Eine Israel-Flagge hängt vor dem Augsburger Rathaus
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Die israelitische Kultusgemeinde in Augsburg hat aus Sicherheitsgründen die Gottesdienste abgesagt, das Museum ist vorerst geschlossen.

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Der Hamas-Angriff auf Israel und die Auswirkungen auf Augsburg

Schock, Angst und Wut: Nach den Angriffen der Hamas auf Israel zeigt sich die israelitische Kultusgemeinde in Augsburg geschlossen - und reagiert doch empfindlich auf vermeintlich gut gemeinte Solidaritätsbekundungen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Innenansicht der Synagoge Augsburg.
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Carmen Reichert, die Leiterin des Jüdischen Museums, hofft, dass das Museum so bald wie möglich wieder geöffnet werden kann.

Ein weißer Zettel hängt außen am Eingang zur Synagoge in der Augsburger Halderstraße: "Museum bis auf weiteres geschlossen" steht darauf. Auch die Gemeinde selbst ist nur mit wenigen Mitarbeitern besetzt, im Innenhof der Synagoge sind alle Stühle und Bänke weggeräumt, aus Sicherheitsgründen. Die Gottesdienste wurden noch am Wochenende abgesagt: "Wir alle stehen noch unter Schock", sagt Hermann Bredl, Sprecher der Israelitischen Kultusgemeinde.

Viele der Gemeindemitglieder hätten Freunde und Verwandte in Israel: "Wir kriegen wahnsinnig viel Anrufe. Man schreibt hin und her, viele haben Angst". Bredl ist selbst persönlich betroffen. Ein alter Schulfreund von ihm sei verschollen seit den Angriffen der Hamas. Er wisse nicht, was mit ihm passiert sei, ob der Freund überhaupt noch lebe, sagt Bredl.

"Zeitenwende": Kommt der Hamas-Terror auch nach Europa?

Die Sicherheitsmaßnahmen rund ums Gebäude der altehrwürdigen Augsburger Synagoge seien nochmals überprüft worden, so Bredl. Der Mann, der auch als Antisemitismusbeauftragter für die Gemeinde spricht, lobt den guten Kontakt der Gemeinde zum Polizeipräsidium Schwaben-Nord. Noch am Sonntag habe man miteinander die neue Lage besprochen. Man dürfe sich aber nicht in Sicherheit wiegen, meint er, der Terror der Hamas könne auch jederzeit nach Europa getragen werden. "Das ist eine Zeitenwende. Absolut eine Zeitenwende", meint Bredl.

Er habe von einem Politiker aus Israel gehört, es sei "hundert Mal mehr als der Jom-Kippur-Krieg 1973." Er selbst, Jahrgang 1952, meint Bredl, könne sich noch an den Ausbruch dieses Konflikts erinnern, "und dass Israel da ja wirklich an den Rand der Existenz kam". Damals freilich sei es ein Kampf gegen das Militär gewesen: "Jetzt ist es ein Kampf gegen Terroristen, die wahllos Zivilisten, alte Frauen, Kinder, Babys verschleppen, auch hinschlachten", sagt Bredl.

Alle Veranstaltungen der israelitischen Kultusgemeinde abgesagt

In den Räumen der Gemeinde ist es still. Der wöchentliche Schachklub, der Jugendtreff und weitere Angebote sind vorerst auf Eis gelegt. Die Verunsicherung und Angst vieler Gemeindemitglieder sei spürbar, sagt Bredl. In der Augsburger Kultusgemeinde stammen viele Gläubige aus der ehemaligen Sowjetunion. Nach deren Zusammenbruch sind viele Juden nach Deutschland gekommen, andere direkt nach Israel ausgewandert, daher gebe es einige familiäre Verbindungen.

Jüdische Tora-Schüler in Augsburg gestrandet

Regelrecht in Augsburg gestrandet sind aktuell mehrere junge Jeschiwa-Schüler, also Tora-Schüler, die auf Einladung des neuen Rabbiners nach Augsburg zum Laubhüttenfest gekommen waren. Sie sitzen fest, weil derzeit keine Flüge zurück nach Israel zu bekommen seien, erläutert Bredl.

Die Angst der Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde

Viele Gemeindemitglieder hätten jetzt Angst vor einer weiteren Eskalation des Konflikts, sagt Hermann Bredl. Er denke dabei auch an die Bewohner von Gaza. "Ich bin selber als junger Mann durch Gaza gefahren mit dem Bus. Unser Bus wurde damals von Jugendlichen mit Steinen beworfen, und ich habe den Hass gesehen. Damals wusste ich, wie die einfach aufwachsen, wie sie geprägt sind". Die Bevölkerung sei massiv schon über Jahrzehnte sehr stark fanatisiert worden. Das sei durch die Hamas noch wesentlich verstärkt worden.

Solidarität - oder Provokation? Alter Ärger flammt wieder auf

Auf dem Augsburger Rathausplatz weht seit dem Wochenende eine weitere blauweiße Flagge. Nicht die bayerische, sondern die israelische - mit dem Davidstern darauf. Ein Zeichen der Solidarität, so Oberbürgermeisterin Eva Weber, in einem Post auf Facebook. Der brutale Terrorangriff sei erschütternd und durch nichts zu rechtfertigen, so Weber: "Die Hamas haben nicht nur Israel angegriffen, sondern unser aller Werte". Trotz dieser Solidaritätsbekundung droht Zwist.

Einer Soli-Veranstaltung der Stadt werde man die Teilnahme verweigern, mahnt die Kultusgemeinde, solange nicht der seit dem Friedensfest strittige Vortrag des Journalisten Jakob Reimann endgültig abgesagt werde. Wenn die Stadt dem Israel-Kritiker erlaube, im Zeughaus, einer Räumlichkeit der Stadt, den Vortrag zu halten, sei das für die jüdische Gemeinde ein Affront, angesichts der aktuellen Lage in Nahost, erklärt Bredl im Gespräch mit dem BR. Reimanns Auftritt unter dem Titel "Rechtsruck in Israel – Gibt es noch Chancen für den Friedensprozess?" war ursprünglich bereits im Juli im Rahmenprogramm des Friedensfests geplant gewesen, war dann aber abgesetzt worden. Jetzt will die Augsburger Friedensinitiative, die dazu eingeladen hatte, den Vortrag nachholen.

Auch Kulturprogramm im Jüdischen Museum auf Eis gelegt

Carmen Reichert, die Leiterin des Jüdischen Museums, hofft, dass die Einrichtung so bald wie möglich wieder geöffnet werden kann: "Wir haben ja das unglaubliche Glück, dass wir im Haus einer lebendigen Gemeinde sind und wir wollen ein lebendiges Judentum vermitteln in all seiner Lebenszugewandtheit, die diese Religion an sich hat. Aber das können wir nur, solange wir selbst und die Gemeinde an Leib und Leben gesichert sind". Im Moment sei zudem unklar, ob die seit langem geplante Jüdische Kulturwoche stattfinden könne, so Reichert. Unter dem Motto "Bagel, Bier und Berches", so der Titel, sollten Anfang November jüdische Einrichtungen von Nördlingen bis Augsburg bespielt werden.

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