Umstrittene Umfrage: Angeblich haben viele junge Männer noch ein traditionelles Rollenbild
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Umstrittene Umfrage: Angeblich haben viele junge Männer noch ein traditionelles Rollenbild

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Junge Männer, alte Rollenbilder? Eine Umfrage in der Kritik

Die Schlagzeile hatte für Diskussionen gesorgt: Junge Männer zwischen 18 und 35 Jahren hätten traditionalistische Rollenbilder. Das hatte eine Online-Befragung ergeben. Doch Sozialwissenschaftler stellen die Umfragemethode und ihr Ergebnis in Frage.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Die Online-Befragung von 1.000 jungen Männern und ebenso vielen jungen Frauen war im Auftrag der Kinderhilfsorganisation "Plan International" durchgeführt worden, die sich für Kinderrechte und Chancengleichheit von Mädchen einsetzt. Nach Aussage von "Plan International" handelt es sich um eine repräsentative Umfrage, die am 11. Juni 2023 auf der eigenen Homepage veröffentlicht wurde. Hauptaussage ist, dass sehr viele junge Männer angeblich unter "toxischer Männlichkeit" leiden.

Der Pädagoge Menno Baumann von der Fliedner-Fachhochschule Düsseldorf kritisiert die Umfrage scharf: "Mir war sofort klar, dass das keine belastbaren Zahlen sind. Wir wissen, dass Männlichkeitsvorstellungen und Geschlechter-Inszenierung ein riesiger Risikofaktor für familiäre Gewalt sind. Und wenn das Thema dann mit unzuverlässigen Zahlen hochgepusht wird, ist das aus wissenschaftlicher Sicht kritisch. So eine "Studie" kippt sofort um, wenn irgendjemand ein bisschen Watte darauf wirft und deswegen habe ich mich geärgert."

Die wesentlichen Ergebnisse der Befragung von "Plan International"

  • Rund ein Drittel der befragten Männer gibt an, gegenüber Frauen schon mal handgreiflich zu werden, um ihnen Respekt einzuflößen.
  • Ein Drittel der Männer hält es für akzeptabel, wenn ihnen beim Streit mit der Partnerin gelegentlich die Hand ausrutscht.
  • Mehr als die Hälfte sehen Frauen eher in der Rolle als Hausfrau, während Männer das Geld verdienen.
  • Die Hälfte der jungen Männer ist der Meinung, dass es schwach und angreifbar macht, wenn sie Gefühle zeigen.

Die Kritikpunkte an der Umfrage zu Rollenbildern

  • Sozialwissenschaftler kritisieren, dass die Umfrage nicht repräsentativ sei, da sie nur im Internet stattfand. Menschen, die sich wenig im Netz aufhalten, kommen demnach nicht vor. Der Pädagoge Menno Baumann von der Fliedner-Fachhochschule Düsseldorf: "Es ist keine Studie, nur eine Online-Umfrage und damit keine ernsthafte wissenschaftliche Arbeit."
  • Personen, die den Link für die Befragung weitergeschickt haben, bekamen Geld dafür. Es kann sein, dass dadurch vor allem Gruppen angesprochen werden, die Geld brauchen. Der Sozialforscher Ulrich Kohler von der Universität Potsdam: "Die Menschen, die teilnehmen, unterscheiden sich in bestimmten Merkmalen von der deutschen Durchschnittsbevölkerung."
  • Datenerhebung und Auswertung wurden nicht für alle sichtbar veröffentlicht. Deshalb seien die Aussagen nicht überprüfbar. Sebastian Wenz vom Gesis Leibnitz-Institut für Sozialwissenschaften: "Ich hätte den Ergebnissen nur dann weitestgehend vertraut, wenn ich die einzelnen Schritte der Datenerhebung und Datenanalyse vollumfänglich nachvollziehen könnte."

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Rollenbild-Umfrage

Sozialwissenschaftler ordnen die Umfrage von Plan International als reißerisch und übertrieben ein. Ihre Einschätzungen gehen in die Richtung, dass wesentlich weniger, nämlich etwa zehn bis 15 Prozent der jungen Männer, heute noch traditionelle Rollenvorstellungen vertreten. Der überwiegende Teil der jungen Leute lebe moderne, gewaltfreie und auf Ausgleich ausgerichtete Rollenmodelle.

Durch die Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und die Inflation gebe es in einigen gesellschaftlichen Kreisen allerdings wieder einen Trend zu traditionalistischen Rollenbildern, sagt Menno Baumann: "Wir haben wieder Familien, die auf sehr engem Raum leben, mit mehreren Kindern in kleinen Wohnungen. Das bedeutet, Kinder verbringen wieder mehr Zeit auf der Straße, weil es zuhause einfach unglaublich eng ist oder mehr Zeit im Internet, weil man sich in der eigenen Wohnung wenig betätigen kann. Und beides sind Orte, an denen sich gerne auch Identitätbilder anbieten als Vorlage, die nicht unbedingt hilfreich sind in Richtung einer offenen, freien und gleichberechtigten Gesellschaft."

Grundsätzlich gehe die Entwicklung aber in die richtige Richtung, so Baumann: "Ich bin da ziemlich optimistisch, weil wir den Schritt zum Ideal der gewaltfreien Familie schnell vollzogen haben. 1993 war Homosexualität in Deutschland noch eine Straftat, 1997 war Vergewaltigung in der Ehe noch straffrei. Bis 2000 war es noch keine Straftat, seine Kinder im Rahmen von erzieherischer Intervention zu schlagen. Das heißt die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind jung. Und trotzdem haben wir schon einen fast vollständigen Konsens in der Gesellschaft, der sagt: Gewalt ist nicht gut." Der Pädagoge hat die Hoffnung, dass sich über eine gewaltfeie Erziehung von Kindern langfristig moderne Vorstellungen von Männlichkeit durchsetzen, Sexismus abnimmt und die Gleichberechtigung der Geschlechter voranschreiten werde.

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