Logo des Unternehmens Unity
Bildrechte: Unity

Die neue Preispolitik von Unity versetzt Games-Entwickler in Aufruhr.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

"Unity"-Engine: Eine Gaming-Institution demontiert sich selbst

Unverständnis, Wut, schließlich sogar "glaubhafte Morddrohungen": Binnen einer Woche stürzt eine fragwürdige Business-Entscheidung des Unity-CEOs die halbe Gaming-Branche ins Chaos. Das sind die Hintergründe.

Über dieses Thema berichtet: PULS mit ... am .

Seit 2014 ist John Riccitello CEO von Unity. Im Jahr 2022 beschimpfte er die Entwickler von Videospielen mal als "verdammte Idioten", die nicht über eine Monetarisierung ihrer Games nachdenken würden, entließ 300 Angestellte und im Jahr darauf nochmal 600 weitere. Was Riccitello dann diese Woche verkünden ließ, bedroht die Existenz seiner Kunden und führte am Donnerstag sogar zu Morddrohungen – zwei Unity-Büros mussten vorübergehend geschlossen werden.

Am Ende sogar Morddrohungen

Der Reihe nach: Wer ein Videospiel entwickeln will, der kann das heute leichter als noch vor einigen Jahren. Grund dafür sind kommerzielle Videospiel-Engines. Das sind Pakete mit der Software, die es braucht, um das Verhalten und die Bewegungen von Figuren in einem Videospiel zu gestalten, die Regeln für die Spielwelt zu definieren und vor allem, um all das in einer ansehnlichen Grafik auf den Bildschirm zu bringen.

Game-Engines sind echte Game-Changer

Am bekanntesten davon sind die Unreal Engine (im Einsatz bei Spielen wie "Fortnite", "Mass Effect", "Bioshock") oder die Frostbite Engine ("FIFA", "Battlefield"). Und dann gibt es da noch Unity, eine Engine, die vor allem für kleinere sogenannte Indie-Games und rund 50 Prozent aller Mobile-Games genutzt wird. Die Software ist für Privatpersonen erstmal kostenlos, theoretisch kann sich damit jeder als Spieleentwickler ausprobieren.

Unity vor allem bei Indie-Entwicklern beliebt

Gegen den Entwickler von Unity, die einst in Dänemark gegründete und heute in den USA beheimatete Firma Unity Technologies, laufen viele Entwickler jetzt Sturm. Grund dafür ist, dass Unity sein Monetarisierungsmodell ändern will – also, wie das Unternehmen eigentlich Geld verdient.

Dies geschah bislang über Abo-Pläne, für die professionelle Entwickler und Studios jährlich pro Arbeitsplatz zwischen 1.800 und 4.550 Euro zahlen. Ebenso macht Unity mit einer Plattform Umsatz, die Werbung in Mobile-Games ausspielt, die mit Unity entwickelt werden. Zu den bekanntesten Unity-Games zählen "Among Us", "Pokémon Go" und "Rust".

Neues Monetarisierungsmodell ärgert Entwickler

Am Dienstag hat Unity einen radikalen Umbau angekündigt. Entwickler und Verleger von Games sollen ab bestimmten Grenzwerten eine Extragebühr namens Runtime Fee zahlen, wenn ihre Spiele installiert werden. Kleine Entwickler sollen ab einem Umsatz von 200.000 US-Dollar und 200.000 Installationen eines kommerziellen, mit Unity erstellten Videospiels innerhalb von 12 Monaten einen Pauschalbetrag pro Installation entrichten.

Entwickler zahlen, wenn ihr Spiel installiert wird

Als Schwellenwert für professionelle Entwickler gelten eine Million US-Dollar innerhalb von zwölf Monaten und eine Million Installationen seit Veröffentlichung des Produktes. Pro Installation eines Games durch einen Nutzer werden bis zu 20 US-Cent fällig, die dann monatlich an Unity gezahlt werden müssen.

Neue Bezahlregeln ab 2024 in Kraft

Die Ankündigung hat viele Entwickler überrumpelt, denn die neuen Regeln sollen bereits im Januar 2024 in Kraft treten. Wenn Nutzer ab diesem Zeitpunkt ein Spiel installieren, muss dafür die Gebühr geleistet werden. Das wird für Studios und Einzelentwickler nicht einkalkulierte Kosten bedeuten, die zu finanziellen Engpässen oder sogar zum Bankrott führen könnten. Insbesondere für Entwickler, die kleine und günstige Videospiele anbieten oder Free-2-Play-Titel, die sich über sogenannte Micropayments finanzieren.

Für kleine Entwickler nicht mehr finanzierbar

Ein anonymes Entwicklerstudio rechnet vor, dass Unity somit effektiv 108 Prozent ihrer Bruttoeinnahmen verlangt. Andere stellten Rechnungen auf, wonach Entwickler bis zur Hälfte ihrer Einnahmen an Unity abgeben müssten oder sogar mit jedem verkauften Videospiel einen Verlust machen – etwa, wenn sie Videospiele für unter einem Euro anbieten, Exemplare für einen guten Zweck spenden oder mit Rabatt bei einem Sale verkaufen.

Für Unsicherheit sorgt auch die Intransparenz dahingehend, was als Installation definiert wird und wie diese vom Unternehmen Unity eigentlich festgestellt werden soll: Kauft ein Spieler das Spiel und installiert es auf mehreren Geräten, muss dann für mehrere Installationen bezahlt werden? Was ist mit Raubkopien? Wie ist das bei Abo-Diensten wie Xbox Game Pass geregelt, bei denen Nutzer nicht für ein konkretes Spiel, sondern den monatlichen Zugriff auf einen ganzen Katalog an Spielen bezahlen?

Entwickler wechseln zur Konkurrenz

Zahlreiche Entwickler fordern beim Kurznachrichtendienst X den Unity-Konzern auf, die neuen Regeln fallen zu lassen oder zu überarbeiten. Andere verkündeten bereits, in Entwicklung befindliche Videospiele wohl auf eine alternative Engine wie Unreal oder Godot zu portieren – oder ihr Spiel direkt vom Markt zu nehmen. "An diesem Punkt wäre es für mich wohl günstiger, das Spiel zu verschieben, es komplett auf eine andere Engine zu portieren, statt es mit Unity auszuliefern", schreibt etwa Matt T. Wood, Entwickler von Little Kitty, Big City. Das Indie-Studio Moebial schreibt wiederum: "Tja, Mist. Ich schätze, das macht den Tag heute von einem 'Arbeiten wir an neuen Features'- zu einem 'Probiere neue Spiele-Engines aus'-Tag."

Der einst gute Ruf ist ruiniert

Zahlreiche Entwickler und Branchenexperten argumentieren, dass das Vertrauen in Unity und seine Dienste nachhaltig erschüttert ist – selbst wenn das Unternehmen die kontroverse Preisstrategie wieder zurücknähme. "Wenn du ein neues Videospielprojekt beginnst, nutze nicht Unity", warnt der Entwickler und Branchenveteran Brandon Sheffield in einer Kritik. "Wenn du ein Projekt vor vier Monaten begonnen hast, lohnt es sich, auf etwas anderes umzusteigen. Unity ist ganz einfach kein Unternehmen, dem man vertrauen kann." Vertrauen verspielt hat Unity offenbar auch unter der Belegschaft, wie der Tweet eines Angestellten zeigt.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!