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Einblicke in die Mittelschicht – viel Leistung wenig Geld?

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Einblicke in die Mittelschicht – Viel Leistung wenig Geld?

Die Mittelschicht in Deutschland steht unter Druck. Immer wieder hört man: Bürgergeldempfängern ginge es besser als anderen, die arbeiten. Die Politikmagazine Kontrovers und Report München haben einen Taxifahrer und eine Alleinerziehende getroffen.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Max Weiland ist in München unterwegs mit seinem Taxi, auf der Suche nach Kunden. Er ist selbstständig, dieser eine Wagen gehört ihm. Wie viel er damit arbeitet, das bestimmt er selbst. In der Regel sind es 50 Stunden pro Woche. In einer Pause rechnet er uns vor, was ihm nach Abzug seiner Betriebskosten im Monat bleibt: Es sind zwischen 1.700 und 1.800 Euro netto. Nicht viel, gerade in Zeiten steigender Preise:

"Lebenshaltungskosten natürlich! Gerade beim Einkauf merkt man es ja sehr gewaltig. Und wenn man doch mal sagt, man will mal zum Essen gehen, jetzt mit den 19 Prozent Mehrwertsteuer, die haben sauber drauf geschlagen! Da wird man sich das mit Sicherheit mal überlegen, ob man das noch macht." Max Weiland, selbstständiger Taxifahrer

Sein Budget ist knapp bemessen. Und doch ist Max Weiland einer, der sich zur Mittelschicht zählt.

Die Mittelschicht schrumpft

Mittelschicht, das sind vereinfacht gesagt die, die netto mehr Abgaben bezahlen, als sie an Sozialleistungen bekommen. Das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung zählt in seinen Untersuchungen für das Jahr 2019 Alleinstehende mit einem zur Verfügung stehenden Einkommen von 17.475 Euro bis 46.600 Euro netto dazu. Bei einem Paar mit zwei Kindern wären es zwischen 36.698 Euro und 97.860 Euro netto.

Der Anteil der Mittelschichtshaushalte in Deutschland geht seit Jahren leicht, aber stetig, zurück, die gesellschaftliche Schere geht auseinander. 29 Prozent liegen als Haushalte mit niedrigem Einkommen darunter, acht Prozent mit hohem Einkommen darüber. Zwar schätzen sich 80 Prozent der Haushalte selbst als Mittelschicht ein, nach den Kriterien des ifo-Instituts gehören aber nur 63 Prozent der Haushalte auch wirklich dazu.

Im Video: Possoch klärt! Zukunftsangst - Ist die Mittelschicht am Ende?

"Sind Sie Mittelschicht?" – "Ja, natürlich!"

Wir sind zu Gast bei Sabrina Saller, in Saldenburg, Landkreis Freyung-Grafenau. Hier lebt die alleinerziehende Mutter mit ihren Kindern Julian und Manuel. Natürlich gehöre sie zur Mittelschicht, sagt sie uns. Sie lebt in einem Haus mit Garten, das sie vor einigen Jahren zusammen mit ihrem damaligen Ehemann saniert hatte. Doch, um das alles zu erhalten, muss Sabrina Saller, die Teilzeit als Angestellte in einem örtlichen Betrieb arbeitet, genau rechnen.

"Also ich kann mir nichts zur Seite sparen, gar nichts. Es darf nichts passieren. Es darf keine Waschmaschine kaputt gehen und kein Trockner." Sabrina Saller, Alleinerziehende Mutter

Mit Lohn, Kindergeld und dem Unterhalt durch ihren Ex-Mann bleiben ihr netto ca. 2.500 Euro im Monat. Weg kommen rund 1.500 Euro Fixkosten unter anderen für den Hauskredit, die Heizung, Gebühren und Versicherungen. Der Rest, keine 1.000 Euro, genügt gerade so für Lebensmittel, Kleidung und Benzin. "Ich brauche nur für Benzin im Monat um die 200 Euro. Wir sind am Land, ich muss alles fahren, egal wohin", rechnet Saller vor.

Ungeplante Ausgaben – ein großes Problem

Oft mussten die Eltern helfen - als zu Beginn des Ukraine-Krieges die Holzpellets zu teuer wurden oder als vor einiger Zeit ihr Auto, ein gebrauchter VW Golf, eine größere Reparatur benötigte. Nun droht ihre Waschmaschine kaputtzugehen, das wäre wieder eine Ausgabe, auf die sie nicht vorbereitet ist. Die Frage liegt nahe: Sind Bürgergeldempfänger in manchen Situationen vielleicht sogar bessergestellt, als sie es ist?

Wer arbeitet, dem geht es besser?

Das ifo-Institut ist zu einem klaren Ergebnis gekommen. Wer arbeitet, hat immer mehr Geld zur Verfügung als jemand, der nicht arbeitet. Das wird auch von der Bundesregierung immer wieder betont. Doch Clemens Fuest, der Präsident des ifo-Instituts, möchte hier noch etwas ergänzen:

"Viele haben gesagt: Guck mal, man verdient ja doch mehr, wenn man arbeitet. Was man nicht so gerne gehört hat, war, dass man eben so wenig häufig mehr verdient, dass Mehrarbeit sich in vielen Fällen nicht lohnt. Es lohnt sich in dem Sinne, dass man dann mehr Euro hat. Aber wenn man einen zusätzlichen Stundenlohn hat, der vielleicht ein, zwei Euro beträgt, gegenüber dem Nicht-Arbeiten, dann werden viele sagen: Warum soll ich dafür früh aufstehen? Warum soll ich dafür Pendelkosten in Kauf nehmen? Ich muss meine Kinder unterbringen." Clemens Fuest, Präsident ifo-Institut

Auf die Frage, ob sie jemals daran gedacht hätte, lieber nicht zu arbeiten, ist Sabrina Saller etwas verdutzt. Sie habe sich noch nie darüber Gedanken gemacht, geschweige denn ausgerechnet, was ihr dann zustünde. "Mir wurde gelernt: Geh arbeiten, verdiene Geld, dann kannst du leben. Nicht auf die Kosten des Staates. Ich bin ja auch Vorbild für meine Kinder, allein schon deswegen mag ich das nicht, die sollen das doch lernen", so Saller.

Wer mehr leistet, dem wird auch mehr genommen?

Zurück bei Taxifahrer Max Weiland. Bei den 1.700 Euro, die ihm im Monat bleiben, sei es schwer, sich ausreichend für das Alter abzusichern, sagt er. Über den Ruhestand mache er sich noch kaum Gedanken. Er wisse nicht, wie viele Jahre er noch arbeiten müsse. Als selbstständiger Taxifahrer sei das eben so. Natürlich könnte er auch noch mehr als 50 Stunden pro Woche arbeiten, um sich mehr zur Seite zu legen. Doch sobald er mehr verdient, einen Steuerfreibetrag von 24.500 Euro überschreitet, muss er sich ärgern: "Ich bin 5.000 Euro drüber, über dem Freibetrag - und von den 5.000 fallen dann 900 Gewerbesteuer an. Das steht in keiner Relation!"

Wer mehr leistet, dem wird eben schnell auch mehr genommen. Das gilt bei kleinen Selbstständigen, aber oft auch bei Angestellten, die ein paar Stunden mehr leisten möchten.

"Denn es ist auch dort so, dass Mehrarbeit sich nur sehr wenig lohnt. Und das ist ein Alarmsignal, für die Gesellschaft das falsche Signal. Denn wir brauchen derzeit das Signal, das Arbeiten sich lohnt. Die Wirtschaft leidet ja unter Fachkräfteknappheit." Clemens Fuest, Präsident ifo-Institut

Max Weiland steuert sein Taxi weiter durch die Innenstadt, durch die Münchner Maximilianstraße mit ihren Luxusgeschäften. Hier hofft er auf Kunden und Umsatz, aber privat ist er weit davon entfernt, sich diese Welt leisten zu können. Er weiß, dass er trotz viel Arbeit auch künftig von Monat zu Monat kämpfen muss, wie so viele in der Mittelschicht.

Im Video: Steuern und Abgaben - Auf dem Rücken der Mittelschicht?

Eine Frau und ein Mann mit jeweils einem Kind in einem Einkaufswagen als Miniaturfiguren - als Untergrund ist ein Kurvendiagramm auf Millimeterpapier zu sehen.
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Steuern und Abgaben: Auf dem Rücken der Mittelschicht?

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