Elon Musk und das Twitter-Logo
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Adrien Fillon

Vor sechs Monaten hat Elon Musk Twitter übernommen. Seitdem hat die Plattform sehr bewegten Zeiten erlebt.

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Twitter unter Elon Musk: Ein chaotisches halbes Jahr

Vor sechs Monaten übernahm Elon Musk Twitter. Die Zwischenbilanz: 80 Prozent des Personals sind entlassen, Hassrede wird kaum noch kontrolliert, Werbekunden suchen das Weite. Trotzdem spielt Twitter noch eine riesige Rolle. Noch – sagen Beobachter.

Über dieses Thema berichtet: Wirtschaft und Börse am .

Ende Oktober 2022 hat Musk nach einigem Hin und Her Twitter für stolze 44 Milliarden Dollar gekauft und sofort von der Börse genommen. Seitdem hat er die Plattform gehörig umgekrempelt und für viel Wirbel gesorgt. Eine Zwischenbilanz.

Das Personal: 80 Prozent der Twitter-Mitarbeitenden entlassen

Das Personal ist größtenteils entlassen worden. Vor der Übernahme haben weltweit rund 7.500 Menschen bei Twitter gearbeitet. Jetzt sollen es noch 1.500 sein. Ehemalige Mitarbeiter beklagen die Umstände der Entlassungen. Viele wurden einfach ohne Vorwarnung aus ihren Dienstprogrammen ausgeloggt. Eine Gruppe Ex-Mitarbeiter verklagt Twitter sogar. Die Kündigungsfristen, die der Bundesstaat Kalifornien vorschreibt, seien nicht eingehalten worden.

Die Redefreiheit: Toxische Inhalte haben zugenommen

Die Redefreiheit ist das große Thema von Elon Musk. Er sei um die Freedom of Speech bei Twitter besorgt gewesen, deshalb habe er die Plattform übernommen. Für ihn umfasst die freie Rede auch extreme Positionen. Tausende Accounts, die zuvor wegen Hassrede oder sonstigen Verstößen bei Twitter gebannt wurden, sind wieder online. Der prominenteste ist der von Donald Trump. Er hat seither allerdings noch nicht wieder getwittert.

Content-Moderation findet seit der Übernahme kaum noch statt, berichten ehemalige und aktuelle Mitarbeiter. Die Folge: Falschinformationen, Hassrede, antisemitische und extremistische Posts haben im letzten halben Jahr zugenommen, wie verschiedene Untersuchungen zeigen. In einem BBC-Interview hat Musk das allerdings bestritten. In Sachen Content-Moderation könnte es für Twitter in der EU ungemütlich werden: Ab dem 25. August ist Twitter durch das Digitale-Dienste-Gesetz der EU verpflichtet, gegen illegale Inhalte und Desinformation vorzugehen.

Die blauen Haken sagen nichts mehr aus

Der blaue Haken wurde ursprünglich eingeführt, um die Echtheit von Accounts zu markieren. Es sollte sofort klar sein: dieser Promi, diese Politikerin, dieses Medium, dieses Polizeipräsidium sind echt. Die Haken waren nicht käuflich.

Elon Musk hat aber auch hier Hand angelegt: Fast alle ursprünglich verliehenen Haken wurden kürzlich entfernt. Jeder kann jetzt einen haben und muss dafür bezahlen: Privatpersonen rund zehn Euro im Monat. Unternehmen bekommen ein goldenes Häkchen für monatlich rund 1.000 Euro. Das eigentliche Problem: Es wird nicht mehr zuverlässig überprüft, ob der Account tatsächlich echt ist. Es sind immer wieder Fake-Accounts aufgetaucht, die falsche Informationen verbreitet haben. Behörden, Ministerien oder Regierungsmitglieder werden mit einem grauen Häkchen gekennzeichnet, die nicht käuflich sind.

Twitter hat stark an Glaubwürdigkeit verloren

Nicht nur wegen der chaotischen Häkchen-Entscheidungen hat Twitter extrem an Glaubwürdigkeit verloren. Zwischenzeitlich wurden Accounts der BBC oder des US-Radionetzwerks NPR irreführenderweise als staatlich finanziert markiert. Diese Hinweise wurden mittlerweile komplett abgeschafft. NPR twittert seitdem nichts mehr, weil das Unternehmen seine Glaubwürdigkeit in Gefahr sieht.

Hinzu kommt das erratische Verhalten von Elon Musk als Twitter-Chef. Immer wieder kündigt er Maßnahmen an, überlegt es sich dann aber doch anders: So versprach er zuerst einen Content-Moderations-Rat einzuführen, später wollte er aber nichts mehr davon wissen.

Außerdem weiß man nie so genau, was Musk ernst meint und was nicht. Er ist immer wieder zu Späßen aufgelegt: Anfang April ersetzte er den blauen Vogel im Twitter-Logo durch einen gelben Hundekopf, der für die Kryptowährung Dogecoin steht. Nach einigen Tagen kehrte der Twitter-Vogel zurück. Zur Glaubwürdigkeit Twitters trägt das nicht bei.

Das Geld: Hohe Belastungen, sinkende Werbeeinnahmen

Unterstützt von Investoren hat Elon Musk 44 Milliarden Dollar für Twitter bezahlt. Das Unternehmen soll jetzt nur noch rund die Hälfte wert sein. Nach den Negativschlagzeilen haben große Firmen wie Volkswagen oder General Motors ihre Werbeausgaben bei Twitter pausiert. Twitter veröffentlicht keine offiziellen Zahlen mehr, und das Unternehmen ist nicht mehr an der Börse notiert. Die Werbeeinnahmen sind Marktbeobachtern zufolge aber stark zurückgegangen. Zusätzlich müssen Kredite bedient werden. Es drohen auch hohe Kosten durch diverse Gerichtsverfahren – auch weil Musk spart, wo er kann. Mietkosten für das Twitter-Hauptquartier und andere Rechnungen werden offenbar einfach nicht bezahlt.

Gleichzeitig läuft es nicht mit den Einnahmen, weil offenbar nur wenige für ihre Twitter-Häkchen bezahlen wollen. Prominenten wie dem Schriftsteller Stephen King oder dem Basketballer LeBron James wurde es unfreiwillig verliehen. Die wehren sich sogar dagegen, wollen nicht als mutmaßlich zahlende Unterstützer von Musk wahrgenommen werden.

Die Zukunft: Twitter - ein sinkendes Schiff?

Alternativplattformen wie Mastodon sind zwar gewachsen, im Vergleich zu Twitter aber immer noch relativ klein. Der große, von vielen befürchtete Knall blieb zwar bisher aus, noch immer ist Twitter als Medium, auf dem Nachrichten geteilt werden, relevant. Allerdings haben zuletzt einige Medien angekündigt, fürs Erste nichts mehr zu twittern.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Twitter eine Reihe von Problemen hat, wie diese Zwischenbilanz zeigt. Die Plattform steht aktuell ziemlich wackelig da. Beobachter vergleichen Twitter gelegentlich mit einem Schiff, das ganz langsam untergeht. Die spannende Frage ist: Bleibt Elon Musk als Kapitän an Bord - oder übergibt er das Ruder an jemanden anderen, wie er im Dezember angekündigt hat. Und: Würde ein neuer Steuermann den Tanker Twitter wieder in ruhigeres Gewässer steuern?

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