Große Düsen der Klimaanlage im Khalifa International Stadion in Doha, Katar
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Klimaanlage im Khalifa International Stadion in Doha, Katar

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#Faktenfuchs: Ja, WM-Stadien in Katar werden klimatisiert

Auf Twitter verbreiten sich aktuell Fotos, die Kühldüsen in einem Stadion in Katar zeigen sollen. Die Bilder stammen tatsächlich von dort. Doch die im User-Kommentar damit verbundene Schlussfolgerung ist irreführend.

Darum geht’s:

  • Die Fotos auf Twitter mit den Kühldüsen stammen aus einem WM-Stadion in Katar.
  • Die Kühlungstechnologie basiert angeblich ausschließlich auf Solarenergie.
  • Katar investiert vor der Fußball-WM massiv in Solarstrom.

Behauptung: Riesige Kühldüsen sollen die Stadien in Katar kühlen

In einem Post auf Twitter wird behauptet, dass riesige Düsen die Stadien für die FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft, die in diesem Jahr vom 20. November bis zum 18. Dezember stattfindet, abkühlen sollen. Im Kommentar zum Bild wird durch die Verbindung der zwei Sätze "Das sind die Klimaanlagen in den WM Stadien in Katar" und "Bitte vergesst nicht, daheim das Licht abzuschalten und überhaupt Strom zu sparen" der Eindruck erweckt, dass während wir in Deutschland Energie sparen müssen, diese in Katar für die Kühlung von Stadien während der Fußball-Weltmeisterschaft verschwendet werde.

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Ein Tweet zeigt Bilder eines WM-Stadions in Katar

Fotos zeigen tatsächlich ein WM-Stadion in Katar

Die Recherche des #Faktenfuchs anhand von Foto-Rückwärtssuchen belegt: Die Fotos zeigen das Khalifa International Stadion in der katarischen Hauptstadt Doha. Es ist eines von insgesamt acht Stadien, in denen während der Fußball-Weltmeisterschaft der FIFA Ende 2022 die Wettkämpfe stattfinden sollen. Die Bilder stammen vom freien Fotografen Karim Jaafar, der sie laut eigenen Angaben am 18. Mai 2017 im Khalifa International Stadion aufgenommen und sie noch am selben Tag auf der Plattform Getty Images hochgeladen hat.

Die Fotos zeigen große graue Düsen aus unterschiedlichen Perspektiven, die direkt entlang der Tribünen unterhalb der Sitzplätze angebracht sind. Diese Düsen sind Teil eines Kühlsystems, das während den Veranstaltungen das Spielfeld und die Zuschauertribünen abkühlen soll. Und zwar im Sommer von Temperaturen bis zu 48°C bzw. im Winter von bis zu 40°C auf einen Bereich zwischen 19°C und 23°C. Diese Kühlsysteme sind nach Angaben eines Artikels (Stand 18.10.2021) auf der offiziellen Internetseite der WM in Katar in sieben von acht WM-Stadien installiert, unter anderem eben im Khalifa International Stadion in Doha. Die Kühlsysteme seien sich ähnlich und daher vergleichbar, sie werden aber jeweils an die Form des Stadions oder die Außentemperatur angepasst, heißt es in dem Text.

Technologie ist angeblich energiesparend - so funktioniert sie

Saud Abdul Ghanie ist Professor am College of Engineering an der Universität in Katar und als leitender Ingenieur seit dem Jahr 2009 für die Entwicklung und Betreuung dieser Kühltechnologien in den WM-Stadien verantwortlich. Abdul Ghanie erklärt in einem Interview mit dem US-amerikanischen Fernsehsender CNN (Artikel mit Stand 21.11.2019) und in einem Imagevideo (vom 18.10.2021) auf der offiziellen Seite der WM in Katar, wie das Kühlsystem in den katarischen Stadien konkret funktioniert.

Im Stadion werde demnach die heiße Außenluft durch ein Gebläse abgekühlt. Die gekühlte Luft gelange anschließend durch die auf den Fotos gezeigten großen Düsen auf das Spielfeld und einige Sitzplätze im Stadion.

Durch die Düsen werde aber nur eine zwei Meter hohe Luftschicht über dem Boden, also Spielfeld und Zuschauerränge, klimatisiert. Abdul Ghanie erläutert, wie die anderen Zuschauerplätze im Stadion mit gekühlter Luft versorgt werden: Aus Luftgittern unter den Sitzplätzen tritt kühle Luft aus. Diese Luft wird dann wieder eingesaugt, erneut gekühlt und gefiltert und zurück ins Stadion geblasen. Dieser Vorgang wiederhole sich immer wieder. Es werde nicht das gesamte Stadion, sondern nur das Spielfeld und die Sitzplätze gekühlt.

Außerdem müsse die Anlage nur wenige Stunden vor und nur bis zum Ende des Spiels in Betrieb sein, so Abdul Ghanie. Grundsätzlich sei die Technologie nicht neu, sondern werde bereits für die Kühlung von Einkaufsstraßen im Freien oder in der Landwirtschaft, beispielsweise in Gewächshäusern, eingesetzt. Die Kühlungstechnologie soll nach Informationen einer Präsentation auf der offiziellen WM-Seite auch nach der Fußball-Weltmeisterschaft weiterhin zum Einsatz kommen.

Ein mögliches technisches Detail wird von den Entwicklern nicht erwähnt

Robert Schießl vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) geht auf #Faktenfuchs-Nachfrage davon aus, dass die Technologie nicht nur die Luft kühlt, sondern auch entfeuchtet. Ein Aspekt, der im Imagevideo oder auf einer offiziellen WM-Seite, wo diese Technologie erklärt wird, nicht erwähnt wird. "Wahrscheinlich wird man entfeuchten müssen, um Nebelbildung durch das Kühlen zu verhindern", schreibt Schießl.

Da die Luftfeuchtigkeit im November bzw. Dezember in Katar meist um 60 % liege und die Menschen im Stadion zusätzlich Feuchtigkeit an die Luft abgeben würden, komme man um das Entfeuchten wohl nicht herum, so Schießl. Bei der gleichen Temperaturdifferenz müsse für die Kombination Kühlung und Entfeuchtung der Luft mehr Energie entzogen werden als nur für die Kühlung alleine.

Ob und in welchem Umfang eine Entfeuchtung notwendig sei, hänge aber von den genauen Bedingungen bei den einzelnen WM-Spielen ab und auch davon, auf welche Temperatur die Luft herabgekühlt werden soll.

Laut Schießl kann das Verfahren, die Kühlung in den WM-Stadien auf eine bodennahe Luftschicht zu begrenzen, durchaus funktionieren. Die gekühlte bodennahe Luftschicht würde wegen ihrer größeren Dichte am Boden bleiben, während die wärmere, weniger dichte Außenluft quasi auf diesem kühlen Luftkissen liege. Sollte es aber zu starken Luftverwirbelungen kommen, beispielsweise durch Wind im offenen Stadion, könnten kalte und warme Luft durchmischt werden. Das würde den Kühlbedarf steigern.

Energiewirtschaft in Deutschland ist mit der in Katar nicht vergleichbar

Der #Faktenfuchs hat Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt (ZEFAW) an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz um eine Einschätzung gebeten in Bezug auf die eingangs erwähnte Mutmaßung: Inwiefern wird in Katar Energie verschwendet, während Deutschland bemüht ist, diese einzusparen? Laut Meyer ist die Situation hinsichtlich der Energieversorgung in Deutschland und in Katar völlig unterschiedlich und daher verschieden zu bewerten: "Aufgrund der Energiekrise haben wir in Deutschland als Energieimporteur einen massiven Mangel an Energie und müssen diese deshalb einsparen." Katar habe hingegen einen riesigen Energieüberschuss durch eigene Öl- und große Erdgaslagerstätten. Hinzu käme, dass Katar mit einer durchschnittlichen Sonnenscheindauer von 9,4 Stunden pro Tag ein enormes, bisher weitgehend ungenutztes Potenzial an Solarenergie habe, dessen Nutzung vor allem aufgrund der anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft kräftig ausgebaut werde.

Den Vorwurf, der im Twitter-Beitrag entsteht, teilt Meyer nicht: "Warum soll ein solches Land mit extrem hohen Tagestemperaturen seine Überschüsse an billiger Energie nicht zur Kühlung der Stadien nutzen, um dort den Aufenthalt temperaturmäßig so erträglich zu gestalten, wie das die Spieler und Zuschauer in den gemäßigten Breiten gewohnt sind?" Meyer schreibt: Ohne diese Zusagen wäre Katar nicht zum Austragungsort für die Fußball-Weltmeisterschaft gewählt worden.

Auch für Dawud Ansari von der Stiftung Wissenschaft und Politik greift das Argument des Twitter-Users zu kurz. Wenn es beispielsweise um Gas als Energieressource gehe, dann werde für ihn nicht klar, was Deutschlands Energiekrise mit Katar zu tun habe. "Es gibt keine weltweite Gaskrise, sondern nur eine deutsche bzw. europäische, die wesentlich daher stammt, dass Deutschland sich über die letzten Jahre vehement geweigert hat, Flüssiggasterminals zu bauen, sodass aktuell schlicht alle Einfuhrmöglichkeiten in Europa ausgeschöpft sind", schreibt Ansari auf #Faktenfuchs-Anfrage.

Weltweit sei genug Gas vorhanden. Das Problem sei nur, dass es nicht nach Deutschland gelange. "Kühlungstechnologien auf der arabischen Halbinsel sind erstmal ähnlich essenziell wie Heizungen in Deutschland", so Ansari. Die Kühlung der katarischen Stadien ist laut Ansari im Kampf gegen den Klimawandel das kleinste Problem: "Im Vergleich zu den Emissionen, die beim WM-Stadienbau angefallen sind, sowie dem Verbrauch, der entsteht, um Zehntausende Fans und Spieler nach Katar zu jetten und dort in Hotels unterzubringen, ist die Kühlung der Stadien nun wirklich ein unbedeutender Punkt." Demnach müsse die Veranstaltung als Ganzes hinterfragt werden. "Sich nur auf die Kühlung zu konzentrieren, ist wirklich absurd", betont Ansari.

Katars WM-Stadien ausschließlich mit Solarenergie gekühlt?

Die Kühl-Technologie in den WM-Stadien soll nach Angaben von Abdul Ghanie, dem für die Kühlungsanlagen in den katarischen WM-Stadien zuständigen Ingenieur, ausschließlich durch Energie eines Solarparks in der Nähe von Doha betrieben werden. Jedoch werden auf der offiziellen WM-Seite und auch in den dort verlinkten offiziellen Dokumenten keine näheren Angaben zum Solarpark, dessen Leistung oder zum Energieverbrauch in den WM-Stadien gemacht.

Günter Meyer vom Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt vermutet, dass es sich dabei um den Solarpark in Al Kharsaah in Katar handeln könnte. Seine Einschätzungen decken sich mit den Informationen, die der französische Mineralölkonzern TotalEnergies Anfang 2022 auf seiner Internetseite veröffentlichte: Danach sei das Unternehmen - gemeinsam mit einem Konsortium - an der Entwicklung des Solarparks in Al Kharsaah beteiligt.

Geplant sei "das weltgrößte Solarkraftwerk", das nach Fertigstellung eine Größe von zehn Quadratkilometern haben werde, was einer Fläche von 1.400 Fußballfeldern entspreche. In der zweiten Jahreshälfte 2022 solle es voll in Betrieb gehen. Dieser Zeitplan lässt offen, ob die Kühlanlagen in den WM-Stadien bereits jetzt oder zum Zeitpunkt der WM ausschließlich durch den Solarpark energetisch versorgt werden. Auch, weil TotalEnergies noch in einem Artikel vom 8. Juli 2022 davon spricht, dass der Solarpark in Al Kharsaah im Verlauf des Jahres an das katarische Stromnetz gehen soll.

Katar investiert vor der Fußball-WM "massiv" in Solarenergie

Nach Unternehmensangaben des Mitentwicklers TotalEnergies sollen durch den Solarpark insgesamt rund 26 Millionen Tonnen CO₂ eingespart und zehn Prozent des Stromspitzenbedarfs des Landes Katar gedeckt werden, also den höchsten Strombedarf, der während eines bestimmten Zeitraums im Land gemessen wird. "Es ist denkbar, dass dadurch tatsächlich der Energiebedarf für die Kühlung der Stadien gedeckt werden kann", schreibt Günter Meyer vom Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt auf Anfrage des #Faktenfuchs und ergänzt: "Allerdings sind mir, abgesehen von den pauschalen Behauptungen der Organisatoren, keine detaillierten Daten bekannt, die eindeutig belegen können, dass der Solarstrom tatsächlich in der Lage ist, den Energiebedarf für die Kühlung der Stadien bereitzustellen".

Für Meyer ist in den vergangenen Jahren aber eine klare Entwicklung Katars hin zu Erneuerbaren Energien zu beobachten: "Die Errichtung von Solaranlagen hat vor 15 Jahren in Katar begonnen. Sie hat allerdings vor 2020 nur einen sehr geringen Umfang erreicht und war weitgehend zu vernachlässigen. Seit 2020 erleben wir jedoch einen massiven Ausbau der Solartechnologie." Dabei handele es sich meistens um kleine lokale Projekte in Katar. Der Solarpark in Al Kharsaah sei bisher das einzige Großprojekt. Der Ausbau der Solarenergie soll nach Angaben von Meyer fortgesetzt werden und die Solarenergie bis 2030 einen Anteil von 20 Prozent an der Energieversorgung von Katar decken.

Fazit

Die Fotos, die sich auf Twitter verbreiten, zeigen eine Kühlanlage im Khalifa International Stadion - und damit tatsächlich eines der Stadien in Katar, in dem die Wettkämpfe zur FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft stattfinden werden. Doch der Eindruck, der durch einen User-Kommentar erweckt wird, ist irreführend. Es wird nicht zwingend Energie durch die Kühlung der Stadien verschwendet. Die Energiewirtschaft in Deutschland und die damit verbundene aktuelle Energiekrise ist nach der Ansicht von Experten nicht mit der von Katar vergleichbar.

Disclaimer 16.08.2022, 14:15h: Im Absatz über eine mögliche Entfeuchtung der Luft haben wir einige Formulierungen sprachlich präzisiert. Die inhaltliche Aussage wurde dadurch nicht verändert.

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