Eine Eine Luftaufnahme zeigt ein durch Erdbeben erschüttertes Haus im türkischen Kahramanmaras
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Ahmet Akpolat

Bei dem starken Erdbeben in der Türkei fielen Tausende Gebäude, die nicht erdbebensicher errichtete wurden, in sich zusammen.

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Puffer, Kissen, Gummilager: So bauen Architekten erdbebensicher

Durch die Erdbebenkatastrophe sind in der Türkei mehr als 50.000 Gebäude eingestürzt. In Syrien wurden über 7.000 Häuser komplett oder teilweise zerstört. Dabei hätten mit Verstärkungstechniken die Auswirkungen des Bebens abgemildert werden können.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Mehr als zwei Milliarden Menschen weltweit leben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Regionen mit erhöhtem Erdbebenrisiko. Das verheerende Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet hat gezeigt, dass viele Gebäude in erdbebengefährdeten Gebieten nicht stabil genug errichtet wurden, um den Erdstößen Widerstand zu leisten. Mehr als 40.000 Menschen starben bislang unter den Trümmern schlecht konstruierter Häuser. Dabei ist es möglich, mit relativ einfachen Mitteln Häuser so zu bauen, dass sie Erschütterungen besser widerstehen und dadurch unermessliches menschliches Leid zu vermeiden.

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Erdbebensicheres Bauen in Japan

In Japan wird seit über 40 Jahren nur noch erdbebensicher gebaut. Hier, wo vier Kontinentalplatten aufeinandertreffen, bebt die Erde rund 5.000 Mal im Jahr, kaum ein anderes Land ist so erdbebengefährdet. Architekt Florian Busch arbeitet schon seit vielen Jahren in Japan. Wenn in Tokio ältere Gebäude nachgerüstet werden, erklärt er, dann zunächst nach dem Prinzip "Viel hilft viel": Das bestehende Tragwerk wird verstärkt und auch das Fundament. Bei kleineren Gebäuden oder Holzhäusern werden diagonale Verstrebungen zwischen den Holzteilen verstärkt oder zusätzliche Verstrebungen einbaut, die wie eine Art Stoßdämpfer wirken, da sie sich bewegen können.

Bei den Dächern hingegen wird abgespeckt: Ziegeldächer werden durch leichtere Metalldächer ersetzt. Auch bei großen Gebäuden werden Wände verstärkt oder diagonale Strebepfeiler zusätzlich eingezogen. Das ist das Prinzip der seismischen Bauweise in Japan: Tragwerkstechnische Elemente werden etwas fester und dicker gebaut.

Puffer nehmen Erdstöße auf

Hinzu kommt, dass große Gebäude Erschütterungen nicht nur standhalten, sondern Erdstöße auch abpuffern sollen, vor allem Hochhäuser. Spezielle Stützen wirken hier wie Stoßdämpfer, die Schwingungen abfedern können. "Den Rest des Gebäudes kann ich dann wieder relativ normal dimensionieren. Dadurch kann man dann auch Kosten sparen", sagt Architekt Florian Busch.

Möglich ist es auch, eine seismische Isolierung in die Mitte eines Bauwerkes einzubauen. Diese puffert starke Kräfte ab und wird auch in schon bestehende Gebäude eingezogen, erklärt Busch. Ein komplettes Stockwerk wird auf diese Weise durch federnde Spezial-Stütz-Elemente ersetzt. Das funktioniert sogar bei laufendem Betrieb, oft können während des Umbaus die Stockwerke darüber oder darunter weiterer genutzt werden.

Schwingende Unterlage für Gebäude

Ähnliche Methoden verwendet auch Bauingenieur Norbert Gebbeken, Gründer des Forschungszentrums RISK (Risiko, Infrastruktur, Sicherheit und Konflikt). Der Professor für Baustatik und Leiter der Forschungsgruppe Bau-Protect an der Universität der Bundeswehr in München war unter anderem für die Errichtung der Bundeswehr-Unterkünfte in Afghanistan mitverantwortlich, in einem ebenfalls stark gefährdeten Erdbebengebiet.

Die Containermodule der Soldaten in Faizabad wandelte er mit seinem Team binnen einer Woche in erdbebensichere Unterkünfte um. "Wir haben zu dem Zweck die Container einfach an den Haken genommen, hochgehoben, Erdbebenlager untergelegt und dann wieder abgesetzt", erklärt Norbert Gebbeken. Die schwingende Unterlage für die Soldatenwohnungen und -büros bestand aus Federkissen, kombiniert mit Gummilagern - eine Konstruktion, die in ähnlicher Weise auch beim Brückenbau zum Einsatz kommt.

Surfen auf Erdbebenwellen

Dasselbe Prinzip lässt sich auch bei großen Gebäuden anwenden. Nur werden diese dann nicht hochgehoben, sondern untertunnelt. "Das bestehende Gebäude wird untergraben und die seismische Isolierung dann darunter eingebaut", erklärt Architekt Florian Busch. Diese lässt das ganze Gebäude auf dem Fundament schwimmen. Wenn die Wellen des Erdbebens angerast kommen, kann die größte Wucht unter dem Gebäude durchlaufen, das Bauwerk selbst die Wellen absurfen und es gerät nur etwas ins Schwanken.

Auch historische, denkmalgeschützte Gebäude werden so nachgerüstet - in Japan genauso wie in Kalifornien, erklärt Baustatiker Nobert Gebbeken. So sei das Rathaus von San Francisco, das im Wesentlichen aus Mauerwerk besteht, nachträglich mit Stahlbeton verstärkt worden. Zusätzlich wurde das Gebäude aber auch auf ein Erdbebenlager gestellt. "Auf diese Weise ist das Gebäude in der Lage, anderthalb Meter hin und her zu schwingen. Man kann das nachträglich machen, es kostet aber viel Geld", so der Münchner Professor.

Erdbebensicher bauen mit Ton und Jute

Aufgrund der hohen Kosten lohnt sich eine solche Vorgehensweise bei Gebäuden, die man nicht mit sichtbaren Stahlträgern an der Außenfassade verschandeln möchte. Doch lassen sich Häuser auch kostengünstiger nachträglich stabilisieren - etwa in Ländern, in denen nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen wie in Bangladesch.

"Hier haben wir vor einigen Jahren gezeigt, dass man auch mit Ton erdbebensicher bauen kann, wenn man ihn mit Jutesäcken verstärkt", erklärt Nobert Gebbeken. "Und auch Holz ist für das erdbebensichere Bauen besonders geeignet, weil es eine hohe Flexibilität aufweist und regional verfügbar ist. Es muss also nicht teuer sein."

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