Es wird vor Geldstrafen gewarnt, falls private Drohne aufsteigen
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Flugverbot für Drohnen: Schild am Kreml

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"Wir sehen aus wie Clowns": Russland hadert mit Drohnen-Angriff

Nach dem Anflug von angeblich ukrainischen Drohnen auf die russische Regierungszentrale sind die Propagandisten hin und hergerissen zwischen Wut und Sarkasmus. Nicht nur Söldnerchef Prigoschin rät von einer massiven Vergeltung für "Kinderkram" ab.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die Experten vom amerikanischen Institute for the Study of War setzten bereits früh die Theorie in Umlauf, wonach Putin den angeblichen ukrainischen Angriff auf den Kreml selbst inszeniert hat, um die russische Bevölkerung aus ihrer Lethargie zu wecken. Es sei "extrem unwahrscheinlich", so die US-Fachleute, dass Drohnen unentdeckt bis ins Zentrum Moskaus fliegen könnten: "Die sofortige, in sich schlüssige und koordinierte Reaktion des Kremls auf den Vorfall legt nahe, dass der Angriff intern so vorbereitet wurde, dass seine beabsichtigten politischen Auswirkungen die damit entstandene Verlegenheit überwiegen. Der Kreml beschuldigte die Ukraine sofort, einen Terroranschlag verübt zu haben, und die russischen offiziellen Antworten schlossen sich schnell dieser Haltung an. Wäre der Drohnenangriff nicht intern inszeniert worden, wäre es ein Überraschungsereignis gewesen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die offizielle russische Reaktion dann anfangs viel chaotischer gewesen wäre."

"Es sieht demütigend aus"

Überraschend vorsichtig äußerte sich "Wagner"-Söldnerführer Prigoschin: "Als entschlossener Mensch kann ich sagen, dass der Einsatz von Atomwaffen als Antwort auf eine Drohne natürlich nicht in Frage kommt. Zunächst ist es notwendig, denjenigen auf die Folterbank zu spannen, der für den Kampf gegen Drohnen verantwortlich ist, und herauszufinden, wie das grundsätzlich geschehen konnte, und danach alle Anstrengungen zu unternehmen, um sicherzustellen, dass wir die führende Kraft in der Entwicklung von Drohnen-Technologien werden und mit genau denselben Mitteln reagieren können. Sonst sehen wir aus wie Clowns, die mit einer 'gewaltigen Bombe" nach Kinderkram drohen."

In russischen Netzwerken hieß es, die Drohnen seien so niedrig geflogen, dass sie von den wenigen nächtlichen Passanten zwar bemerkt worden seien, doch wegen der "Maiferien" habe es sehr lange gedauert, bis die Behörden zu der frühen Stunde nach zwei Uhr morgens darauf reagiert hätten. Ursprünglich hätten Beamte eine "Massenpsychose" vermutet, zumal neuerdings rund 200 vermeintliche Drohnen-Sichtungen täglich gemeldet würden, was als "Hysterie" gewertet worden sei.

Der russische Militärfachmann Kirill Michailow bezweifelte gegenüber dem im Ausland erscheinenden Portal "Holod", das Putin den "Drohnen-Angriff" insgeheim selbst in die Wege leitete. Sein Argument: Die russischen TV-Kanäle hätten keine Aufnahmen von dem Zwischenfall gesendet: "Es sieht demütigend aus, sich selbst auf die Kreml-Kuppel zu schießen." Im Übrigen habe der Kreml "zahnlos" reagiert.

"Irgendwie muss man reagieren"

Anders als die US-Fachleute meint Michailow, Putins Leute hätten zwölf Stunden Zeit gehabt, ihre Position abzusprechen: "Meiner Meinung nach sieht das nicht nach einem effektiven und durchdachten Schritt aus." Eine etwaige Vergeltung mit zielgenauen Raketen komme den Kreml teuer zu stehen, denn davon gebe es zu wenige. Außerdem destabilisiere der Vorfall eher den Teil der russischen Gesellschaft, der von Putin "Stabilität und Sicherheit" erwarte.

Das irritiert die Ultra-Patrioten natürlich nicht: Politologe Sergej Markow schäumte vor Wut, wie viele seiner Gesinnungsgenossen. "In Russland gibt es keine bewaffnete Opposition", schrieb er zum aufkeimenden Gerücht, Leute aus den eigenen Reihen könnten aus naher Distanz die Drohnen zum Kreml geschickt haben, zum Beispiel kriegsmüde Oligarchen. "Es wird Hunderte weitere Terroranschläge Washingtons gegen Russland geben, weil Russland nicht reagiert. Putin zögert zu antworten, um keinen Atomkrieg zu beginnen. Aber irgendwie muss man trotzdem antworten, sonst werden die Washington-Kiew-Angriffe gegen Russland immer ungezügelter."

"Das ist der Lackmus-Test"

Andere Nationalisten schimpften, der erste Angriff auf den Kreml seit 1942 sei nur ein besonders trickreicher "Zirkus" der Ukrainer, um Putin "mit dem Gerede über einen bevorstehenden Atomschlag unter Druck zu setzen". Immerhin verlangte der frühere Chef der russischen Raumfahrt-Agentur, Dmitri Rogosin, umgehend den Einsatz von "taktischen Atomwaffen", um die personelle Überlegenheit der Ukrainer auf dem Schlachtfeld auszugleichen und ein Ausrufezeichen zu setzen. Kriegsreporter Alexander Sladkow jammerte, er sei es leid, "auf der kurvenreichen Strecke zum russischen Sieg" weiter herum zu schlingern: "Das ist der Lackmus-Test unserer Bereitschaft zu einem echten Kampf ums Dasein."

Im rechtsextremistischen Portal "Tsargrad" wurde ironisch der Außenminister Alexander Gortschakow (1798 - 1883) zitiert, der in einer gespannten Phase der Untätigkeit mal gesagt haben soll: "Russland schweigt nicht, es konzentriert sich." Lieber würden die Russen allerdings "Zeichen dieser stillen Konzentration" wahrnehmen, so die Propagandisten, nämlich eine "systematische, entschlossene, harte und konsequente Reaktion" auf die Drohnen-Attacke.

"Hitler hat auch nicht unterzeichnet"

Geradezu realsatirisch wirkten die Stellungnahmen von Kreml-Sprecher Peskow, wonach Putin in "Extremsituationen" immer kühlen Kopf bewahre und seine Nervenstärke dadurch bewiesen habe, dass er am Tag nach dem Angriff im Kremlgebäude gearbeitet habe. Das passte nicht so recht zur Auskunft, wonach lediglich "zwei Kupferbleche" auf dem Dach der Kuppel des Senatsgebäudes gelitten hätten. Ob es sich lohne, die "Schäden" der Presse zu zeigen, müssten die Sicherheitsbehörden entscheiden, so Peskow. Die ukrainische Regierung hatte dementiert, irgendwie an dem Vorfall beteiligt gewesen zu sein.

Vergleichsweise gewitzt und fast schon mutig gab sich der Chefkolumnist der einflussreichen kremlnahen Zeitung "Moskowski Komsomolez", Michail Rostowski in seinem Leitartikel zu den jüngsten Ereignissen. Er verwies darauf, dass der wie üblich martialisch schnaubende Ex-Präsident Dmitri Medwedew verlangt hatte, den ukrainischen Präsidenten Selenskyj "physisch zu vernichten", denn er sei nicht mal nötig, die Kapitulationsurkunde zu unterschreiben. Medwedew hatte getönt: "Hitler hat auch nicht unterzeichnet, wie Sie wissen. Es wird immer eine Art Ersatz-Chef geben wie damals den Admiral Dönitz." Dazu meinte Rostowski ungewohnt trocken: "Wahrscheinlich ist das so, das bezweifle ich nicht. Aber dazu ist es zunächst nötig, einen vollständigen und bedingungslosen Sieg zu erringen. Und das ist noch nicht der Fall."

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