Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von King Krule, Janelle Monae und This Is The Kit

Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Neue Platten gibt's u. a. von King Krule, Christine & The Queens, This Is The Kit, Janelle Monáe, Jayda G, Speech Debelle, Bantu, Squid, Gacha Bakradze, Teke::Teke, Jenny Lewis, Olof Dreijer (The Knife) und Jess Williamson.

Von: Ralf Summer

Stand: 07.06.2023

This Is The Kit
Careful Of Your Keepers
| Bild: Rough Trade

KING KRULE – Space Heavy

Musik, die laufen sollte, wenn der olle Wirt in der schummrigen Bar ruft: letzte Runde! King Krule überführt das einst so edle Crooner-Sängertum von Sinatra & Co in eine moderne, leicht angekratzte Variante. Seine brüchige Stimme prägt seine leicht dissonanten Torch-Songs: Lieder, die im Dunklen schimmern, einen Weg weisen, auch wenn es nicht der direkteste ist. Nach hinten hin wird die Platte ruhiger – das saxophonige „When Vanishing“ lebt von der sparsamen Instrumentierung, der nächtlichen Stimmung – Lieder wie ein letzter Vorhang, der aufgeht. Eine Mischung, die ihn älter erscheinen lässt als er ist: nächstes Jahr wird er 30. Auf „Space Heavy“ verhandelt Andy Marshall – so heisst er bürgerlich - persönliche Verluste („i was so disappointed by you“ in „If Only It Was Warmth“) und singt von Orten, „die von Träumen voller Liebe verfolgt werden“. Man darf gespannt sein, wie hoch der Sänger/Gitarrist in die deutschen Album-Charts steigen wird – beim letzten Mal landete King Krule in den Top50. Im Oktober spielt er in Köln und Berlin. (8,0 von 10 Punkten)

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King Krule - Stoned Again (Live) | Bild: King Krule (via YouTube)

King Krule - Stoned Again (Live)

JANELLE MONÁE – The Age of Pleasure

Im Kino konnte man sie vor Kurzem vor dem Hauptfilm sehen: im Werbeclip eines ingolstädter Auto-Herstellers. Im Video zur neuen Sommer-Reggae-angehauchten Single „Lipstick Lover“ dürfen wir die achtfach Grammy-nominierte US-Musikerin bei anderen, bei durch und durch körperlichen Freuden beobachten: der nur für Erwachsene freigegebene Clip zeigt einen Fiebertraum der nichtbinären Afroamerikanerin: eine ausschweifende Pool-Party mit nackten Schönheiten. Das Album heisst „The Age of Pleasure“. Auf dem Cover taucht sie nahezu lächelnd und unbekleidet unter einer Gruppe Frauen und Männern hindurch. (keine Wertung, da nur zwei Songs vorab hörbar)

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Janelle Monáe - The Age of Pleasure [Official Trailer] | Bild: Janelle Monáe (via YouTube)

Janelle Monáe - The Age of Pleasure [Official Trailer]

THIS IS THE KIT – Careful of Your Keepers

Das Folk-Pop-Projekt der Britin Kate Stables. PJ Harvey-Producer John Parish nahm vor 15 Jahren ihr Debüt auf, das Folgende betreute Aaron Dessner von The National. Eigentlich ist der große Durchbruch der mittlerweile in Paris lebenden, sympathischen Sängerin/Gitarristin überfällig. Ob er ihr mit dem sechsten Album gelingt und ähnliche Hits wie „Bashed Out“ und „Moonshine Freeze“ hervorbringt, die bereits mehrere Millionen Streams aufweisen? „Careful of Your Keepers“ beschäftigt sich mit „der Zerbrechlichkeit von Dingen, Situationen, Beziehungen, Menschen“. Produziert hat diesmal Gruff Rhys von den Super Furry Animals aus Wales. Wir hören Folk-Pop in allen Variationen; Lieder darüber, wie die Zeit vergeht und was das mit uns macht – oder wie wir auf uns aufpassen. Höchste Achtsamkeitsstufe! Am 23.9. gastiert sie in der Milla/München – dazu spielt sie auch in HH, B und K. (7,5 von 10 Punkten)

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This Is The Kit - More Change (Official Video) | Bild: This Is The Kit (via YouTube)

This Is The Kit - More Change (Official Video)

TEKE :: TEKE – Hagata

Nach einem Album und drei Singles nun vielleicht der Durchbruch der kanadischen Band? Zumindest konnte sich mit „Gotoku Lemon“ zum ersten Mal ein Lied des Kollektivs aus Montréal in die Monats-Hitparade Top Träxx vom Zündfunk auf Bayern 2 (April) platzieren. Auf „Hagata“ glänzt die japanisch-kanadische Band um Sängerin Maya Kuroki und den Gitarristen Serge Nakauchi Pelletier und Hidetaka Yoneyama mit 60s/70s beeinflussten Psychedelic-Pop-Tracks. Teke :: Tekes Musik passt in eine Playlist zwischen Altin Gün und Khruangbin. Dank seiner japanischen Instrumentierung mit Flöte und Posaune ein sehr abwechslungsreiches Album. Es erscheint auf dem renommierten US-Indie-Label Kill Rock Stars, das Anfang der 90er Kathleen Hannas Debütsingle veröffentlichte (Bikini Kill, Le Tigre, verheiratet mit Ad Rock/Beastie Boys), danach unter anderen Sleater-Kinney, und Gossip. Wenn das kein Zeichen ist. (8,0 von 10 Punkten)

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TEKE::TEKE - Doppelganger (Official Video) | Bild: Kill Rock Stars (via YouTube)

TEKE::TEKE - Doppelganger (Official Video)

GACHA BAKRADZE – Pancakes

Das dritte Album des georgischen Elektronik-Musikers. Die meist elegant gehaltene Electronica-Platte heisst nicht umsonst „Pancakes“: Gacha sieht das Backen von Pfannkuchen als eine „heilende elterliche Tätigkeit“, die er gerne mit seinem Sohn ausübt - und als Metapher für Wandel und Metamorphose. Es komme beim Pfannkücheln eben auf menschliche Schlüsseleigenschaften wie Geduld, Liebe zum Detail und Bereitschaft zur Anpassung an – an sich verändernde Umstände – sagt er. Er dockt auch bei neuen und gerade gefeierten Stilen wie Hyperpop und Trance an, verleugnet aber sein altes Rezept nicht: seine Mixtur aus IDM und Elektro. Wie schreibt das Groove-Magazin: „Legt man eine Platte von ihm auf, fallen die Grenzen zwischen Keuschheit und Kitsch. Der Clubbetreiber, Producer und Familienvater aus Tiflis, Georgien, schmalzt seine Platten gerne mit Harmonien aus Heiterkeitsstudien auf.“ Mein persönliches Elektronik-Lieblingsalbum so far. (8,5 von 10 Punkten)

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SPEECH DEBELLE – Sunday Dinner On A Monday

Die vielseitige britische Rapperin: 2009 gewann sie als Neuling gleich den Mercury Award für das „beste Album des Jahres“. Nach der zweiter Platte wurde sie Kunst-Kuratorin, Köchin, Podcasterin – und arbeitete als „Relationship Manager“ im Musikteam des Arts Council England – sprich: sie betreute staatlich geförderte Musiktalente. Und kümmerte sich in Projekten um den afro-britischen Musiknachwuchs. Auf ihrem vierten Album verbindet die 40-jährige Londonerin wieder Rap und Soul mit Pop. Und das mit ihrem einzigartig-sanften, Poetry-artigen Rap-Flow. Ohne Speech Debelle wären vermutlich Erfolge schwarzer Frauen in Großbritannien wie Little Simz und Jorja Smith undenkbar. Die 15 Songs von „Sunday Dinner On A Monday“ liefern – um es mit einem Küchen-Spruch zu sagen - Feiertagskost für den Alltag. Feines Album, auch wenn auch der ganz große Hit fehlen dürfte, der Musikfans auf die Platte lenkt. (8,0 von 10 Punkten)

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Speech Debelle - Wayward (Official Video) | Bild: SpeechDebelleVEVO (via YouTube)

Speech Debelle - Wayward (Official Video)

JAYDA G – Guy

Ihr Debüt haben wir 2019 gefeiert: die kanadische DJ-Produzentin schlug mit ihrem Track „Leave Room 2 Breathe“ bei uns ein. Sie nahm das vorweg, was Beyoncé und Drake nachmachten: an glorreiche 90er-House-Hits von Crystal Waters oder Robin S erinnern. Jayda G, Schwester von Sol Guy, Rap-Produzent und Musik-Dok-Filmer, startete schnell durch: legte in Coachella und Glastonbury auf, remixte Taylor Swift und Dua Lipa. Und legte einen sauberen Mix für die DJ-Kicks-CD-Serie hin – zwischen House, Disco und Funk. Jayda, die Umwelt-Management studierte, setzt auf ihrer zweiten Platte mehr Stimmen ein als bisher. Sie singt selbst und wir hören auf „Guy“ auch Sprachaufnahmen ihres vor Jahren verstorbenen Vaters, William Guy, nach dem das Album benannt ist. Mehr noch: die Platte zeichnet das Leben ihres Dads, des afroamerikanischen Radio DJs nach. Inklusive einem Loblied auf Jaydas Grossmutter. Ungewöhnliche Idee für ein Dance-Album – mit einem Mix aus Disco/House/Pop/R´nB: it´s a Family Affair! (7,0 von 10 Punkten)

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Jayda G - 'Scars' (Official Video) | Bild: Jayda G (via YouTube)

Jayda G - 'Scars' (Official Video)

BANTU – What Is Your Breaking Point?

Es ist das mit Abstand bevölkerungsreichste Land Afrikas: über 200 Millionen Menschen leben in Nigeria. Dementsprechend viel Musik kommt auch aus dem westafrikanischen Staat: die Hauptstadt Lagos ist bekannt für die neuen Afrobeats von Burna Boy, Rema, Wizkid, Davido ... BANTU steht zum einen für den Sammelbegriff der Niger-Kongo-Sprachen („Bantu“), andererseits für das Akronym „Brotherhood Alliance Navigating Towards Unity“. BANTU wurde in den 90ern in Deutschland gegründet – von den Brüdern Ade Bantu und Abiodun. Seither machten die Beiden Musik mit Tony Allen, UB40 oder Patrice. Auch das Projekt „Brothers Keepers“ starteten die Brüder aus Köln: einen 80-köpfigen Zusammenschluss von Rap,- Reggae-Soulmusikern gegen Rassismus – als direkte Antwort auf den von Neonazis in Dessau im Jahr 2000 ermordeten Alberto Adriano. Das Lied über den getöteten Mosambikaner „Adriano (Letzte Warnung“) wurde ein Top-5-Hit und führte zur Gründung der Adriano-Stiftung. Inzwischen wurden das 13-köpfige BANTU-Kollektiv als „beste Gruppe Westafrikas“ ausgezeichnet. 27 Jahre nach der Gründung hat die ´Brothers Alliance´ eine ´Sister´ in ihre Mitte aufgenommen: die in Deutschland lebende, afroamerikanische Rapperin Akua Naru, was gut getan hat. BANTUs Mische aus Afrobeat, HipHop und Soul und hält die Waage zwischen Tradition und Moderne. Zeitlos leider auch die Themen des Albums: „Korruption, Ungerechtigkeit, Migration, Fremdenhass, urbane Entfremdung“. „What Is Your Breaking Point?“ fragt, wie lange wir bei all dem noch zusehen? (7,5 von 10 Punkten)

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BANTU feat. Akua Naru - Na Me Own My Body (Lyrics Video) | Bild: BANTU (via YouTube)

BANTU feat. Akua Naru - Na Me Own My Body (Lyrics Video)

SQUID – O Monolith

Neben Black Midi und Black Country, New Road sind sie die dritte, junge britische Band, die sich gerade dem klassischen Indie-Rock entsagt und dabei internationale Wellen schlägt. Squid fahren lieber verschrobene Sounds, verschobene Rhythmen und Noise-Flächen auf. Produziert haben sie die fünf Briten in Peter Gabriels Studio, sein Sound-Engineer, der früher mit Kate Bush arbeitete, liess sie an alten Synthis programmieren. Herauskam ein komplexes Rock-not-Rock-Werk. Inhaltlich geht es um Umwelt, Träume, Schmerz - und Tod. Squid sagen: „unverkennbar Musik, die von Freunden gemacht wird.“ Freundschaftlich ja, aber man muss sich das Album erst einmal erarbeiten, mehrfach hören, die Lieder fliegen einem nicht so einfach zu. In Deutschland treten sie mit dem Zweitling bei der Fusion in MeckPom auf. (2.7., Larz) (7,5 von 10 Punkten)

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Squid - The Blades (Official Video) | Bild: Squid (via YouTube)

Squid - The Blades (Official Video)

JENNY LEWIS – Joy´all

Zuhause in den Staaten muss man sie nicht mehr vorstellen: sie war Teeniestar in Werbung und Fernsehen und gründete 1998 in L.A. mit Freunden die Band Rilo Kiley. Jenny Lewis sang und spielte Rhythmus-Gitarre, war manchmal auch bei The Postal Service – und wurde von Conor Oberst zu einem Solo- Album auf seinem Label eingeladen. In der US-Indie-Szene ist sie also eine feste Größe: Bon Iver lud sie zu einem Duett mit Bruce Springsteen ein („AUATC“). Nun, zehn Jahre nach dem Ende von Rilo Kiley, glänzt sie auf ihrem fünften Album: „Joy´All“ ist eine gelungene Country/Folk/Americana-Platte im Retro-Gewand. Die Songs entstanden zum Teil nach einem Songwriting-Workshop mit Beck. Apropos Gewand: nach den Aufnahmen in Nashville kaufte sie ein Outfit von Skeeter Davis, der legendären Country-Sängerin. Das Kostüm ziert nun das Cover, das Jenny im 70er-Look, der Hochzeit der LPs, gestalten liess. „Cherry Baby“ klingt gar nach 60er und das Video zu „Puppy and a Truck“ werden auch die Harry Styles-Fan klicken: er ist kurz zu sehen - Lewis war Vorband seiner US-Tour.  
In rockenden „Love Feel“ besingt sie Marvin Gaye, Timberlake, Hank Williams, Johnny Cash und John Prine. Aber Jenny Lewis ist längst eine Größe für sich. Selbstironisch noch dazu: zu hören in (I´m a Rock´n´Roll)“Psycho“, Höhepunkt auf „Joy´All“. (8,0 von 10 Punkten)

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Jenny Lewis - Psychos | Bild: JennyLewisVEVO (via YouTube)

Jenny Lewis - Psychos

CHRISTINE & THE QUEENS – Paranoia, Angels, True Love

In letzter Zeit war C&TQ die vermutlich weltweit am höchsten gehandelte französische Musikerin. Auf dem 3-fach-LP-Opus sucht Christine ihre Stimme – und findet viele. Und möchte künftig als Chris/he/him angesprochen werden. Chris schraubt die Zahl der Songs oben (20!), den Charts-Pop-Anteil zurück – und holt mit Produzent Mike Dean (Lana Del Rey) namhafte Gästen an Bord und ins Studio - wie Madonna oder 070 Shake. Und sampelt Marvin Gaye. Das Vorläufer-Album, das vom Theaterstück „Angels in America“ beeinflusst ist, war der Prolog. „Paranoia, Angels, True Love“ ist die Ergebnis seiner neuen Stimmensuche. Ein avantgardistisch angehauchtes, zum Teil elegisches, Soundtrack-artiges Werk. (8,0 von 10 Punkten)

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Christine and the Queens - Tears can be so soft (Official Music Video) | Bild: CATQVEVO (via YouTube)

Christine and the Queens - Tears can be so soft (Official Music Video)

JESS WILLIAMSON – Time Ain´t Accidental

Im letzten Jahr hörten wir sie mit Katie Crutchfield a.k.a. Waxahatchee als Duo „Plains“. Nun das fünfte Solo-Album der US-Songwriterin: Jess verarbeitet hier eine Trennung. Schmerz, leider ein passendes Motiv, sprich: gute Vorlage für tiefgründige Platten. Doch Jess probiert etwas Neues: statt Tränen über ihre neue Einsamkeit zu klassischem Country zu vergiessen, programmierte sie sich am Handy leichten pluckernde Beats zu ihren Trauer-Songs. Auch das Online-Daten danach besingt sie („Hunter“). Das Ergebnis klingt ungewöhnlich für die Ohren. Ich bin positiv überrascht, aber TraditionalistInnen könnten schockiert sein, dass die Gegenwart so über ihr lange von neuen Klang-Einflüssen verschontes Genre hereinbricht. Beziehungsweise hereinpluckert. Mehr ist es ja nicht. Was sollte sie in der Isolation der Pandemie auch anders arbeiten? Das Label nennt es „Modern Country“ und sieht Verwandtschaft zur frühen Taylor Swift. Wenn nur jede/r 100. Taylor-Fan sie entdecken würde... (7,5 von 10 Punkten)

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Jess Williamson - Time Ain't Accidental (Official Video) | Bild: Jess Williamson (via YouTube)

Jess Williamson - Time Ain't Accidental (Official Video)