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Bachmannpreis-Gewinnerin Sharon Dodua Otoo Sprechende Eier in der deutschen Literatur

Sharon Dodua Otoo ist in London aufgewachsen und stammt ursprünglich aus Ghana. In ihren Texten lässt die Wahlberlinerin subtil durchblicken, dass sie auch Aktivistin ist. Jetzt hat die Autorin mit ihrer Erzählung "Herr Göttrup setzt sich hin" den begehrten Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Das war eine Überraschung.

Stand: 08.07.2016

Die Bachmannpreis-Trägerin Sharon Dodua Otoo | Bild: picture-alliance/dpa

Sharon Dodua Otoos Text "Herr Göttrup setzt sich hin", der in Klagenfurt mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, mutet zunächst bekannt und vertraut an, beinahe konventionell: Ein klassisches Abbild eines deutschen Rentner-Ehepaares - er mit pedantisch spießigen Manieren, sie duldend und still. Helmut Göttrupp, der Hauptprotagonist, ist allerdings nicht nur ein Prototyp des deutschen Spießers, er ist eine historische Figur der Nazi-Zeit, ein Ingenieur und Raketenkonstrukteur, der nach dem Zweiten Weltkrieg für die Russen arbeitete, und den die in Berlin lebende Autorin näher kennenlernen wollte.

"Ich finde es bezeichnend, dass es in Deutschland sehr schwierig ist, über die NS-Zeit zu reden - besonders wenn es darum geht: Was haben unsere Eltern und Großeltern gemacht? Dabei geht es mir nicht darum, sie als böse Menschen zu zeichnen, sondern die kleinen, alltäglichen Schritte zu verstehen, die dazu geführt haben. Die Schritte, die ich heute beobachte, hätten genauso gut damals in den 1930ern passieren können - und das interessiert mich. Also: Wie ist Herr Göttrup so geworden, wie er geworden ist."

Sharon Dodua Otoo, Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin 2016

Humorvolle, tiefgründige Erzählung vom Frühstücks-Ei

Autorin und Aktivistin

Sharon Dodua Otoo, die in London aufwuchs und seit 2006 mit ihren vier Söhnen in Berlin lebt, engagiert sich in mehreren Initiativen und Organisationen gegen Diskriminierung - insbesondere von Frauen und Schwarzen - und fördert Flüchtlingskinder. Als Verlegerin gibt sie die Buchreihe "Witnessed" heraus, Texte englischsprachiger, schwarzer Autoren. Auch sie selbst schreibt vorwiegend und bevorzugt in englischer Sprache.

Leichtigkeit, Lockerheit und feiner Humor sind zwischen den Zeilen von "Herr Göttrup setzt sich hin" zu spüren. "Gefängnis namens Sprache", heißt es an einer Stelle in Sharon Dodua Otoos Text. Ein Seufzer, den nicht etwa Herr Göttrupp oder seine Gattin von sich geben, sondern das Frühstücks-Ei. Besser: Der zu weich geratene Ei-Dotter, worüber der Hausherr gelinde gesagt in Verwunderung gerät. Hat er doch die siebeneinhalb Minuten Kochzeit bis auf die Sekunde eingehalten. Aber das Frühstücks-Ei weigert sich diesmal, hart gekocht zu werden - aus gutem Grund, erfährt der Leser. Und spätestens hier kommt Dodua Otoos schelmischer Humor ins Spiel, ihre Vielschichtigkeit, eine spirituelle, metaphysisch-philosophische Komponente, die sicher auch dem Einfluss ihrer unterschiedlichen Welten und Sprachwelten zuzurechnen ist. Die Energie und das Preisgeld der Ingeborg-Bachmann-Auszeichnung will Sharon Dodua Otoo nutzen, um an ihrem Text weiterzuarbeiten, ihn zu einem runden Roman weiterzuentwickeln.

"Deutsch empfinde ich als eine sehr eindeutige Sprache, wo, wenn ich versuche, mit ihr zu spielen, ich oft die Rückmeldung bekomme: So kann man das eigentlich nicht machen. Dann kann ich es schwer einschätzen, ob es wirklich schräg ist - oder ob es einfach Avantgarde ist, was ich gemacht habe, und wir könnten es sehr wohl so machen, wenn wir nur ein bisschen lockerer mit der Sprache umgehen würden."

Sharon Dodua Otoo, Autorin und Wahlberlinerin


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