Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Tinariwen, Fatoni und Salami Rose Joe Louis

Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Neue Platten gibt's von u. a. Mavi Phoenix, Tinariwen, Hannah Jadagu, Salami Rose Joe Louis, Fatoni, bar Italia, G.Rag/Zelig Implosion Deluxxe und Alex Lahey

Von: Matthias Hacker

Stand: 19.05.2023

Fatoni feat. Tristan Brusch | Bild: Barton Kirchmann

Tinariwen - Amatssou

Im Frühjahr bin ich in Marokko mit Nomaden durch die Sahara gewandert und habe mich mit Turban auf dem Kopf durch den Wüstenwind gekämpft. In der unglaublichen Stille der Wüstennacht und der atemberaubenden Kulisse der Sanddünen zieht der Guide beim Lagerfeuer sein Smartphone aus der Tasche und spielt Musik. Sie war von Tinariwen. Die wohl berühmteste und erfolgreichste Tuareg Bluesband der Welt. Die Wüstenrocker aus Mali haben diese kontemplativen Gesänge zusammen mit dem hypnotischen E-Gitarrenspiel berühmt gemacht. Auf Amatssou verbinden sie ihren psychedelischen Wüstenblues zum ersten Mal mit US-amerikanischem Country. Ursprünglich sollte diese Platte in Nashville, in Jack White's Studio, aufgenommen werden. Jack White ist seit vielen Jahren Tinariwen-Fan. Aber wegen Covid kam es leider nie dazu. Sie mussten aus der Ferne zusammenarbeiten. Das hat wunderbar geklappt und jetzt hören wir neben tranceartigen Wüstenblues auch Pedal Steel, Geige und Banjo. Auch wenn Tinariwen jetzt „Howdi“ sagen, tragen sie noch lange keine Cowboyhüte. Ihre Musik bleibt eine klare Auseinandersetzung mit der Geschichte, Kultur und Politik ihrer Heimat. In Tenere Den geht es um ihr vom Terror gebeuteltes Heimatland Mali. Aber Amatssou bedeutet „Jenseits der Angst“ und Tinariwen stellen der Gewalt kraftvolle und grenzenlose Musik entgegen. Sie bringen fremde Welten zusammen. Diesmal die Sahara und den Mittleren Westen. (8,2 von 10 Punkten)

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Tinariwen - Kek Alghalm (Official Video) | Bild: Tinariwen (via YouTube)

Tinariwen - Kek Alghalm (Official Video)

Fatoni - Wunderbare Welt

Der Rapper Fatoni aus München mit dem Titeltrack seines neuen Albums „Wunderbare Welt“. Ein Roadmovie durchs Midlife des Ende 30-Jährigen. Mit viel Crisis, aber auch gern mal so ausgesprochen fröhlich wie damals das kleine Entlein Alfred Jodokus Quak, das Fatoni auch auf dem Album samplet.
Aber inhaltlich ist es ein harte Gegenübersetllung, wenn Fatoni neben die Fröhlichkeit Themen wie Terror in Hanau oder am Breidtscheidtplatz setzt, Polizeigewalt und Rechtspopulismus. Da kommen Fragen auf: Wie ertragen wir es nur in dieser scheinbar „wunderbaren Welt“? Warum bleibt uns das Lachen nicht im Halse stecken? Manchmal wollen wir darauf gar keine Antwort. Fatoni nagelt den Zeitgeist wieder klug und unterhaltsam den an die Wand. Er ringt mit der Welt und mit sich. Da ist er auch mal der König der Zweifler, wie ein Track heißt. Er erinnert sich an sein peinliches jüngeres Ich, an seine Jugend in den Mid-90ies. „Wunderbare Welt“ ist nicht mehr so knallig produziert, seine Texte weniger geprägt von hipper Jugendsprache, wir folgen eher seinem stream of consciousness. Fatoni hat viele bekannte Gäste geladen: Max Herre und Mola.  Mit Danger Dan besingt er das Glück einer zerbrochenen Beziehung. Mit Tristan Brusch fragt er: Worauf warten? Fangt an zu leben! Mit Deichkind und Roger Reckless gibt es einen typischen Deichkind-Dada-Banger namens Dumm. Neben klassischen Rap-Songs holt Fatoni auf „Wunderbare Welt“ auch mal die Akustikgitarre raus, spielt und singt Balladen. Er ist immer noch klug, politisch und witzig, zeigt sich diesmal aber noch persönlicher und nachdenklicher. Eins ist klar: Diese verrückte Welt ist ein Stück wunderbarer durch Fatoni. (8 von 10 Punkten)

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Fatoni feat. Tristan Brusch - Du wartest (prod. Dienst&Schulter) | Bild: Fatoni (via YouTube)

Fatoni feat. Tristan Brusch - Du wartest (prod. Dienst&Schulter)

bar italia – Tracey Denim

Wer im Netz nach Bar Italia sucht, findet erstmal Restaurants und Bars in Dublin, München und London. In London sind wir zwar richtig, aber bar italia sind eine Band. Das Versteckspiel im Netz ist ihnen wohl ganz recht, da das Trio auch sonst sehr zurückhaltend mit Informationen ist. Sie lassen lieber ihren atmosphärischen, verwaschenen Lofi-Rock sprechen. Tracey Denim ist ein Album zwischen Postpunk, Kunstakademie und viel Nebelschwaden. Fans von Dean Blunt oder Joy Division sind hier richtig. (8,5 von 10 Punkten)

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bar italia - punkt | Bild: David Dean Burkhart (via YouTube)

bar italia - punkt

G.Rag/Zelig Implosion Deluxxe – Komm Schwimmen

Es vergeht gerade kein halbes Jahr ohne eine neue Platte von G.Rag. G.Rag alias Andy Staebler aus München. Er ist Gitarrist, Sänger, Labelbetreiber, Schallplattenverkäufer und seit vielen Jahren mit unterschiedlichsten Kombos unterwegs: Mit den Landlergeschwistern, den Hermano Patchekos oder auch mit Zelig Implosion. Zusammen mit Zelig Implosion ist das Credo: Einfach drauf los. Machen. Spontane Musik. Kein Business Plan, keine Marktanalyse. Ganz nach den Slogans der Situationisten: Arbeit? Niemals!, Verbieten ist verboten. Alles ist erlaubt. NoWave nennen sie diese eklektische Mischung aus Punk, Noise und Krautrock. Mit psychedelischen Gitarrenriffs und pulsierende Rhythmen am Synthesizer covern sie Strawberry Fields von den Beatles, gehen auf Mutantenjagd, besingen den grünen Küchenboden oder starten den Massiven Angriff. (7,5 von 10 Punkten) 

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g.rag/zelig implosion deluxxe /// strawberry fields | Bild: g rag zelig implosion deluxxe (via YouTube)

g.rag/zelig implosion deluxxe /// strawberry fields

Mavi Phoenix – Biggest Asshole In The Room

Der Österreicher Mavi Phoenix hat für sein neues Album einen prägnanten Titel gewählt: Biggest Asshole in the room. Mavi Phoenix sagt dazu: „Es beschäftigt sich mit den Themen Narzissmus, Selbstreflexion und dem Eingeständnis, dass man oft selbst der toxische Part in einer Beziehung ist. Auf der anderen Seite gibt es auch den positiven Egoismus, den man als Künstler*In auch zu gewissem Grad braucht“. Musikalisch geht wieder back to the roots. Er produziert selbst. Es ist wieder deutlich mehr Hiphop und bis auf die Gitarre sind nahezu keine analogen Instrumente zu hören. (6 von 10 Punkten)

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Mavi Phoenix - bird's eye (official video) | Bild: Mavi Phoenix (via YouTube)

Mavi Phoenix - bird's eye (official video)

Hannah Jadagu - Aperture

Hannah Jadagu kommt aus Texas, lebt aber in New York. Ihre Debüt-EP hat sie während der Pandemie ohne Tonstudio und HiTec-Equipment aufgenommen, sondern einzig und allein mit einer App auf ihrem Smartphone. Damit hat sie schon bewiesen, dass ihre Songs auch ohne technischen Schnickschnack toll sind. Jetzt erscheint das Debütalbum. Aperture ist nicht mehr so minimalistisch, sondern Jadagu freut sich jetzt an technischen Spielereien und pompöserem Producing. Sie tobt sie sich mit Effekten, Gitarrenverzerrern und Synthies aus.
Die Texte sind sehr persönlich. Sie singt über ihre ersten College-Jahre, den Umzug vom ländlichen Texas in die Megacity New York, über ihr Hadern mit dem Christentum und ihre Familie. Dabei kommt zum nachdenklichen Bedroom Pop immer mehr College Rock Gitarren und R’n’B dazu. Das ist der Sound der Stunde. Im Plattenregal am besten zwischen boygenius und Beabadoobee einsortieren. (8 von 10 Punkten)

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Hannah Jadagu - Lose (Official Lyric Video) | Bild: Hannah Jadagu (via YouTube)

Hannah Jadagu - Lose (Official Lyric Video)

Salami Rose Joe Louis - Akousmatikous

Lindsay Olsen nennt sich Salami Rose Joe Louis. In ihrer Musik verarbeitet sie jeher unterschiedlichste Disziplinen. Astronomie, Science-Fiction, Religionswissenschaften, Geschichte und Philosophie. Ihr neues Album heißt. Akousmatikous – auf Deutsch: akusmatisch. Das bedeutet so viel wie „Klang, dessen Quelle nicht identifizierbar ist“. Die Akousmatikoi waren eine Sekte der pythagoreischen Mystiker aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., die als „Hörer“ bezeichnet wurden. Die Akousmatikoi konzentrierten sich auf Rituale, Harmonie und ethisches Verhalten. Olsen meint über diese Sekte: Sie sei „begeistert von dem Konzept, einem Klang zu lauschen, ohne die Quelle zu kennen.”  Auch auf den Vorgängeralben ging es schon um futuristische und transhumanistische Themen. Die Kalifornierin schaut durch die Augen einer Erdenbewohnerin auf die zerstörerische Gewalt der Menschheit, die den ganzen Planeten auslöscht. Wer braucht da noch böswillige Aliens, wenn die Menschheit die Zerstörung des Planeten selbst erledigt? In den Texten flüchtet sich Salami Rose Joe Louis in die ferne Zukunft, in Parallelwelten und auf entfernten Planeten. Dieser futuristische und transhumanistische Überbau erinnert mich thematisch sehr stark an die Gedanken und die aktuelle Platte des Münchner Songwriters Angela Aux. In „Sugar Coating“ entschuldigt sich Salami Rose Joe Louis bei unseren Nachfahren für den unbewohnbaren Planeten, den wir Ihnen hinterlassen. Mit ihren Science-Fiction Themen und ihrem flirrenden, oszillierenden Experimental-Pop passt Salami Rose Joe Louis wunderbar zum Brainfeeder Label von Superstar Flying Lotus. (8,5 von 10 Punkten)

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Salami Rose Joe Louis - 'Sugar Coating' (Official Video) | Bild: Brainfeeder (via YouTube)

Salami Rose Joe Louis - 'Sugar Coating' (Official Video)

Alex Lahey – The Answer Is Always Yes

Die australische Indierockerin Alex Lahey beschäftigt sich auf dem dritten Album mit ihrem queeren "Anderssein". Es isoliere sie zwar, mache sie aber auch stärker und die Welt komischer. Diese positive Einstellung klingt auch auf der Platte durch. Catchy Indierock trifft auf Powerpop.  (7 von 10 Punkten)

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Alex Lahey - They Wouldn't Let Me In (Official Video) | Bild: Alex Lahey (via YouTube)

Alex Lahey - They Wouldn't Let Me In (Official Video)