Wirecard
Bildrechte: BR

Wirecard

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Wirecard-Prozess: Ein Konzern außer Kontrolle?

War Wirecard auch für interne Mitarbeiter kaum zu kontrollieren? Diesen Schluss legen die Schilderung des heutigen Zeugen im Wirecard-Prozess nahe. Gunnar B. schilderte, wie er bei dem Zahlungsdienstleister wiederholt auf Widerstände gestoßen ist.

"Schwierig" – diesen Begriff verwendet Gunnar B. in den mehr als vier Stunden seiner Vernehmung durch Markus Födisch immer wieder. Der Vorsitzende Richter im Wirecard-Prozess gegen Markus Braun und zwei weitere Angeklagte will sich bei der Befragung des Zeugen ein möglichst umfassendes Bild verschaffen über die Risikomanagement-Prozesse bei dem Aschheimer Zahlungsdienstleister. Den kennt B. gut, seit 2007 arbeitet er bei Wirecard. Ab 2013 ist er im Bereich Risikomanagement der Wirecard Bank tätig und damit im Organigramm relativ weit oben angesiedelt.

Födisch dringt bei seiner Befragung schnell ins Epizentrum des Wirecard-Skandals vor: Der Konzern war im Juni 2020 kollabiert, weil 1,9 Milliarden Euro, die für den Konzern auf philippinischen Treuhandkonten liegen sollten, nicht da waren. Ob dieses Geld und das ihm zugrunde liegende Geschäft mit sogenannten Drittpartnern jemals existiert haben, ist bis heute umstritten. Die Summe soll zuvor auf einem Konto der OCBC-Bank in Singapur gelegen haben.

"War das ein Problem, dass es eine ausländische Bank war?", will Richter Markus Födisch von dem Zeugen wissen. Seine Antwort: "Ja. Die Abhilfemaßnahme wäre gewesen, das auf mehrere Banken zu verteilen", so der Zeuge B. Darüber habe er auch mit dem damaligen Wirecard-Finanz-Vorstand Alexander von Knoop gesprochen. "Ist dann etwas passiert?", hakt Födisch nach. Die Antwort: "Nein, meines Wissens nach nicht. Ich weiß nicht, warum."

Risikomanagement von Treuhänder-Wechsel überrascht

Überrascht worden seien er und seine Abteilung zudem davon, dass der Treuhänder für die Wirecard zustehenden 1,9 Milliarden Euro gewechselt worden sei. 2019 hatte der philippinische Anwalt Mark Tolentino die Verwahrung des angeblich vorhandenen Geldes auf Konten bei zwei Banken übernommen. Davon habe das Risikomanagement "ex post" erfahren: "Das ist natürlich etwas unschön, das Verfahren. Wir haben keine Informationen über den neuen Treuhänder bekommen", so Zeuge B., und wieder hakt Richter Markus Födisch nach: "Hat man Ihnen gesagt, wer die neuen Treuhänder sind?" Die Antwort des Zeugen: "Wir haben noch eine Prüfung der Bank angestoßen, ich bin mir aber nicht sicher, was da rausgekommen ist."

Keinen Zweifel lässt B. daran, dass das Risikomanagement des Konzerns mit seinen mehr als 50 Tochtergesellschaften auch personell unzureichend aufgestellt gewesen sei: "Die Idee war, dass wir an jedem Ort dieser Gesellschaften einen Ansprechpartner haben.

Das für Singapur durchzusetzen, war schon relativ schwierig und dauerte lange", betont B. In seinem Bereich waren es nach seiner Schilderung vier Personen, die von Aschheim aus für den Bereich Risikomanagement gearbeitet haben, sowie ein Mitarbeiter in dem asiatischen Stadtstaat, dem Sitz von Wirecard-Gesellschaften und dem Drittpartner Senjo. "Wenn Sie fragen, entsprach das ihrem Anspruch: Nein, natürlich nicht." Letztendlich richte sich das Risikomanagement in einem Konzern nach dem Bedarf des Vorstandes: "Unsere Aufgabe ist es, den Vorstand über Risiken zu informieren. Wenn der Vorstand meint, wir sollen da nicht hinsehen, dann kucken wir da nicht rein."

Braun-Verteidiger betont weiter Brauns Unschuld

Das Schlusswort des heutigen Prozesstages hat dann Braun-Verteidiger Alfred Dierlamm. In einer verlesenen Erklärung betonte er abermals die Unschuld seines Mandanten. Er bezog sich dabei auf die Aussage des Ex-Aufsichtsratschefs Thomas Eichelmann vor gut zwei Wochen. Der hatte unter anderem ausgesagt, dass alle Verträge der Wirecard-Vorstandsmitglieder Ende 2020 ausgelaufen wären. Braun habe man wohl ein neuer Vertrag angeboten, sein Vorstandskollege Jan Marsalek hätte aus dem Vorstand ausscheiden sollen. Nach Dierlamms Überzeugung wäre der Betrug bei Wirecard spätestens dann aufgeflogen.

"Und in dieser Situation kauft Herr Dr. Braun noch auf Kredit Aktien und beleiht seine Privatimmobilien, mit der Folge, dass er infolge des Zusammenbruchs des Unternehmens mit seinem gesamten Wirecard-Portfolio und seinen Immobilien, in denen Frau und Kind lebten, untergeht. Eine abwegige Geschichte", so Dierlamm. Braun, der ehemalige Wirecard-Statthalter in Dubai, Oliver Bellenhaus, und der frühere Chef-Buchprüfer Stephan von Erffa müssen sich seit Dezember vergangenen Jahres wegen ihrer Rolle beim Zusammenbruch des Wirecard-Konzerns vor dem Landgericht München unter anderem wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation verantworten.

Philippinischer Grenzbeamter wegen gefälschter Einreisepapiere verurteilt

Ihr früherer Vorstandskollegen Jan Marsalek ist nach wie vor untergetaucht. Er hat sich am 19. Juni 2020 mutmaßlich über Minsk nach Russland abgesetzt. Vertrauten hatte er zuvor gesagt, auf den Philippinen persönlich nach den verschwundenen 1,9 Milliarden Euro zu suchen. Ein philippinischer Grenzbeamter, der mit der Fälschung von Einreisepapieren die Ankunft des Ex-Wirecard-Managers dort vorgetäuscht haben soll, ist heute von einem philippinischen Gericht verurteilt worden - zu einer Haftstrafe in Höhe von maximal neun Jahren.

Video: Wie Wirecard Firmen ruinierte

Wirecard
Bildrechte: BR
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Wirecard

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!