Ein junger Mann spielt an einem Spielautomaten in einem Casino, aufgenommen im Juli 2023
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Glücksspielsucht: Allein in Bayern sind 200.000 Menschen davon betroffen, Männer häufiger als Frauen.

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Glücksspielsucht: Wenn Zocken das Leben bestimmt

Allein in Bayern sind rund 200.000 Menschen von Spielsucht betroffen. Wie gerät man in die Abhängigkeit, welche Faktoren lösen sie aus? Wer ist besonders anfällig? Und wo bekommen Süchtige und deren Angehörigen Hilfe? Hier die wichtigsten Antworten.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Schnell mal eine Runde daddeln, in der Gaststätte, im Spielcasino oder am Computer. Aus reinem Zeitvertreib oder um für einen Augenblick lästige Sorgen zu vergessen. So fängt es häufig an. Doch was auf den ersten Blick als harmlose Freizeitbeschäftigung durchgeht, kann schnell zum Verhängnis werden.

Rund 1,2 Millionen Menschen sind bundesweit von Spielsucht betroffen, laut Angaben der Landesstelle für Glücksspielsucht. Allein in Bayern sind es um die 200.000 Menschen. Die Faktoren, die zu einer solchen Erkrankung führen, sind vielfältig.

Alle kann es treffen – aber manche sind besonders gefährdet

"Glücksspielsucht kann prinzipiell jeden treffen, egal welchen Geschlechts, welcher Bevölkerungsschicht, welchen Alters", erklärt Glücksspielforscher Tobias Hayer von der Universität Bremen. Trotzdem gäbe es bestimmte Gruppen, bei denen das Risiko besonders groß sei, eine Glücksspielsucht zu entwickeln. Dazu gehörten jüngere Menschen, eher Männer als Frauen, Personen mit Migrationshintergrund, aber auch Kinder, die mit einem glücksspielsüchtigen Elternteil aufwachsen. "Auch sie haben ein vier- bis fünffach erhöhtes Risiko, selbst später exzessiv zu zocken", sagt Tobias Hayer.

Glücksspiele werden häufig verharmlost

"Das ist doch nur ein Spiel" oder "ein bisschen spielen ist doch in Ordnung", diese oder ähnliche Argumente dienen immer wieder dazu, das eigene Spielverhalten zu verharmlosen. Das ist gefährlich, denn Glücksspiel und kindliches Spiel sind zwei unterschiedliche Dinge. "Das kindliche Spiel fördert die Persönlichkeitsentwicklung", erklärt Tobias Hayer. "Das ist elementar wichtig für junge Leute, übrigens auch für Erwachsene." Beim Glücksspiel geht es jedoch primär darum, Geld zu gewinnen. "Nummer eins ist die Kohle, die in Aussicht gestellt wird", sagt Hayer. Und das sei das Gefährliche daran.

Allein die Aussicht darauf, dass man gewinnen könnte, führt dazu, dass im Gehirn bestimmte Hormone ausgeschüttet werden. Das sogenannte "Glückshormon" Dopamin zum Beispiel. Gewinnt man dann tatsächlich, werden Glückshormone in vollem Umfang ausgeschüttet. Sie versetzen den Spieler in eine Art Rausch. Der erste Gewinn, der erste Rausch, das kann der Einstieg in die Sucht sein. Denn viele Spieler versuchen die Erfahrung zu wiederholen, in dem sie es immer wieder neu versuchen, mit immer wieder neuen Spieleinsätzen.

Rund um die Uhr verfügbar

Ein weiteres Risiko, der Glücksspielsucht zu verfallen, ist die ständige Verfügbarkeit von Angeboten. Noch nie war sie so groß. Kneipen und Spielhallen haben Schließzeiten. Das Netz nicht. "Online können Sie überall zocken, jederzeit, während der Arbeitszeit am Arbeitsplatz, zu Hause, in der Schule, in der Badewanne, am Flughafen oder in Raststätten", erklärt Glücksspielforscher Tobias Hayer. Hinzu kommt: Wer online spielt, spielt anonym, ohne soziale Kontrolle. In einer Gaststätte oder Spielhalle fällt es eventuell auf, wenn jemand am Automaten verzweifelt, an mehreren Geräten gleichzeitig spielt oder andere Spieler um Geld anpumpt, weil das eigene weg ist.

Stichwort Geld: Wer online spielt, verliert auch schneller das Gefühl für den echten Geldwert. Psychologisch gesehen sei es etwas anderes, immer wieder einen Geldschein aus dem Portemonnaie zu holen, als die Bezahlung über ein paar Mausklicks zu erledigen, sagt Tobias Hayer. "Die Belastung der Kreditkarte, auch im Sekundentakt, mit zwei Mausklicks, verschleiert den echten Geldwert, und Sie verlieren viel schneller den Überblick über Ihre gesamten Einsätze und Verluste."

Nicht jedes Glücksspiel macht gleich süchtig

Glücksspiel ist nicht gleich Glücksspiel. Nicht alle Spiele machen gleich abhängig. Es ist ein großer Unterschied, ob jemand Lotto spielt oder vor einem Spielautomaten sitzt, sagt Glücksspielforscher Tilman Becker. "Lotto ist relativ unattraktiv für einen pathologischen Spieler, da muss ich Kreuze machen, dann muss ich lange warten, weiß nicht ob ich gewonnen habe und wenn ich gewonnen habe, dann kann ich das Geld erst nach ein paar Tagen kriegen."

Entscheidend für den Suchtfaktor sei jedoch die Frequenz. Je schneller ein Spiel ist, um so süchtiger macht es. Bei Geldspielautomaten liegt die Frequenz häufig bei fünf Sekunden. "Da schießt der Adrenalinspiegel hoch, Dopamin wird ausgeschüttet, dann geht es wieder runter, da tut sich sehr schnell etwas", erklärt Tilman Becker. Noch schneller geht es bei Online-Glückspielen, die fast im Sekundentakt Gewinne und Verluste anbieten, mit den entsprechenden Emotionen.

Auch die Persönlichkeitsstruktur ist entscheidend

Ein weiterer Risikofaktor ist die Persönlichkeit des Spielers. Vor allem Menschen, die eine belastete Kindheit und insgesamt eine tendenziell problematische Biografie haben, sind eher anfällig. Sie nutzen das Spiel um mit Stress, schwierigen Emotionen oder Konflikten umzugehen. Gefährdet sind auch die sogenannten antisozial-impulsiven Menschen, erklärt Larissa Schwarzkopf vom Münchner Institut für Therapieforschung: "Das sind Personen, die gewisse neurobiologische Voraussetzungen haben, sie brauchen mehr Kick, um sich zufrieden zu fühlen. Gleichzeitig haben sie eine andere Stresstoleranz."

Welche Hilfsmittel gibt es für Betroffene?

Mittlerweile gibt es einige offizielle Spielerschutzmaßnahmen wie zum Beispiel das Spielerschutzsystem OASIS. Hier können sich Spieler, die sich für gefährdet halten, selbst sperren, spielform- und anbieterübergreifend. Um die 220.000 Bürger und Bürgerinnen haben sich bereits dort gelistet. Darüber hinaus sind Glücksspielanbieter dazu verpflichtet, Spieler zu sperren, wenn der Verdacht auf Kontrollverlust beim Spielverhalten besteht. Doch die Anzahl der Fremdsperren sei verschwindend gering, sagt Tobias Hayer. "Und das lässt sich auch erklären. Stichwort: Interessenkonflikte."

Die Möglichkeit, sich selbst zu sperren, sei ein Fortschritt; dennoch diene diese Schutzmaßnahme nicht als Allheilmittel für Betroffene, sagt Glücksspielforscher Tobias Hayer. Für diese gilt: Je früher sie sich helfen lassen, desto besser. Hilfe bieten sowohl die klassischen ambulanten Suchtberatungsstellen als auch digitale oder telefonische Help-Lines. Wichtig für die Betroffenen, aber auch für die Angehörigen, sei es zu verstehen, dass es sich bei der Glücksspielsucht um eine psychische Krankheit handelt und nicht um eine moralische Schwäche oder ein Persönlichkeitsdefizit. Erst dann lässt sich diese Krankheit auch behandeln.

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