Menschen schauen Otto Lilienthal zu, wie er einen Hang hinabgleitet
Bildrechte: Archiv Otto-Lilienthal-Museum / www.lilienthal-museum.de

Otto Lilienthal bei Flugversuchen

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Otto Lilienthal, der unterschätzte Pionier der Lüfte

Sein Absturz war nicht nur tödlich, er ruinierte auch seinen Ruf. Die Gleiter des Flugpioniers Otto Lilienthal galten als technisch minderwertig. Neue Forschungen sorgen für eine späte Rehabilitation - und neue Exponate schmücken das Deutsche Museum.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Immer höher und weiter wollte Otto Lilienthal fliegen. Dafür hat er viele unterschiedliche Fluggleiter gebaut und ständig verbessert. Das war aber nur ein Teil seiner Pionierleistung. Genauso wichtig war herauszufinden, wie man überhaupt fliegt, wie man sich am geschicktesten in der Luft bewegt. Heute nennt man so etwas Pilotenausbildung.

Neue Exponate im Deutschen Museum

Zwei neue Exponate in der Flugwerft Oberschleißheim, einer Filiale des Deutschen Museums: der Nachbau eines der schönsten und größten Gleiter, die Otto Lilienthal jemals gebaut hat und ein originaler Gleiter, den der Flugpionier selbst geflogen ist. Es war außerdem im Jahr 1904 das erste ausgestellte Flugzeug im Deutschen Museum. In den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs wurde es noch in Sicherheit gebracht, verschwand aber dann in den Archiven und fiel den Holzwürmern zum Opfer. Seit einigen Jahren ist das Interesse an Otto Lilienthal wieder gewachsen. Man hat begonnen, seinen alten Gleiter zu restaurieren.

Lilienthal ist wieder populär

Maßgeblich beigetragen zum Lilienthal-Revival der letzten Jahre hat Markus Raffel. Er ist Professor für Aerodynamik am Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt in Göttingen. Im Hauptberuf forscht er an der Verbesserung von Hubschrauberrotoren. Vor einigen Jahren packte ihn aber das Lilienthal-Fieber. Inzwischen hat er mehrere Gleiter gebaut und geflogen. Keiner hat sich seit Otto Lilienthal so genau mit den Gleitern beschäftigt und so viele Flugversuche unternommen. Markus Raffel ist sogar bis an die amerikanische Westküste gereist. Nur dort hatte er optimale Bedingungen für seine Versuche. Lilienthals Fliegehügel in Deutschland sind heute längst verbaut oder zugewachsen.

Lilienthal, der Tüftler

Das neue Exponat eines Gleiters, das Markus Raffel jetzt dem Deutschen Museum vermacht hat, ist eine besondere Entwicklung von Otto Lilienthal. Es ist mit vielen Klappen und beweglichen Elementen ausgestattet, womit es sich lenken lässt. So umfangreich hat Lilienthal das an keinem anderen seiner Gleiter ausprobiert.

Es gibt zum Beispiel kleine Klappen an den Flügelspitzen. Damit konnte der Gleiter um die Kurve gelenkt werden. Dann war da noch der automatische Vorflügel, der dem Gerät seinen Namen gab. Das waren Klappen an der Vorderseite der großen Flügelflächen, die verhindern sollten, dass der Gleiter zu schnell wurde. "Otto Lilienthal fasziniert mich immer wieder", schwärmt Markus Raffel. "Er hat sich all diese Steuerklappen ausgedacht und getestet und sie funktionieren einfach fantastisch."

Besser als sein Ruf

Vielleicht die wichtigste Erkenntnis aus Markus Raffels über 100 Flugversuchen: Der Ruf von Lilienthals Gleitern als gefährlich und unausgereift sei unbegründet. "Die Gleiter sind wohldurchdacht, sicher und fliegen ganz fantastisch", wird Markus Raffel nicht müde zu betonen. Dass Lilienthal abstürzte, sei ein tragischer Unfall gewesen. Eine unerwartet starke Windböe musste ihn erfasst haben, während er gerade ein schwieriges Flugmanöver ausprobierte. Auf diese Turbulenz habe er nicht mehr schnell genug reagieren können. Aus 15 Metern Höhe stürzte er ab und starb am nächsten Tag - im Alter von 48 Jahren - an inneren Verletzungen.

Nicht auszudenken, was er noch geschafft hätte, wenn ihm mehr Zeit geblieben wäre. Der erste motorgetriebene gelenkte Flug gelang dann den Brüdern Wright - acht Jahre später. Die US-Amerikaner sahen sich selbst als Lilienthals Flugschüler.

Lilienthal hatte kaum Vorbilder

Der Unterschied von Otto Lilienthal zu allen anderen Flugpionieren und jedem Flugschüler nach ihm: Er hatte keinen Fluglehrer. Lilienthal machte alles zum ersten Mal. Aber dabei stellte er sich äußerst geschickt an. Alle vor ihm bauten ihr Fluggerät, probierten es aus und scheiterten. Otto Lilienthal schrieb erst einmal ein Buch: "Der Vogelflug als Grundlage der Fliegerkunst". Ein wissenschaftliches Werk, vollgepackt mit Ideen und neuen Erkenntnissen zur Fliegerei. Selbst geflogen war Otto Lilienthal zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges Mal. Er hatte aber schon viel nachgedacht, geforscht und ausprobiert. Zum Beispiel hatte er sich ein Gerät überlegt, mit dem er den Auftrieb eines Flügels messen konnte.

Der Auftrieb macht den Unterschied

Die Flügel sind dazu da, Auftrieb zu erzeugen. Das ahnten auch schon die Flugpioniere vor Lilienthal. Aber welche Form müssen Sie haben, damit Sie möglichst viel Auftrieb erzeugen? So viel Auftrieb, dass sie einen Menschen durch die Luft tragen können. Dies ist eines der wichtigen Themen in Lilienthals Buch und ein wichtiger Teil der Forschungen, die Lilienthal angestellt hat. Viele unterschiedliche Flügel hat er in seiner Versuchsvorrichtung getestet. Die funktionierte nach dem Prinzip "Hand aus dem Auto halten": Je nachdem, wie man die Hand bewegt, formt oder in den Wind stellt, drückt er die Hand mehr oder weniger nach oben. Bei diesen Versuchen hat Lilienthal eine seiner wichtigsten Entdeckungen gemacht: Der Flügel muss auf eine ganz bestimmte Weise gewölbt sein. Dann funktioniert er am besten. An dieser Erkenntnis hat sich bis heute nichts verändert: Wer demnächst einmal in den Urlaub fliegt, kann es überprüfen. Die Oberfläche des Flügels ist gewölbt.

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