Ein Schimpanse sitzt in Gabun im Loango Nationalpark auf einem Baum - und lässt sich eine Schildkröte schmecken.
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Ein Schimpanse sitzt in Gabun im Loango Nationalpark auf einem Baum - und lässt sich eine Schildkröte schmecken.

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Schimpansen fressen Schildkröten

Forscher aus Leipzig und Osnabrück haben in Zentralafrika erstmals freilebende Schimpansen beim Fressen von Schildkröten beobachtet. Dass die Affen Reptilien fressen, war jedoch nicht das einzige, was die Wissenschaftler überrascht hat.

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Viele Monate lang haben Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Universität Osnabrück die freilebenden Schimpansen im Loango Nationalpark in Gabun, an der westlichen Atlantikküste Zentralafrikas, beobachtet. "Wir mussten sie erst an unsere Anwesenheit gewöhnen", berichtet Primatologe Tobias Deschner dem Bayerischen Rundfunk. "Das kann Jahre dauern. Erst, wenn sie ihre Angst verlieren, können wir mit ihnen im Abstand von zehn bis 15 Metern durch den Regenwald laufen." Rund 45 Affen haben die Forscher im Zeitraum von Juli 2016 bis Mai 2018 beobachtet. Und dabei etwas bis dahin völlig Unbekanntes miterlebt: Die Schimpansen fraßen Schildkröten.

"Wir wissen bereits seit Jahrzehnten, dass der Speiseplan von Schimpansen viele verschiedene Tierarten beinhaltet, doch bisher wurden sie noch nicht beim Verzehr von Reptilien beobachtet." Tobias Deschner, Primatologe, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig

Schimpansen schlagen Schildkröten gegen Bäume

Insgesamt beobachteten die Forscher zehn Schimpansen dabei, wie sie 38 Schildkröten erbeuteten. "Besonders interessant ist, dass die Schimpansen – um an das Fleisch einer Tierart zu kommen, das für andere Raubtiere kaum zugänglich ist – eine Schlagtechnik anwenden, die sie normalerweise zum Öffnen äußerst hartschaliger Früchte verwenden." Die Schimpansen schlugen die Schildkröten kräftig gegen Baumstämme, um so ihren Panzer aufzubrechen und ans Fleisch zu gelangen. Ob die Schildkröten dann noch gelebt haben oder schon tot waren, kann Tobias Deschner nicht sicher sagen. "Aus zehn Metern Entfernung ist das nicht so einfach zu beobachten. Schildkröten bewegen sich ja nicht schnell und Lautäußerungen sind auch eher schwierig."

Schimpansen teilen ihre Schildkröten-Beute

Die Schildkröten-Jäger waren überwiegend erwachsene Männchen. "Manchmal konnten jüngere Tiere oder Weibchen die Schildkröte nicht selber aufbrechen. Sie gaben sie dann für gewöhnlich an ein stärkeres Männchen weiter, welches den Schildkrötenpanzer aufschlug und das Fleisch mit allen anderen anwesenden Schimpansen teilte", berichtet Simone Pika, die Erstautorin der Studie und Kognitionswissenschaftlerin an der Universität Osnabrück.

Schimpansen sorgen für den nächsten Hunger vor

Die Forscher überraschte nicht nur, dass Schimpansen überhaupt Schildkröten fressen. Sie konnten dabei auch noch etwas anderes beobachten: Ein Männchen brach den Panzer einer Schildkröte auf, verspeiste eine Hälfte des Fleisches auf einem Baum sitzend und klemmte die andere Hälfte in eine Astgabel. Der Schimpanse bunkerte die Beute als Vorrat: Er schlief auf einem anderen Baum und kehrte am nächsten Morgen zurück, um die Reste seines Abendessens zum Frühstück zu verspeisen. "Das deutet darauf hin, dass Schimpansen für die Zukunft planen können", berichtet Simone Pika. "Die Fähigkeit, für einen in der Zukunft liegenden Zustand oder ein Bedürfnis – wie zum Beispiel Hunger – vorzuplanen, konnte bisher vorwiegend nur bei Tieren nachgewiesen werden, die in menschlicher Obhut leben. Viele Wissenschaftler glauben immer noch, dass zukunftsorientiertes Denken eine Fähigkeit ist, über die nur der Mensch verfügt."

"Unsere Ergebnisse deuten also darauf hin, dass wir auch nach jahrzehntelanger Forschung noch nicht die volle Komplexität der Intelligenz und Verhaltensflexibilität von Schimpansen erfasst haben." Simone Pika, Kognitionswissenschaftlerin, Universität Osnabrück
"Das Verhalten freilebender Schimpansen wird nun seit über 50 Jahren in mehr als zehn Langzeit-Feldforschungsstätten über das gesamte tropische Afrika hinweg untersucht. Es ist faszinierend, dass wir trotzdem immer wieder ganz neue Verhaltensweisen und -facetten dieser Art entdecken, sobald wir eine neue Population zu erforschen beginnen." Tobias Deschner, Primatologe, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig

Schildkröten sind dann begehrt, wenn es auch Früchte gibt

Die Forscher konnten das Fressen von Schildkröten nur in der Trockenzeit beobachten. Ausgerechnet dann, wenn den Schimpansen auch ihre anderen Leibspeisen, wie zum Beispiel Früchte, ausreichend zur Verfügung stehen. "Die Annahme, dass die Tiere Fleisch fressen, wenn Früchte nicht so umfangreich verfügbar sind, hat sich nicht so gut bestätigt", erklärt Tobias Deschner auf Nachfrage. Warum die Schildkröten für die Schimpansen ausgerechnet dann so interessant sind, dafür gebe es noch keine perfekte Erklärung. Deschner hat aber zwei Vermutungen: "Während der Regenzeit sind die Blätter am Boden nass. Die Schildkröten machen dann kein Geräusch, wenn sie sich darauf bewegen. Sie glauben ja nicht, was selbst die kleinste Schildkröte auf staubtrockenem Boden für einen Krach machen kann!" Während der Trockenzeit können Schimpansen Schildkröten also schlicht leichter entdecken. Ein weiterer Grund könnte die Ruheperiode der Schildkröten sein. "Von November bis April sind sie eher inaktiv und deshalb vielleicht auch schwieriger zu finden", meint Deschner.

Forscher werden die Schimpansen-Gruppe weiter beobachten

Um das herauszufinden, wollen die Wissenschaftler künftig auch verstärkt auf Schildkröten achten. "Wenn wir welche finden, dann bekommen wir auch ein Gefühl dafür, ob es einen zeitlichen Unterschied in der Häufigkeit gibt", sagt Tobias Deschner. Im November macht er sich wieder auf zu den Schildkröten und Schimpansen nach Gabun. Dann wird er die sogenannte Rekambo-Gruppe weiter beobachten, um noch mehr über ihr Verhalten herauszufinden. "Rekambo bedeutet übrigens 'Dort, wo man redet'. Weil wir Forscher dort durch den Wald laufen", erklärt Deschner und lacht. Dabei werden sie den Schimpansen aber ganz bewusst nie allzu nah kommen: "Wir gehen nie näher als acht Meter ran, weil wir keine Krankheiten übertragen wollen."

Schimpansen-Verhalten gibt Aufschluss über unsere Evolution

Für die Wissenschaftler aus Leipzig und Osnabrück sind die Beobachtungen des natürlichen Verhaltens nicht-menschlicher Primaten auch wichtig für Theorien zur Evolution des Menschen. "Das Verhalten der Schimpansen, neben Bonobos unsere nächsten lebenden Verwandten, können wir als Fenster verwenden, um zurück auf die Geschichte und Evolution unserer eigenen Art zu blicken und diese besser zu verstehen", sagt Simone Pika.

"Damit sich dieses Fenster nicht ein für alle Mal schließt, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um das Überleben dieser faszinierenden Tiere in ihren natürlichen Lebensräumen in ganz Afrika zu sichern." Tobias Deschner, Primatologe, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig

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