Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, steht vor Beginn des Untersuchungsausschuss Stammstrecke im Konferenzsaal vom bayerischen Landtag. Nach seinem ehemaligen Infrastrukturvorstand muss jetzt auch Deutsche Bahn-Chef Richard Lutz als Zeuge im Untersuchungsausschuss zur zweiten Münchner S-Bahn-Stammstrecke aussagen.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Matthias Balk

Untersuchungsausschuss zu zweiten Stammstrecke - Bahn-Vorstandschef Richard Lutz sagt aus.

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2. Stammstrecke München – Bahnchef jahrelang ahnungslos

Kostenexplosion und starke Zeitverzögerung – von diesem Desaster wusste auch der Bahnchef jahrelang nichts, sagt er im U-Ausschuss Stammstrecke aus. Glaubwürdig, wie die Mitglieder des Ausschusses finden.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

"Von 2020 bis 2022, das ist 'ne lange Zeit, dass wir nichts wussten", beschwert sich Natascha Kohnen, SPD, im U-Ausschuss Stammstrecke über das jahrelange Schweigen über die Kostenexplosion beim Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München. Denn weder die Öffentlichkeit noch der Landtag wurden frühzeitig darüber informiert. "Sorgfalt vor Geschwindigkeit, da bitte ich um Verständnis", verteidigt sich Bahn-Vorstandschef Richard Lutz, der am Freitag als Zeuge in den Ausschuss geladen ist, weil die Bahn die Stammstrecke baut. Öffentlich Arbeitsstände zu kommunizieren, wäre nicht hilfreich gewesen. Verständnis? "Da bin ich ganz ehrlich: Hab ich wenig", so die spitze Antwort der SPDlerin.

Bahnchef genauso planlos wie die Öffentlichkeit

Das Erstaunliche: Neben Landtag und der Öffentlichkeit wurde auch der Vorstand der Bahn nicht darüber informiert, was für ein Desaster droht. Das bedeutet: Auch der Bahnchef selbst war jahrelang ahnungslos. Erst im Sommer 2022 habe er von Kostensteigerungen erfahren – Anfang September 2022, beim Bahn-Vorstandstreffen, erfuhr er dann die genauen Zahlen. Zwar gab es laut Lutz zwischen 2019 und 2022 regelmäßige Quartalsberichte. Darin standen aber, seines Wissens nach, keine neuen Informationen über die Kosten und auch keine neuen Termine. Ansonsten habe sich der Konzernvorstand nicht mit der zweiten Stammstrecke befasst, sagt Lutz aus. Und das, obwohl Lutz die Strecke unter die "Big Five" einordnet – sie also ein Projekt ist, das besonders viel Geld umfasst.

Bahnchef: Kein Anlass "bösgläubig oder misstrauisch" nachzuhaken

Ist das normal, dass der Vorstand des Bahnkonzerns keine Informationen bekommt und das über drei Jahre hinweg – will Bernhard Pohl, Vorsitzender des U-Ausschusses, wissen. Man habe nicht nach Zwischenergebnissen gefragt, weil es keinen Anlass gebe "bösgläubig oder misstrauisch Projekte zu hinterfragen", antwortet Lutz. Die Projektleitung sei ausgestattet mit Experten, da müsse man nicht überall immer ein Fragezeichen hintendran setzen. Etwas später im U-Ausschuss räumt er aber ein, dass er aus diesem Projekt etwas gelernt hat: "Lieber einmal mehr nachfragen als einmal weniger, ob es da Risiken gibt."

U-Ausschuss-Vorsitzender Pohl ist fassungslos

"Also ich bin echt fassungslos, dass man von oben nach unten, von unten nach oben überhaupt nicht kommuniziert. Dass Kommunikationswege so schlecht funktionieren, da muss einem echt Angst und Bange werden", sagt Bernhard Pohl, Freie Wähler, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses Stammstrecke. "So wie Lutz heute aufgetreten ist, hatte er eine hohe Glaubwürdigkeit, umso schlimmer für die Bahn", findet Pohl.

Forderung: "Grundsätzliche Reform der deutschen Bahn"

Albert Duin, FDP, Mitglied im U-Ausschuss Stammstrecke ist ebenfalls empört. Für ihn ist es sogar "völlig unverständlich", wie der Bahnkonzern überhaupt funktionieren kann: "Ich mache in meinem Unternehmen viele Produkte jede Woche, und davon sind immer ein paar heikel. Glauben Sie mir, da kenn ich jede Zahl, weiß immer den Produktionsstand. Und garantiert wird der Kunde informiert, wenn irgendwas schief geht, bevor ich weitermache. Und nicht: Ich mache einfach weiter und egal, was es kostet, irgendjemand wird es schon zahlen. So geht es einfach nicht!" Jürgen Baumgärtner, CSU, stellvertretender Vorsitzender des U-Ausschusses, schließt sich dieser Fundamentalkritik an: "Die Strukturen innerhalb des Bahnkonzerns sind für solche Großprojekte nicht optimal, wir werden über eine grundsätzliche Reform der deutschen Bahn diskutieren müssen."

Wie kam es zum Stammstrecken-Desaster?

Der Landtag hat den Stammstrecken-Untersuchungsausschuss eingesetzt, nachdem im Jahr 2022 Kostenexplosion und Verzögerungen publik wurden. Der Ausschuss soll aufklären, wie es zu dem Desaster kommen konnte und ob die Öffentlichkeit – womöglich aus wahltaktischen Gründen – absichtlich zu spät informiert wurde. Ursprünglich sollte die Stammstrecke 3,8 Milliarden Euro kosten, jetzt belaufen sich die Kosten auf über sieben Milliarden. Und dabei dürfte es nicht bleiben. Baumgärtner von der CSU befürchtet, dass die Stammstrecke am Ende 14 Milliarden Euro kosten wird. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Martin Runge, der sich seit vielen Jahre mit dem Projekt beschäftigt, rechnet mit noch höheren Kosten, da viele notwendige Ausbaumaßnahmen noch gar nicht hineingerechnet wurden.

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