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Gender Studies in der Kritik Feminismus oder Grundlagenforschung?

Von Rechtspopulisten, in Talkshows, in Feuilletons und im Netz wird die Geschlechterforschung attackiert. Die Gender-Forscherin Paula-Irene Villa von der Universität München zum Begriff „gender“ und die Kritik daran.

Author: Christopf Wittmann

Published at: 15-2-2020

Gender-Studies | Bild: BR

Frau Prof. Villa, was steckt hinter dem Begriff "Gender“?

Wir wissen alle aus unserer eigenen Erfahrung, dass Geschlecht nicht konkret nur auf eine biologische Grunddisposition zurückzuführen ist, sondern die Erfahrung, eine Frau oder ein Mann zu sein, je nach Alter, Region, Beruf usw. sehr unterschiedlich sein kann. Gender als wissenschaftlicher Begriff meint also, dass Geschlechterdifferenz etwas ist, das sozial gestaltet wird und das sich je nach historischem und kulturellen Kontext verändert. Biologie spielt dabei auch eine Rolle, ist aber nicht alles entscheidend.

Der historische Kontext entscheidet darüber, ob ich Mann oder Frau bin? Das müssen sie erklären!

Wie auf den Körper und die Biologie geschaut wird, ist doch sehr unterschiedlich. Historisch gibt es viele Beispiele, dass Geschlecht anders verhandelt wurde. Das zeigt z.B. die Studie von Thomas Laqueur über die Geschichte der Anatomie. Bis zu Beginn des 18.Jahrhunderts gab es das Ein-Körper-Modell, d.h. der Körper war per se erst mal ein männlicher und je nach innerer „Temperatur“, waren die Genitalien nach innen oder außen gewachsen. Frauen waren sozusagen nach innen gestülpte Männerkörper. Da haben wir heute doch ein sehr anderes Verständnis. Genauso gibt es zahlreiche Beispiele in anderen Kontexten, Religionen und Kulturen, wo etwa Geschlechtswechsel möglich sind und es Rituale dafür gibt.

Woran liegt es, dass Gender und die Gender Studies  gerade so heftig unter Beschuss sind?

Ich denke, es gibt mehrere Gründe. Zum einen ist Gender für viele eine Chiffre für Dinge, die in der sozialen Welt verhandelt werden müssen, die man machen muss, die Ressourcen brauchen, wo es nicht mehr allen so klar ist, wenn du ne Frau bist, bist du das, wenn du ein Mann bist, bist du das. Das fühlt sich für viele Leute so an, als wären sie aus einem Paradies vertrieben worden, wo alles klar war mit dem Geschlecht. Das war sicher nicht bei allen so, auch nicht vor 40 Jahren, aber manche trauern einer geordneten Natürlichkeit hinterher, die sie phantasieren. Da verstehe ich, dass das Leute als Verlust empfinden. Und wenn wir an Rollenbilder denken, hat es auch etwas mit dem prekär werden bestimmter Männlichkeiten zu tun. D.h. Männer müssen zunehmend auch lernen, was Frauen schon lange erfahren, nämlich sich selbst als Geschlecht wahrzunehmen und als solches zu gestalten: Diät machen, Haare färben usw., da sind ja auch neue Zwänge damit verbunden. Ich denke, da ist für die Männer in der sozialen Wirklichkeit einiges in Bewegung geraten, was sie verunsichert.

Als Reizwort in der Debatte wird auch oft das so genannte "Gender Mainstreaming“ genannt?

Da gibt es leider immer wieder eine Begriffsverwirrung. Gender Mainstreaming ist eine Policy, also eine politische Strategie, Gleichstellungspolitik. Das meint, bei bürokratischen Entscheidungen zu überlegen, ist Geschlecht hier überhaupt relevant. Und wenn ja, wie regelt man es so, dass niemand diskriminiert wird.
Die Gender Studies sind übrigens sehr kritisch in Bezug auf Gender Mainstreaming, weil Gender Mainstreaming ja wieder Sachen voraussetzt und reproduziert, die wir in Frage stellen, nämlich die klare Abgrenzung der Geschlechter. Gender Mainstreaming ist also eher so was wie ein Forschungsgegenstand, den wir analysieren.

Regt nicht viele Leute genau dieses "Gendering" auf?

Viele hören Gender Mainstreaming und empfinden das sofort als Gängelung durch die Brüsseler Lobby, durch die EU, die wieder was Feministisches machen will, als etwas, was einem aufgedrückt wird. Gender funktioniert bei den Gegnern eben auch als Chiffre für eine Ablehnung von Europa und der EU. "Gendering" ist übrigens nicht etwas, dass nun neu erfunden wäre oder gemacht würde von der Forschung oder der EU. Gendering ist vielmehr ein alter soziologischer Begriff (von E. Goffman) um eine vergeschlechtlichte soziale Struktur zu beschreiben, die immer schon da ist. Wenn wir also „der Arzt“ sagen – und alle Geschlechter meinen – das ist gendering.

Oft genannt werden in diesem Zusammenhang Neu-Formulierungen der Sprache, also z.B. Studierende statt Studenten?

Ach, die Sprache, das kommt immer! Ich als Soziologin bin ja erstaunt, wie zentral dieses Thema wahrgenommen wird. Vielleicht liegt es daran, dass sprachliche Veränderungen ein Stolperstein sind, in einer Routine stören können. Gleichzeitig muss man konstatieren, dass es sehr viele Studien gibt, die nachweisen, dass Sprache und Wahrnehmung in der Praxis eng zusammenhängen, nicht als Zwangsverhältnis, aber unsere Welt wesentlich strukturieren. Z.B. Wenn man für einen Beruf nur die weibliche Form benutzt, fühlen sich Männer nicht angesprochen.

Was stört sie an der Diskussion am meisten?

Was ich zumindest sehr eigenartig finde, dass „gender“ im öffentlichen Diskurs so skandalisiert und auch sexualisiert wird. Der Begriff taucht immer wieder im Zusammenhang mit Pädophilie auf oder mit dem Versuch, kleine Kinder zu sexualisieren. Tatsächlich hat das eine mit dem andern überhaupt nichts zu tun, aber das wird so wahrgenommen, und wir müssen uns damit auseinandersetzen.

Wie tun sie das, also wie gehen Sie mit den Angriffen um und mit der politischen Forderung, die Gender studies abzuschaffen?

Ich suche das Gespräch mit denen, die solche Anträge machen, spreche Politiker darauf an und versuche zu klären, was meinen die eigentlich. Ich gehe vielfach  aus der Uni raus und versuche zu vermitteln: Hey, wir denken uns das mit der Vielfalt und der Bedeutung von gender nicht aus, sondern wir bekommen unsere Impulse aus der sozialen Wirklichkeit, wir beschäftigen uns hier mit sehr realen, konkreten Dingen. Die Gender studies sind ein möglicher Spiegel von dem, was in der Gesellschaft passiert, wir betreiben Grundlagenforschung. Aber ich verlange halt auch, dass man uns zuhört und ernsthaft verstehen will. Toll finden muss das niemand. Aber ernst nehmen schon.

Für ihren Kollegen Stefan Hirschauer von der Universität Mainz ist das Problem auch ein bißchen hausgemacht. Er kritisiert das Selbstverständnis der Gender studies und sieht eine Überpolitisierung des Forschungsfelds, in dem er immer noch eine feministische Ideologie wirken sieht? Hat er Recht?

Ja und nein. In Teilen der Gender Studies gibt es – wie in allen Wissenschaften – tatsächlich Kollegen und Kolleginnen, die mehr oder weniger politisch unterwegs sind. Aber ich würde das nicht verabsolutieren. Richtig ist auch, dass wir es noch nicht schaffen, genügend Männer zu rekrutieren und zu fördern.
Wo ich ihm aber deutlich widerspreche, ist die Einschätzung, wir würden aufgrund feministischer Grundpositionen mache Forschungsinhalte ausklammern. Erstens, gibt es inhaltlich viele und auch viele neutrale politische Standpunkte im Feld. Zweitens: Wir schauen uns z.B.  schon lange und immer wieder auch die Probleme von Männern an, z.B. spezielle Gesundheitsrisiken, Vaterschaft, Fragen von Beruf und Männlichkeit. Es gibt einen Fokus auf Diskriminierung und Ungleichheit, aber dass das mit so einem moralischem Überlegenheitsgestus der Frauen daherkommt, das sehe ich gar nicht.

Wenn man sich tagtäglich mit der Konstruktion von Geschlecht und von Geschlechterbildern auseinandersetzt, wie sieht das im persönlichen Umfeld aus. Ist das Privatleben einer Gender-Forscherin dadurch besonders kompliziert?

Zuerst einmal: WissenschaftlerInnen der Gender Studies sind ganz normale Menschen. Natürlich gibt es eine größere Aufmerksamkeit bei bestimmten Fragen, wie bei allen Forschern. Ganz konkret ist es so, dass mein Partner und ich in Fragen der Geschlechtergleichheit nie große Unstimmigkeiten hatten. Wir gehen da sehr entspannt damit um. Außerdem tanzen wir argentinischen Tango.

Und, wer führt?

Der argentinischen Tango ist ja ein Tanz der extrem über das Prinzip „führen und folgen“ definiert ist. Aber- und das ist eigentlich wirklich eine schöne Metapher für Gender Studies - im argentinischen Tango können die Rollen wechseln und verflüssigt werden. Beide können den „Mann“ oder die „Frau“ tanzen, also die Führung übernehmen, je nach Armhaltung.


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