätten die Hersteller es leichter, ein neues, EU-konformes Produkt zu entwickeln. Die meisten Hersteller säßen in den USA und in Asien, oftmals sehr kleine Unternehmen, die gar nicht die Möglichkeit hätten, diese Untersuchungen alle durchzuführen. Dazu kommt: In den USA sind weiterhin alle Farben erlaubt und der Markt dort ist viel größer als der in Europa. Die Frage ist deshalb, ob es sich für die Firmen überhaupt lohnt, für Europa neue Farben zu entwickeln.

Tätowierer sehen sich als Verlierer: "keine Lobby wie etwa die Tabakindustrie"

Der Verlierer hierzulande sei letztendlich der einzelne Tätowierer, der auf die Hersteller angewiesen ist und ihnen vertrauen muss. So sieht das auch Tätowierer Marcel Kaußen: Tätowieren sei eine anerkannte Kunstform. Als solche werde es aber oft nicht gesehen. Sie hätten eben keine große Lobby, wie etwa die Tabakindustrie sieh hat. Dass Rauchen gesundheitsschädlich, ja tödlich sein kann, das sei erwiesen. "Da wird es uns aber freigestellt, ob wir uns das in die Lunge jagen oder nicht – das winkt der Staat dann durch. Da hätte ich gerne mal ne Erklärung dazu wie so etwas sein kann", sagt er, und beugt sich wieder über den Rücken von Markus Röttinger. Der Totenkopf ist fast fertig - ein paar Schatten hat er heute noch eingefügt. Zum Glück besteht der hauptsächlich aus blau und rot - die gibt es schon - "REACH" konform.

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