Person mit Handtuch vor der Brust betrachtet sich im Spiegel (Symbolbild)
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Transgender: Wenn Jugendliche das Geschlecht wechseln möchten

Transgender, Transsexualität, Transidentität, Geschlechtsdysphorie - es gibt viele Begriffe, die nur ein Phänomen beschreiben: Jemand fühlt sich mit seinem angeborenen Geschlecht nicht wohl. Was das für Jugendliche und Eltern bedeutet.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Katrin Reiners Kind ist als Mädchen auf die Welt gekommen. Schon im Kindergarten habe sich ihr inzwischen erwachsener Sohn, wie die Berlinerin sagt, "anders gefühlt".

So wie Reiners Sohn geht es vielen Menschen in Deutschland. Und es werden immer mehr. Allein 2020 haben sich laut Statistikportal "Statista" 2.155 Menschen hierzulande einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen. Fachleute wie Mediziner und Psychotherapeuten gehen davon aus, dass etwa zwei bis drei Prozent aller Kinder und Jugendlichen davon überzeugt sind, im falschen Körper geboren worden zu sein. Was Betroffene dann erwartet, erzählen die Berliner Mutter, ein Münchner Jugendpsychiater und die Vertreterin einer Selbsthilfegruppe im BR-Interview.

Transsexuelle Jugendliche: Pubertätsblocker zur Zeitgewinnung

Mit 13 outet sich der Teenager und erklärt seiner Mutter, dass er gerne als Junge weiterleben möchte. Die Eltern nehmen den Wunsch ihres Kindes ernst und suchen psychologische Hilfe. Nach einer langen Therapie erhält er "Pubertätsblocker", wie die Berlinerin sagt, womit "die Pubertät gestoppt wurde". Ziel dieser Behandlung war es laut Katrin Reiner, ihrem Kind Zeit zu verschaffen. Zeit, um sich klar darüber zu werden, ob es weiter die Therapie machen möchte und am Ende wirklich in dem anderen Geschlecht leben will.

Zahl der transsexuellen Menschen steigt auch in anderen Ländern

Um Menschen wie ihrem Sohn zu helfen, engagiert sich Katrin Reiner im Verein "Trans-Kinder-Netz e.V. (TRAKINE)". Sie stellt fest: Immer mehr Betroffene sind auf der Suche nach Beratung. Aber nicht nur in Deutschland wird immer häufiger Transsexualität bei Jugendlichen festgestellt.

So sei in Schweden die Diagnosehäufigkeit bei 13- bis 17-Jährigen von 2008 bis 2018 um 1.500 Prozent angestiegen, sagt Alexander Korte, leitender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München. In Großbritannien betrug der Anstieg im gleichen Zeitraum sogar 4.500 Prozent. Fast 80 Prozent seien laut Korte Mädchen. Er führt den starken Anstieg der Diagnose "Transsexualität" auf eine besser aufgeklärte Gesellschaft zurück.

  • Zum Artikel: Diversity Day: Respekt als Erfolgsfaktor

Geschlechtsumwandlung: Mediziner warnt vor falschen Hoffnungen

Der Mediziner warnt aber auch davor, wenn Jugendliche - zum Beispiel in den sozialen Medien - über Geschlechtsumwandlungen zu euphorisch berichten. "Die wirken auch als Vorbilder, an denen sich nicht wenige Jugendliche, die irgendein Problem haben, dann orientieren in der Hoffnung, in der illusionären Erwartung, dass mit dem Wechsel der sozialen Geschlechtsrolle sich alle anderen Probleme in Luft auflösen", gibt der Münchner Kinder- und Jugendpsychiater zu bedenken.

Ursachen für Transsexualität noch unklar, Diagnose langwierig

Warum sich manche Menschen mit ihrem angeborenen Geschlecht unwohl fühlen, ist noch unklar. Hormonelle Einflüsse in der Schwangerschaft, genetische, aber auch soziale und psychische Faktoren könnten dabei laut Experten eine Rolle spielen.

Dennoch stellt sich in den Therapiesitzungen, die oft über viele Monate gehen, in einigen Fällen heraus, dass die Jugendlichen nicht transsexuell, sondern homosexuell sind oder in einer pubertären Krise stecken. Deshalb ist für den Mediziner Korte "die sogenannte Alltags-Erprobungsphase, innerhalb derer die Betroffenen vollumfänglich in der gewünschten sozialen Geschlechtsrolle leben" als Therapiebaustein "ganz wesentlich". So könnten sie ihre Erfahrungen sammeln und sich auch "mit den Limitationen" auseinandersetzen, so Korte.

Vertreterin von Selbsthilfegruppe sieht keinen Transgender-Hype

Patricia Schüttler, stellvertretende Vorsitzende der Selbsthilfeorganisation Trans-Ident e.V. und Gruppenleiterin der Trans-Ident München, sieht hingegen keine Gefahr, dass Jugendliche zu schnell Therapien mit irreversiblen Folgen vornehmen lassen. "In Deutschland ist die Behandlung so gut durchstrukturiert, dass es wirklich gerade bei Kindern und Jugendlichen Jahre der Begleitung eines Psychotherapeuten, Psychiaters, Psychologen bedarf, um überhaupt die Diagnose zu stellen. Und erst dann ist es möglich, überhaupt Pubertätsblockade und so zu machen", sagt sie. Und bis zu einer geschlechtsangleichenden Operation seien die Betroffenen meist volljährig. Bis dahin sei sich wohl jeder und jede klar darüber, was richtig sei, betont Schüttler, die selbst als Mann geboren wurde.

ARD-Diversity-Tag am 31. Mai 2022

Das Thema "Niemanden ausschließen – Vielfalt in den Medien" ist Teil des ARD-Diversity-Tages am 31. Mai 2022. In einer Podiums-Diskussion aus dem BR Funkhaus wird die Frage diskutiert: "Wie können wir Raum für Debatten schaffen in einer sich polarisierenden Gesellschaft?" Mit dabei sind:

  • Lorenz Narku Laing, Gründer & Geschäftsführer | Vielfaltsprojekte GmbH – Diversität aktiv gestalten!
  • Kathrin Kunkel-Razum, Duden-Chefredakteurin
  • Nele Pollatschek, Süddeutsche Zeitung
  • Björn Wilhelm, BR-Kulturdirektor

Das Grußwort spricht BR Intendantin Katja Wildermuth. Moderiert wird die Veranstaltung von Sybille Giel, Redaktionsleitung "Notizbuch", Bayern2.

  • Zu sehen in einem BR24live, 17 Uhr: ARD-Diversity-Tag – Vielfalt in den Medien

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