Forschungsanlage ASDEX Upgrade am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München
Bildrechte: dpa, Peter Kneffel

Ministerpräsident Söder und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen beim Besuch in der Garchinger Forschungsanlage.

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"Entweder wir sind dabei – oder wir überlassen es anderen"

Bayern soll bei der Kernfusion weiter führend sein, so Ministerpräsident Söder beim Besuch der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in der Garchinger Forschungsanlage. Statt weiterer Fördergelder gibt es aber erst mal eine Wunschliste.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Ein ungewohntes Bild für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die vor dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching warten: Staatskarossen, davor Markus Söder, der die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Küsschen begrüßt. Die Frage, die hier herumschwirrt: Was wird der Termin heute bringen? Zusätzliche Fördergelder oder nur warme Worte?

Bei der Kernfusion wird Energie ähnlich wie in der Sonne erzeugt

In der Forschungsanlage des Garchinger Max-Planck-Instituts arbeiten sie an einem Traum der Wissenschaft. An der Kernfusion. Energie soll dabei ähnlich wie in der Sonne erzeugt werden: durch die Verschmelzung von Atomkernen. Seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird an dieser Energieform geforscht. Damals hatte man damit gerechnet, dass die Kernfusion spätestens in den 1970er Jahren zur Stromerzeugung eingesetzt werden könne. Doch von einer wirtschaftlichen Anwendung ist die Technologie immer noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, entfernt. Die Kernfusion ist schließlich eine komplexe Aufgabe, das betont auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Garching. Trotzdem habe diese Technologie großes Potenzial und könne die erneuerbaren Energien ergänzen.

Keine neuen Fördergelder – aber Rahmenbedingungen sollen besser werden

Geldgeschenke hat die Kommissionspräsidentin allerdings nicht im Gepäck. Die Christdemokratin verspricht aber, sich auf EU-Ebene für bessere Rahmenbedingungen einzusetzen. Das will auch der Bayerische Ministerpräsident, denn "Kernfusion ist nicht Kernenergie". Manche Vorhaben in der Kernfusion könnten aber unter rechtliche Anforderungen der Kernenergie fallen, so Söder. Der Unterschied müsse geklärt werden. Anders als die Kernspaltung gilt die Kernfusion nach jetzigem Stand als sichere Technologie, ohne möglichen GAU oder viel strahlenden Müll, der sicher entsorgt werden müsste.

"München ist die europäische Hauptstadt der Kernfusion"

Diese Botschaft ist vor allem für die Gründer der Start-ups interessant, die neben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu dem Termin eingeladen wurden. Francesco Sciortino zum Beispiel hat früher selbst am Max-Planck-Institut gearbeitet, jetzt hat er ein Spin Off gegründet: die Firma Proxima Fusion. In den nächsten zehn Jahren möchte der gebürtige Italiener einen Fusionsreaktor entwickeln. Investoren habe er schon zahlreiche gewonnen. Aber die wollen Investitionssicherheit, also sichere Rahmenbedingungen. Nach verschiedenen technischen Erfolgen in der jüngsten Zeit ist Sciortino optimistisch. München ist für ihn übrigens die europäische Hauptstadt der Kernfusion.

Vorsprung darf nicht verspielt werden

Eine Aussage, über die sich die Bayerische Staatsregierung freuen dürfte. Ministerpräsident Markus Söder von der CSU setzt auf Start-ups, Investoren und Unternehmen, die gemeinsam an der Zukunft der Kernfusion arbeiten. Auch die EU-Kommissionspräsidentin will die Zusammenarbeit zwischen staatlichen und privaten Partnern fördern, wie sie betont.

Söder: USA investieren eine Milliarde Euro

Markus Söder hat bei dem Treffen genauso wie Ursula von der Leyen keine weiteren Fördergelder im Gepäck, betont aber, dass der Freistaat im sogenannten Masterplan Kernfusion 100 Millionen Euro bis 2028 bereitstellen wird. Als Nächstes wird die bayerische Expertenkommission Kernfusion ihre Arbeit aufnehmen, und dann werden an bayerischen Hochschulen nach und nach bis zu sechs neue Lehrstühle mit Fusions-Bezug besetzt. Das wurde vergangenes Jahr beschlossen.

Neben der Grundlagenforschung an der Fusions-Anlage in Garching möchte Söder in den nächsten zehn Jahren ein Demonstrationskraftwerk bauen. Da hofft er auf die Hilfe der EU und der Bundesregierung. An die Adresse der Kommissionspräsidentin gerichtet sagt er, dass er gerne eine europäische Fusionsallianz hätte. Als deren Sitz würde sich Bayern anbieten. Er warnt, dass man den aktuellen Vorsprung, den Europa auf dem Gebiet der Fusionstechnologie habe, nicht aufgeben dürfe. Die USA haben laut Söder vergangenes Jahr eine Milliarde für Kernfusion ausgegeben: Entweder sei man bei der Technologie dabei, oder überlasse sie anderen.

Zuletzt große Fortschritte

Ein Anliegen, das auch beim Max-Planck-Institut für Plasmaphysik geteilt wird. Die wissenschaftliche Direktorin des Instituts, Professor Sibylle Günter, erklärt bei dem Termin, dass die Kernfusion in den letzten zwei Jahren große Fortschritte gemacht habe. In Großbritannien habe man vor wenigen Monaten einen Rekord aufgestellt. So viel Energie wie noch nie sei erzeugt worden. Jetzt sei nicht mehr die Frage, ob es Kernfusion gebe, sondern wann und wo. Die Befürworter sind überzeugt, die Kernfusion sei wichtig für die Energiewende, weil sie anders als Sonne und Wind wetterunabhängig ist.

Von der Bundesregierung kamen positive Reaktionen auf das Treffen in Garching. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger von der FDP verwies darauf, dass man auf dem Weg zu einem ersten Fusionskraftwerk in Deutschland bis 2028 mehr als eine Milliarde Euro investieren werde.

Kritiker: Kernfusion viel zu teuer

Kritiker wie Professor Tobias Schmidt von der ETH-Zürich halten die Kernfusion vorerst für nicht rentabel. Schmidt ist überzeugt: Für wetterbedingte Engpässe bei den erneuerbaren Energien seien andere Technologien wie Wasserstoff und Gas besser geeignet und weitaus billiger.

Am Kernfusionsgroßprojekt ITER in Südfrankreich wird bereits seit Jahrzehnten gebaut. Statt 2025 soll das Kraftwerk frühestens 2035 fertig werden. Ursprünglich waren fünf Milliarden Euro geplant. Jetzt liegen die Kosten bei 20 Milliarden. Für die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre kann sich Schmidt deshalb nicht vorstellen, dass sich die Kernfusion durchsetzen wird.

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