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Mit dem Digital Services Act will die EU die großen Internet-Konzerne stärker regulieren und die Rechte der Nutzer stärken.

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Wie sich die Debattenkultur auf Twitter ändern könnte

Elon Musk übernimmt Twitter - und will dort ungehinderte Meinungsfreiheit gewährleisten. Auf anderen "Free-Speech"-Plattformen ist Hass allgegenwärtig. Das könnte nun auch Twitter drohen. Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Seit Montagabend ist es ein gutes Stück wahrscheinlicher geworden, dass Elon Musk Twitter übernimmt, der Vorstand hat seinen Widerstand gegen die Übernahme aufgegeben. Twitter ist bei weitem nicht das größte soziale Netzwerk der Welt. Aber Twitter ist einer der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Debattenräume der Welt. Schon jetzt ist das Diskussionsklima dort oft sehr rau. Es kursieren viele Falschnachrichten, auch Desinformation und Hassrede sind verbreitet. Das ist zwar besser geworden, seit Twitter seine Moderationsrichtlinien verschärft hat, aber immer noch ein Problem.

Grenzenlose Redefreiheit führt zu mehr Hass

Über Moderationsentscheidungen - die auch von Algorithmen getroffen werden - kann man immer streiten. Was passiert, wenn gar nicht mehr moderiert wird, zeigen Plattformen, die sich als Hort der freien Meinungsäußerung bezeichnen: Doch auf Gettr, Gab oder Parler sind häufig rechte Hetze, Antisemitismus und Corona-Leugnung anzutreffen. Oder wie es das Social Media Watchblog formuliert:

"Selbsterklärte Free-Speech-Plattformen wie Gab, Parler, Gettr oder der Trump-Flop Truth Social zeigen, wohin das führt: Grenzenlose Redefreiheit endet fast immer in grenzenlosem Hass." Social Media Watchblog

Eine breite Masse an Nutzern erreicht man damit nicht, es handelt sich um Nischennetzwerke.

Wenn nun auf Twitter bald so gut wie alles gesagt werden darf - wie sich das der als libertär geltende Elon Musk wünscht - wird das mit ziemlicher Sicherheit zu einer Radikalisierung der Plattform führen. Schon jetzt freuen sich einige deutsche Twitter-Accounts, die oft extreme Meinungen vertreten, über die Aussicht auf uneingeschränkte Meinungsfreiheit.

Weniger Hass = mehr sachliche Debatte

Doch wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Nutzer Plattformen verlassen, wenn dort Hass und Anfeindungen zunehmen. Umgekehrt gilt auch: Wenn Hate Speech entfernt wird, ermuntert das zu mehr sachlicher Debatte. Das ist auch eines der Anliegen des Digital Services Act, auf den sich die EU am Samstag geeinigt hat.

Elon Musk schrieb am Dienstag auf Twitter, er hoffe, dass auch seine schlimmsten Kritiker auf Twitter bleiben würden, denn genau das sei die Bedeutung der Meinungsfreiheit.

Doch in der Vergangenheit war der Tesla-Chef ziemlich dünnhäutig, wenn er kritisiert wurde. Kritiker beleidigt er manchmal öffentlich, Mitarbeiter seiner Firmen müssen Verschwiegenheitsvereinbarungen unterschreiben und sich verpflichten, Musk nicht zu verklagen. Als kürzlich die neue Tesla-Fabrik in Brandenburg eröffnet wurde, waren keine Journalisten des ZDF dabei. Der Fernsehsender erklärte, von Tesla nicht zur Fabrikeröffnung zugelassen worden zu sein und führt das auf frühere kritische Berichterstattung zurück, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Musk wäre niemandem Rechenschaft schuldig

Auch in demokratischer Hinsicht ist die Twitter-Übernahme durch Elon Musk mit Vorsicht zu genießen. Denn sie würde dem reichsten Mann der Welt sehr viel Meinungsmacht verleihen. Bei Facebook hat Mark Zuckerberg enormen Einfluss auf das, was dort gesagt werden darf und was nicht. Aber die Facebook-Mutter Meta ist eine Aktiengesellschaft. Zuckerberg ist den Aktionären Rechenschaft schuldig. Elon Musk will Twitter dagegen von der Börse nehmen und privatisieren. Dann könnte er schalten und walten, wie er will und müsste sich vor niemandem rechtfertigen.

Wer schreibt die Regeln: Ein einzelner oder die Gesellschaft?

Die Regeln, was eine faire Debatte ausmacht, sollte nicht ein reicher Unternehmer machen dürfen, sie sollten in einem demokratischen Prozess ausgehandelt werden, findet Markus Beckedahl, langjähriger Chefredakteur des Fachblogs Netzpolitik.org: "Wir als Gesellschaft müssen die Regeln für große Plattformen vorgeben und dürfen das und ihre Durchsetzung nicht Menschen überlassen, die eine gestörte Vorstellung von Meinungsfreiheit haben und damit vor allem immer nur die eigene meinen."

Beckedahl hofft hier auf das geplante Digitale-Dienste-Gesetz der EU. Bis das in Kraft tritt, wird es noch mehr als ein Jahr dauern. Ein Jahr, in dem Elon Musk freie Hand hätte. Doch dann würde das Gesetz auch für ein von ihm beherrschtes Twitter gelten und einen Hebel gegen Hassrede liefern - zumindest in der Europäischen Union.

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