Eine  Krankenpflegerin läuft auf der Corona-Station hinter einer Scheibe an der ein Achtungssymbol mit einem stilisierten Cornavirus angebracht ist vorbei.
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Wie viele Corona-Infektionen verträgt Deutschland? Noch ist das Gesundheitssystem nicht in Gefahr.

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Coronavirus: Wie viele Infektionen verträgt Deutschland?

Kontinuierlich steigt in Deutschland die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus an. Experten sehen mit Sorge, dass sich das Virus zunehmend in der Fläche ausbreitet. Wie lange hält das Gesundheitssystem das auf Dauer aus?

Lange schien die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland unter Kontrolle: Schulen werden wieder geöffnet, selbst Urlaube im Ausland sind wieder möglich. Von Hotspots ist im August kaum noch die Rede. Doch ein anderer Trend bereitet Wissenschaftlern Sorge: Langsam breitet sich das Virus in der Fläche aus - und die Zahl der Neuinfektionen steigt. Wann ist der Punkt erreicht, an dem das System des Testens und Verfolgens von Corona-Infektionen nicht mehr beherrschbar ist?

Steigende Infektionszahlen besonders in der Fläche

Die Zahl der Landkreise, die in den vergangenen sieben Tagen keine neuen Covid-19-Fälle meldeten, lag Mitte Juli noch bei 125. Im August sind es nach RKI-Angaben nur noch rund 20 Kreise. Aufgrund von Urlaubsreisen kommt es zu einer Verteilung des Virus im ganzen Land. Das kann zur Folge haben, dass in vielen Gemeinden und Landkreisen viele Menschen gleichzeitig in Quarantäne müssten.

Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten zuletzt 1.576 Neuinfektionen binnen eines Tages, wie das RKI am 26. August mitteilte. Am 20. August meldete das RKI mit 1.707 Fällen den höchsten Wert seit Ende April. Von dem bisherigen Höhepunkt mit mehr als 6.000 täglichen Neuansteckungen zwischen Ende März und Anfang April ist dieser aber noch entfernt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die ansteigenden Corona-Fallzahlen zuletzt als besorgniserregend, aber noch beherrschbar. Sie und die Ministerpräsidenten der Länder wollen am Donnerstag, 27. August 2020 über das weitere Vorgehen beraten.

Testen und Verfolgen: die Hauptaufgabe der Gesundheitsämter

Eines der wichtigsten Mittel, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, ist die Testung und die schnelle Kontaktnachverfolgung, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Die Gesundheitsämter nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. Steigende Infektionszahlen und die Testungen der Reiserückkehrer sorgten zuletzt bereits für ein stärkeres Arbeitsaufkommen in den Ämtern.

Noch liegt das Arbeitsaufkommen nicht auf dem Niveau von März oder April. Das Problem sei aber nach wie vor die Personalsituation. Hilfskräfte etwa aus der Verwaltung sind inzwischen meist an ihre eigentlichen Arbeitsorte zurückgekehrt. "Wenn die Zahlen wieder ansteigen, brauchen die Gesundheitsämter daher wieder mehr Personal, die bei der Verfolgung der Infektionsketten helfen", sagte Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD), Anfang August gegenüber der dpa.

Wann ist der Punkt erreicht, an dem das System kippt?

Denn eines soll möglichst verhindert werden: Dass die Zahl der Neuinfektionen die Kapazität der Gesundheitsämter übersteigt. Das wird von Wissenschaftlern als der Kipppunkt im System gesehen. "Wenn dieser Kipppunkt eintritt, dann läuft das Wachstum der Fallzahlen noch schneller ab und das Virus lässt sich noch schwieriger wieder einfangen", erklärt Viola Priesemann, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Die Nachverfolgung sei dann nicht mehr so effektiv wie vorher.

Dieser Kipppunkt ist aber noch nicht erreicht, da es noch keinen explosionsartigen Anstieg der Corona-Neuinfektionen gibt. Außerdem gäbe es nicht "die eine Zahl von Neuinfektionen, ab der die Kontakte nicht mehr nachverfolgt werden können", erklärt Priesemann. Für die Forscherin hängt neben der Kapazität der Gesundheitsämter die weitere Entwicklung auch vom Verhalten jedes Einzelnen ab: „Wenn man Symptome hat, bleibt man zuhause. Und wenn man dann tatsächlich positiv getestet wurde, kann man eventuell auch selbst die Freunde und Bekannten, mit denen man Kontakt hatte, informieren.“

Bislang keine Überlastung der Intensivstationen

Auch auf den Intensivstationen haben die steigenden Corona-Fallzahlen noch nicht zu einem erheblichen Anstieg bei der Auslastung geführt. Die Kliniken seien von einer "bedrohlichen Situation" noch weit entfernt, sagt der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Uwe Janssens.

Ein Grund sei, dass sich zurzeit vor allem jüngere Menschen mit dem Virus anstecken, die weniger schwer an Covid-19 erkrankten. Außerdem vergingen nach einer Infektion in der Regel 13 bis 14 Tage bis ein Schwerkranker auf einer Intensivstation lande. „Bis wir den Anstieg der aktuellen Corona-Fälle auf den Intensivstationen zu spüren bekommen, dauert es daher noch etwa ein bis zwei Wochen“, so Janssens.

Das "Intensivregister" der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Nofallmedizin (DIVI) hilft dabei, Intensivpatienten besser zu verteilen. Eine Karte zeigt, wie stark ausgelastet die Intensivstationen im Moment sind.

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