Familienpflegerin Verena Burger hat sich um Kinder und Haushalt gekümmert, als es Mutter Henrike in der Schwangerschaft schlecht ging.
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Familienpflegerin Verena Burger hat sich um Kinder und Haushalt gekümmert, als es Mutter Henrike in der Schwangerschaft schlecht ging.

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Hilfe für erkrankte Eltern: Familienpflege droht auszusterben

Krank, OP, Reha: Wenn Mutter oder Vater ausfallen, springt eine Familienpflegerin ein. Sie kümmert sich um Kinder und Haushalt. Aber die Familienpflege in Bayern stirbt aus. Es gibt keinen Nachwuchs. Dabei brauchen immer mehr Familien Hilfe.

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Familienleben kann so schön, aber auch anstrengend sein. Glück und Stress liegen dabei nah beieinander. Wenn ein Elternteil erkrankt und ausfällt, bricht der Alltag meist zusammen. Das musste auch Familie Büschel-Stapelfeldt aus Freising in Oberbayern erleben. Mutter Henrike litt in der dritten Schwangerschaft unter starken Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen. Die Ärztin verordnete der 30-Jährigen Bettruhe. Die war nicht umsetzbar, denn die beiden anderen Kinder Fiete und Tilda, zwei und ein Jahr alt, mussten versorgt werden, Vater Bastian musste arbeiten, Oma und Opa waren nicht vor Ort.

Die Familienpflegerin kümmert sich um Kinder und Haushalt

Die Frauenärztin verschrieb der Mutter eine Familienpflegerin. Die Krankenkasse genehmigte die Unterstützung. Henrike Büschel musste aber selbst auf die Suche gehen. Schließlich fand sie im Netz das Familienpflegewerk in München. Der Träger vermittelte ihr Familienpflegerin Verena Burger. Sie half der fünfköpfigen Familie vier Wochen lang vor und nach der Entbindung des dritten Kindes. "Das war eine Riesenerleichterung: zu wissen, es kommt jetzt jemand, der täglich unterstützt!", sagt Mutter Henrike. Dabei sei es nicht nur über die körperliche Entlastung gegangen, sondern auch um die psychische Erleichterung.

Stress und Überforderung reichen nicht: Arzt muss Familienpflege verordnen

Familienpflegerin Verena Burger kümmerte sich um die Kinder und den Haushalt: Die 55-Jährige hat Fiete und Tilda von der Krippe abgeholt, ist mit ihnen auf den Spielplatz gegangen, hat Wäsche gewaschen, die Küche aufgeräumt, gekocht. Mutter Henrike Büschel musste sich um nichts kümmern, konnte sich ausruhen. Verena Burger arbeitet seit 36 Jahren als Familienpflegerin im Raum München. Sie ist selbst Mutter von drei erwachsenen Kindern. Aktuell versorgt sie drei Familien. Damit ist Verena Burger voll ausgelastet. Sie muss anderen Familien absagen, die auch Unterstützung benötigen.

Immer mehr Familien brauchen Familienpflege, es fehlt aber Personal

Die Nachfrage von in die Krise geratenen Familien steigt stetig, teilen bayerische Familienpflege-Träger auf BR24-Anfrage mit. Vor allem in den Großstädten ist der Bedarf groß. Denn hier gebe es viele Alleinerziehende, junge Mütter, Familien in prekären Situationen, berichtet Birgit Haserer, verantwortlich für die Familienpflege bei der Caritas. Die Großeltern, die früher oft zu Hilfe kamen, leben nicht mehr in der Nähe. Langfristig werde es auch in ländlichen Regionen schwierig werden, so Haserer.

Grundsätzlich seien die Einsätze schwieriger geworden, erzählt Felix Krauss vom Fachverband für Familienpflege der Diakonie in Erlangen. Denn psychische Erkrankungen wie Depression und Burnout von Mutter oder Vater hätten zugenommen. Damit dauern die Einsätze auch länger.

Familienpflegewerk, Caritas, Diakonie und AWO: Sie suchen alle verzweifelt nach Mitarbeitenden und Auszubildenden. Aber es finden sich kaum noch Frauen, die Familienpflegerin werden wollen. Männer üben diesen Beruf nicht aus. Laut Gesundheitsministerium gibt es aktuell 246 Fachkräfte in "solitären Familienpflegestationen".

Fachschulen für Familienpflege mussten schließen

Um Familienpflegerin zu werden, muss eine bereits abgeschlossene Berufsausbildung aus dem sozialen oder hauswirtschaftlichen Bereich vorgewiesen werden. Zwei Jahre dauert dann die Ausbildung, zu der unter anderem Pädagogik, Psychologie, Familiensoziologie, Pflege, Ernährungslehre und Hauswirtschaft gehören. Während der Ausbildung verdienen die Schülerinnen kein Geld. Im Gegenteil: Sie müssen zahlen. Die Folge: Die potenziell Interessierten bleiben in ihren alten Jobs wie Kinderpflege, Hauswirtschaft oder im Pflegedienst. Alle fünf Fachschulen in Bayern mussten schließen, die letzten beiden in München und in Ansbach in Mittelfranken. Zuletzt hatten die beiden Schulen zusammen 17 Auszubildende. Früher wurden jährlich hundert neue Familienpflegerinnen ausgebildet.

Kritik: Kassen bezahlen Familienpflege nur als Haushaltshilfe

Das Familienpflegewerk in München ist seit mehr als 70 Jahren im Einsatz und mit 22 Standorten und 180 Fachkräften der größte Anbieter in Bayern. Allein im vergangenen Jahr hat der Träger 1.800 Familien unterstützt. Er bilde mittlerweile seine wenigen Familienpflegerinnen in Baden-Württemberg aus, berichtet Geschäftsführer Stefan Galgon.

Er kritisiert die mangelnde Wertschätzung des Berufes. Die zeige sich bereits im Sozialgesetzbuch, in dem die Familienpflege gar nicht steht. Sie läuft unter Haushaltshilfe. Entsprechend rechnen die Krankenkassen ab. "Sie bezahlen Putzdienste, bekommen aber Familienpflegerinnen", sagt Stefan Galgon. Das gehe auf Dauer nicht gut. Und: "Die Kassen genehmigen zwar die Hilfe, lassen die Familien dann aber komplett allein." Sie müssen selbst suchen, finden aber keine Familienpflege.

Familienpflegerinnen begleiten kranke Mütter bis in den Tod

Familienpflegerin Verena Burger bedauert diese Entwicklung sehr. Sie mag an ihrem Job die Abwechslung und Vielseitigkeit. "Wir Älteren werden in den nächsten zehn Jahren alle in Rente gehen. Es werden dringend Fachkräfte gebraucht." Dabei leiden am meisten die betroffenen Familien unter dem Personalmangel. Neben ihren Problemen müssen sie auch noch herumtelefonieren, um eine Unterstützung zu finden. Das treibt die 55-Jährige um. "Viele Einsätze sind mit psychisch kranken Müttern, krebskranken Müttern, teilweise im Endstadium, die auch versterben." Die Familienpflege sei ein wichtiger Beruf. Er werde einfach oft nicht gesehen.

Maßnahmen für mehr Familienpflegerinnen

Traurig und ernüchternd sei die Entwicklung – ein Riesendilemma, sagen unisono die Träger der Familienpflege. Aber sie geben noch nicht auf und suchen weiter nach Möglichkeiten, Fachkräfte zu gewinnen. Sie bieten nun berufsbegleitende Weiterbildungen an, unter anderem zur Fachkraft für familienunterstützende Haushaltsführung in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Gesundheitsministerium, kooperieren auch mit Dorfhelferinnen und sind im Gespräch mit einer Schule in Regensburg.

Die Familienpflege kämpft ums Überleben und für die um Hilfe suchenden Familien in Bayern.

Im Video: Beruf im Porträt - Haus- und Familienpfleger

Haus- und Familienpfleger/-in
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