Campylobacter jejuni in 6.000-facher Vergrößerung eines Elektronenmikroskops
Bildrechte: picture-alliance / BSIP/SGO | SGO

In Peru häufen sich Fälle des Guillain-Barré-Syndroms. Als Auslöser der Nervenkrankheit wird das Bakterium Campylobacter jejuni vermutet.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Guillain-Barré-Syndrom: Woher kommt die Krankheitswelle in Peru?

Oft beginnt es mit Kribbeln und Taubheit in den Händen, Muskelschwäche und Lähmungen können folgen. Wegen des Guillain-Barré-Syndroms hat Peru den Gesundheitsnotstand ausgerufen. Das ist über die Nervenkrankheit und ihre vermutliche Ursache bekannt.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Peru hat wegen zahlreicher Fälle des Guillain-Barré-Syndroms den Gesundheitsnotstand ausgerufen. Das klingt dramatischer, als es ist. Es handelt sich um einen Verwaltungsakt, der erlaubt, in den betroffenen Regionen unkompliziert zusätzliche Ressourcen für die Krankenversorgung zu mobilisieren. Das ist notwendig, weil innerhalb kurzer Zeit in Peru ungewöhnlich viele Menschen am Guillain-Barré-Syndrom erkrankt sind. Knapp 200 Fälle wurden im vergangenen halben Jahr in dem südamerikanischen Land erfasst. Das erscheint wenig, ist aber für diese sehr seltene Nervenkrankheit in einem Land mit rund 34 Millionen Einwohnern überdurchschnittlich viel.

Erst Kribbeln in den Fingern, dann Lähmungen

Die ersten Symptome des Guillain-Barré-Syndroms sind typischerweise Rückenschmerzen sowie Kribbeln in den Fingerspitzen und an der Unterseite der Füße. Bei der großen Mehrheit der Betroffenen bleibt es bei diesen harmlosen Symptomen: Das Kribbeln in Händen und Füßen dauert einige Tage an und verschwindet dann von alleine komplett wieder. Manche Patienten bekommen allerdings Lähmungen der Arme und/oder Beine. Bei einem noch kleineren Teil der Erkrankten kommt es auch zu einer Beteiligung der Atemmuskulatur oder auch der Muskeln im Gesicht sowie in Hals und Rachen. Das kann zu Problemen beim Schlucken und Sprechen führen, erläutert Florian Schöberl, Neurologe und Oberarzt am Uniklinikum Großhadern in München. Bei diesen Fällen werde die Krankheit jedoch normalerweise rechtzeitig diagnostiziert und lasse sich dann auch gut behandeln.

Ein bis drei Wochen verbringen Patienten mit schweren Symptomen in der Regel im Krankenhaus. Unbehandelt kann das Guillain-Barré-Syndrom, kurz GBS, in schweren Einzelfällen zum Tod führen. Auslöser ist fast immer eine vorausgegangene Infektion mit bestimmten Erregern. Beobachtet wurde dieser Zusammenhang zum Beispiel beim Epstein-Barr-Virus und beim Zikavirus, aber auch bei Grippeviren oder HIV und auch bei einigen Bakterien.

Hinter den Symptomen stecken jedoch nicht die Krankheitserreger, sondern eine überschießende Immunantwort, die die Nerven angreift. Das heißt: Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine entzündliche Autoimmunerkrankung. Fehlgerichte Antikörper greifen die Umhüllungen der Nervenfasern an und schädigen diese. Wegen der beschädigten Schutzschicht können die Nervenfasern ankommende Signale nicht mehr zu den Muskeln weiterleiten. Das ist dann die Ursache der Lähmungen.

Auch Corona-Infektion kann Ursache von Guillain-Barré-Syndrom sein

Auch nach einer Corona-Infektion kann GBS auftreten. Kurzzeitig stand die Frage im Raum, ob die aktuellen GBS-Fälle in Peru womöglich auf das Coronavirus Sars-CoV-2 zurückzuführen seien oder vielleicht sogar auf die Covid-Schutzimpfungen. Denn vereinzelt wurde das Guillain-Barré-Syndrom auch zwei bis vier Wochen nach einer Impfung beobachtet. Der Neurologe Florian Schöberl hält dies jedoch in Peru für fast ausgeschlossen. Zum einen liegen die Impftermine mittlerweile lange zurück. Zum anderen ist das GBS-Risiko nach einer Impfung sehr viel niedriger als nach einer Infektion. Bei den mRNA-Impfstoffen, die in Deutschland hauptsächlich zum Einsatz kamen, gebe es zudem im Grunde gar kein Risiko, ein Guillain-Barré-Syndrom zu entwickeln, sagt der Neurologe Florian Schöberl. Bei den Vektor-Impfstoffen wie dem von Astrazeneca liege das Risiko bei 2 bis 4 zu 100.000. Das sei sehr niedrig und deutlich niedriger als das GBS-Risiko durch eine Infektion. Die Covid-Impfung schützt also indirekt auch vor dem Guillain-Barré-Syndrom.

Durchfall-Bakterium vermutlich GBS-Auslöser

Was aber ist tatsächlich die Ursache der vielen Fälle in Peru? Höchstwahrscheinlich ein "alter Bekannter", nämlich das Bakterium Campylobacter jejuni, das eine Magen-Darm-Erkrankung mit Durchfall auslöst. Es war zumindest schon vor vier Jahren für eine GBS-Welle in Peru verantwortlich und ist jetzt wieder aufgetaucht. Das Bakterium löst bei einem von tausend Erkrankten das Guillain-Barré-Syndrom aus. Im Vergleich zu anderen Erregern ist das sehr viel.

Insgesamt verursacht aber auch dieses Bakterium letztlich nur wenige Fälle. Aufgrund des Gesundheitsnotstands in Peru wird die Lage beim Guillain-Barré-Syndrom dort mittlerweile streng überwacht. Einige Fragen zu dieser seltenen Nervenkrankheit sind weiterhin offen, sagt Neurologe Florian Schöberl. Unklar ist zum Beispiel, welche speziellen individuellen Faktoren des Immunsystems dazu führen, dass manche Menschen nach einer Infektion unter dem Guillain-Barré-Syndrom leiden, die allermeisten jedoch nie.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!